Christopher Andrew / Vasili Mitrokhin: The World Was Going Our Way. The KGB and the Battle for the Third World, New York: Basic Books 2005, 678 S., ISBN 978-0465003112, USD 29,95
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Der Titel dieser umfangreichen Studie nimmt eine Einschätzung des damaligen Stellvertretenden Leiters der Internationalen Abteilung des ZK, Karen N. Brutenc, aus der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre auf. Die sowjetische Staatssicherheit, das KGB, so eine Kernthese des Buches, war mit "Unterstützung" dieser ZK-Abteilung für die sowjetische Offensive in der Dritten Welt ab Chruščev bestimmend. Das sowjetische Außenministerium dagegen habe sich weitgehend desinteressiert an der Revolutionierung der Welt gezeigt und sich ganz auf die USA konzentriert (10 f.). Es scheint zweifelhaft, ob die hier beschriebene Aufgabenteilung beispielsweise den komplexen sowjetischen Wegen der Entscheidungsfindung gerecht wird: Gromyko etwa zog als Außenminister zeitgleich mit dem KGB-Chef Andropov ins Politbüro ein (1973), und das KGB hatte sich wie seine Vorläufer nach innen und außen an dem politisch definierten Rahmen zu orientieren. Die frühzeitige Kontaktpflege zu potenziellen Führungspolitikern gehörte nicht nur im Fall Fidel Castros zu den allgemeinen, äußerst weit und eben immer auch politisch definierten Aufgaben des sowjetischen Geheimdienstes, und dass Castro KGB-Mitarbeiter als Kommunikationskanal nach Moskau nutzte, muss nicht auf politische Mitgestaltung des KGB verweisen (34, 38).
Damit ist eine zweite problematische Grundlinie der Autoren verknüpft: Ihrer Darstellung zufolge gewann Aleksandr Šelepin als KGB-Vorsitzender Chruščev im Juli 1961 für eine "aggressive new grand strategy" gegen den Hauptgegner USA in der Dritten Welt, die sich nationale Befreiungsbewegungen und anti-imperialistische Kräfte zu Nutze machen wollte (9). Im zeitgenössischen Kontext las sich der Vorschlag Šelepins indes zunächst einmal als aktueller Maßnahmenkatalog, um die "Aufmerksamkeit und die Kräfte der USA und ihrer Satelliten zu binden und sie während der Regelung der Berlinfrage und der Frage eines deutschen Friedensvertrags zu beschäftigen". Dieses Zitat aus dem im Übrigen schon länger bekannten Dokument findet sich zwar etwas später, ohne dass aber die frühere Grundthese relativiert wird (40). [1] Šelepins Plan entsprach zudem ganz dem politischen Gesamtkonzept und Auftrag der Partei: Der sowjetische Parteichef hatte zuletzt im Januar 1961 in aller Öffentlichkeit klar gemacht, dass sein Land die "heiligen" Befreiungskämpfe in der Dritten Welt unterstütze (8).
So scheint die politische Brisanz und Eigenständigkeit der KGB-Aktivitäten in der Dritten Welt überbewertet zu sein, und die Trennlinien zwischen parteiamtlichen und klandestinen Unternehmungen sind nicht immer klar nachvollziehbar. Das ändert aber nichts daran, dass das KGB seine entsprechenden Anstrengungen ab den 1950er-Jahren erheblich intensivierte und die gesamte Sphäre zu durchdringen suchte: Ziel war nie nur umfassende Ausspionierung der Länder oder deren Nutzung als Spionagebasis gegen Dritte. Auf lange Sicht erwartete die UdSSR und ihr Geheimdienst die Orientierung der Länder auf die UdSSR und damit die Vergrößerung der sozialistischen Einfluss-Sphäre.
