René Küpper: Karl Hermann Frank (1898-1946). Politische Biographie eines sudetendeutschen Nationalsozialisten (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum; Bd. 119), München: Oldenbourg 2010, VII + 456 S., ISBN 978-3-486-59639-7, EUR 49,80
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Unter der tschechischen Bevölkerung des "Protektorats Böhmen und Mähren" galt Karl Hermann Frank als der am meisten verhasste Deutsche: Er symbolisierte wie kein Zweiter die nationale Entrechtung und die vor nacktem Terror nicht zurückscheuende Unterdrückung, denen die Tschechen vom März 1939 bis zum Mai 1945 ausgesetzt waren. Umgekehrt stellte die deutsche Besatzungsherrschaft die Voraussetzung für Franks kometenhaften Aufstieg bis in den Rang eines SS-Obergruppenführers dar. Auch wenn er zunächst nicht an der Spitze der deutschen Protektoratsverwaltung stand, kam dem Höheren SS- und Polizeiführer, Staatssekretär im Amt des Reichsprotektors und späteren Deutschen Staatsminister für Böhmen und Mähren eine Schlüsselstellung in der NS-Protektoratspolitik zu. Insofern erstaunt es, dass bis vor kurzem keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biographie vorlag. Diese gravierende Forschungslücke wird jetzt durch die Kölner Dissertation von René Küpper geschlossen, deren Bewertung allerdings ambivalent ausfällt.
Dem biographischen Ansatz folgend, den Ulrich Herbert für seine Studie über Werner Best entwickelt hat, fragt Küpper nach den Wertvorstellungen und Zielen seines Protagonisten, nach seinem Verhältnis zur NS-Ideologie und den diversen Machtgruppen des "Dritten Reichs" sowie nach den Strategien der Selbstrechtfertigung, die Frank nach der Niederlage wählte. Zur Beantwortung dieser Leitfragen stützt er sich auf eine beachtliche Menge an publizierten und unpublizierten Quellen aus tschechischen und deutschen Archiven sowie auf den Großteil der relevanten Literatur.
Küpper gliedert seine biographische Studie "vorwiegend chronologisch" (7). Im ersten Teil behandelt er, mit kurzen Seitenblicken auf Franks Herkunft und politische Sozialisation, seine politische Tätigkeit in der Ersten Tschechoslowakischen Republik und im nach dem Münchner Abkommen vom Herbst 1938 geschaffenen "Reichsgau Sudetenland". Hier geht es nicht zuletzt darum, wie Frank zum zweiten Mann in der Sudetendeutschen Partei avancierte. Küpper arbeitet überzeugend heraus, wie Frank sich durch seine intransigente Haltung im "Volkstumskampf" der Jahre 1937 und 1938 bei Hitler als "Tschechenexperte" empfahl. Es folgt ein sehr langes Kapitel über Franks Wirken im Protektorat - der "Hauptteil der Arbeit" (8) - und ein sehr kurzes, das den Prozess vor dem Außerordentlichen Volksgericht in Prag, Franks Selbstrechtfertigung und seine Hinrichtung behandelt. Den Hauptteil organisiert Küpper "nach den Amtsperioden der verschiedenen Reichsprotektoren bzw. Stellvertretenden Reichsprotektoren [...], da Franks Einfluss und Gestaltungsspielraum [...] auch von der Person des jeweiligen Reichsprotektors abhingen und die personellen Wechsel in diesem Amt [...] als politischer Kurswechsel in der Besatzungspolitik zu bewerten sind." (8)
Dieses Gliederungsprinzip und seine Begründung deuten bereits die größte Schwäche der Studie an: Küpper konnte der Versuchung nicht widerstehen, neben der Biographie Franks zugleich eine Geschichte der "deutsche[n] Herrschaft im Protektorat Böhmen und Mähren" (6 f.) bzw. eine "Gesamtdarstellung zur Geschichte des Protektorats" (18) zu schreiben. Der biographische Blick eignet sich jedoch nicht oder nur sehr bedingt für Gesamtdarstellungen von Herrschaftssystemen. Und Küppers Bestreben, die deutsche Protektoratspolitik in möglichst all ihren Facetten abzuhandeln, führt wiederum weg von seinem Protagonisten - die Struktur des Hauptteils legt davon beredtes Zeugnis ab.
Als Gesamtdarstellung bietet Küppers Buch wenig mehr als eine Zusammenfassung des Forschungsstandes, wobei seine Ausführungen - etwa zur "Arisierung" - zwar nicht immer auf der neuesten Literatur basieren [1], aber auf der Faktenebene insgesamt verlässlich sind. Zu Recht betont er wiederholt die zentrale Bedeutung des beachtlichen Industriepotentials der böhmischen Länder, das die Besatzer kurzfristig nutzen wollten, um im "totalen Krieg" gegen die Alliierten bestehen zu können. Durchgreifende Maßnahmen zur "Germanisierung" des Raums oder seiner (in der großen Mehrheit tschechischen) Bevölkerung, die zu verstärktem Widerstand und damit zu Störungen der Rüstungsproduktion hätten führen können, mussten daher auf die Zeit nach dem erhofften "Endsieg" verschoben werden. Das ist freilich längst bekannt. Grundlegend neue Interpretationen zur NS-Protektoratspolitik sucht man vergeblich, denn Küpper bewegt sich hier weitgehend auf ausgetretenen Pfaden.
Neuland erschließt Küpper dagegen, wenn er sich auf seine eigentliche Aufgabe als Biograph besinnt und Karl Hermann Frank in den Mittelpunkt stellt. So weist er beispielsweise luzide nach, dass das problematische Verhältnis zwischen Frank und Neurath nicht, wie immer wieder behauptet wurde, auf unterschiedliche Konzeptionen der Besatzungspolitik zurückzuführen war (die im Gegenteil weitgehend übereinstimmten), sondern auf charakterliche und habituelle Unterschiede (137 f.). An anderer Stelle zeigt er, wie Frank Heydrich nach dessen Tod geschickt instrumentalisierte, "um seine politischen Vorstellungen durchzusetzen bzw. Kritik an seiner Politik abzuwehren." (225) Nicht zuletzt gelingt es Küpper überzeugend nachzuweisen, dass Frank für zahlreiche NS-Verbrechen im Protektorat wie beispielsweise die Selektion und Ermordung tschechischer Kinder eine persönliche Mitverantwortung traf.
Hätte sich Küpper ganz auf die Biographie konzentriert, hätte er vielleicht auch analysieren können, wie sich die Zusammenarbeit Franks mit seinen engsten Mitarbeitern in der alltäglichen Praxis gestaltete. Küpper belässt es indes bei einem name dropping der Mitglieder von Franks Stab (300), wobei auffällt, dass sich unter den Genannten kein Wirtschaftsexperte befand - obwohl wirtschaftliche Ziele doch im Kern der Protektoratspolitik standen und Frank selbst von ökonomischen Dingen wenig verstand. Daher erstaunt es, dass Küpper in diesem Zusammenhang weder die beiden wichtigsten Wirtschaftslenker des Protektorats (Walter Bertsch und Bernhard Adolf) noch das Prager Institut für Wirtschaftsforschung erwähnt.
Vor allem aber hätte Küpper in den Fußstapfen Ulrich Herberts und Michael Wildt klären können, inwieweit sein Protagonist zur "Generation des Unbedingten" zu rechnen ist, jener technokratischen Elite, die die NS-Massenverbrechen ins Werk setzte. Im Fazit reißt er diese Frage an, indem er Frank mit anderen NS-Größen in den besetzten Ostgebieten vergleicht. Der sudetendeutsche Nationalsozialist sei "weder ein primitiver Zwingvogt wie etwa der Reichskommissar für die Ukraine, Gauleiter Erich Koch, noch korrupter Pseudo-Vizekönig vom Typus des Generalgouverneurs Hans Frank" gewesen (405). Vielmehr habe er "ein pragmatischeres und flexibleres Verhalten gegenüber der tschechischen Bevölkerung an den Tag" gelegt, "weil er in den Tschechen eben nachweislich keine 'ostischen Untermenschen' sah, sondern im Gegenteil ein den Deutschen im sogenannten rassischen Wert recht nahe stehendes Volk." (405 f.)
Zweifellos war die NS-Besatzungspolitik im Protektorat weit weniger brutal als im Generalgouvernement oder in den besetzten Gebieten der Sowjetunion. Aber war dafür wirklich der jeweilige "rassische" Stellenwert ausschlaggebend, den die Nazis den betroffenen slawischen Völkern zumaßen? Muss man nicht, von der ganz unterschiedlichen ökonomischen Bedeutung der jeweiligen Regionen abgesehen, in Rechnung stellen, dass die sudetendeutschen Nationalsozialisten eben nicht als Fronvögte in der Fremde wirkten, sondern in ihrer Heimat? Speiste sich ihr Überlegenheitsgefühl gegenüber den Tschechen nicht weniger aus rassistisch-biologistischen Vorstellungen, sondern aus dem Gefühl der traditionellen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Vorrangstellung der Deutschen in einer längst vergangenen Epoche? Und stellte für sie der "Volkstumskampf" nicht einen rassebiologisch determinierten Kampf gegen das Slawentum dar, sondern eine lebensgeschichtliche Erfahrung? Manche sudetendeutschen NS-Funktionäre dachten durchaus so, weshalb in ihren Augen nicht jeder Tscheche automatisch als "Schädling" galt - und gerade diese historisch-kulturelle Deutung des tschechisch-deutschen Konflikts eröffnete Spielräume für eine flexible "Tschechenpolitik". [2]
Einige Befunde in der vorliegenden Studie deuten an, dass auch Karl Hermann Frank so gedacht und gefühlt haben mag und die Berufung auf den "rassischen Wert" der Tschechen weitgehend dem Zeitgeist und seiner Position geschuldete Rhetorik gewesen sein könnte. Vielleicht hat Küppers Ehrgeiz, partout eine "Gesamtdarstellung zur Geschichte des Protektorats" (18) zu verfassen, ihn von solchen Interpretationen weggeführt. Trotz dieses Einwandes bleibt festzuhalten, dass René Küpper mit seiner Dissertation eine Forschungslücke geschlossen und dadurch dazu beigetragen hat, unsere Kenntnisse von der entscheidenden Phase der tschechisch-deutschen "Konfliktgemeinschaft" (Jan Křen) zu vertiefen.
Anmerkungen:
[1] Nicht berücksichtigt wurden insbesondere: Drahomír Jančík / Eduard Kubů: "Arizace" a arizátoři. Drobný a střední židovský majetek vúvěrech Kreditanstalt der Deutschen 1939-1945, Praha 2005. - Jörg Osterloh: Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland 1938-1945- München 2006. - Christoph Kreutzmüller / Jaroslav Kučera: Die Commerzbank und die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit in den böhmischen Ländern und in den Niederlanden, in: Die Commerzbank und die Juden 1933-1945, hgg. von Ludolf Herbst / Thomas Weihe, München 2004, 173-222. - Harald Wixforth: Die Expansion der Dresdner Bank in Europa (= Die Dresdner Bank im Dritten Reich, Bd. 3), München 2006.
[2] Vgl. dazu Jaromír Balcar: Bernhard Adolf. NS-Rüstungspolitik im Protektorat Böhmen und Mähren zwischen Ökonomie und "Germanisierung", in: Gesichter der Zeitgeschichte. Deutsche Lebensläufe im 20. Jahrhundert, hgg. von Theresia Bauer (u.a.), München 2009, 69-84, hier 79 ff.
Jaromír Balcar