In der Beschreibung dieser vielfältigen Unternehmungen, die den ganzen Globus umspannten, liegt die eigentliche Stärke des Buches. Beide Autoren sind auf ihre Weise für die detaillierte Aufarbeitung prädestiniert: Vasilij Mitrochin hat als Archivar der Ersten Hauptverwaltung des KGB (Aufklärung, PGU, heute: SVR) ab 1972 Auszüge aus den geheimsten Unterlagen anfertigen können und ab 1992 dem britischen Geheimdienst übergeben. Britische und amerikanische Dienste schätzen das Material als äußerst wertvoll ein. Daher ist das Material nur sukzessive und wohl unvollständig dem britischen Historiker Andrew zur historischen Aufarbeitung überlassen worden. Andrew hat sich gerade in der Geheimdienstforschung seit langem einen Namen gemacht und verfügt über die Erfahrungen früherer analoger Joint ventures. [2]
Nach einer knappen Einführung in die Entwicklung der geheimen sowjetischen Außenpolitik widmet sich das Buch in vier großen Abschnitten den konkreten KGB-Maßnahmen in Lateinamerika, im Mittleren Osten, in Afrika und Asien. Im Zentrum stehen nach einer prägnanten Zusammenfassung erdteilspezifischer Eigenheiten und zeitlicher Schwerpunkte Regional- bzw. Länderstudien; im Kontext der Behandlung der islamischen Nachbarländer widmet die Studie auch den Entwicklungen des Islam innerhalb der Sowjetunion ein eigenes Kapitel. Ein anderes Beispiel für die enge Verbindung innenpolitischer Repression und außenpolitischer Gegnerschaft stellt die Politik gegenüber Israel mit den korrespondierenden "anti-zionistischen" Maßnahmen im Innern dar.
Aufs Ganze gesehen macht bereits zu Beginn das Beispiel Kuba deutlich, dass das KGB in seinen Auslandsoperationen nicht nur mit prozessualer Eigendynamik, sondern auch mit unerwarteten Unabhängigkeitsbestrebungen der neuen Partner zurechtkommen musste: Im Zuge der vorübergehenden Entfremdung werteten kubanische Gerichte etwa KGB-Kontakte einheimischer Politiker plötzlich als strafrechtlich relevant - offenkundig sicherte vor allem Havannas Wirtschaftsschwäche dem KGB langfristige Positionen auf Kuba. In Ägypten wiederum ließ Nasser Ende der 1960er-Jahre seinen langjährigen Geheimdienstchef Salah Muhammad Nasr, der ausgezeichnete Beziehungen zur sowjetischen Residentur pflegte, als Verschwörer verhaften. Von der Ausweisung sowjetischer Militärberater unter Sadat wurde offenbar auch das KGB überrascht. In Asien erwies sich Indien als konstantere KGB-Basis, ohne dass auch hier Manipulationen und Beeinflussungsversuche unbegrenzten Erfolg hätten haben können: Indira Gandhi verlor im März 1977 trotz aller offenen und verdeckten UdSSR-Hilfestellung die Wahlen, und das KGB musste sich wie so oft um Schadensbegrenzung für die sowjetische Außenpolitik bemühen. Zu diesem Zeitpunkt war China schon längst auch geheimdienstlicher Gegner geworden, der nicht zuletzt in der Dritten Welt bekämpft wurde.
Ein wichtiges Instrument der negativ wie positiv ausgerichteten Einflussmaßnahmen des KGB war neben Bestechung und Pressearbeit mitsamt dem Einsatz entsprechender Agenten die Desinformation von Weltpolitik und -gesellschaft. Die Erfolge derartiger Maßnahmen sind naturgemäß kaum messbar und dürfen - auch hierfür steht das Beispiel indischer Wahlen - trotz aller Siegesmeldungen des KGB nicht überschätzt werden (62). Unlängst hat Raymond Garthoff in einem ausgewogenen Forschungsbericht resümiert, dass die bedeutsamsten Leistungen der sowjetischen - und amerikanischen - Spionage auf dem Feld der Gegenspionage erreicht wurden (sic!). [3] Damit reduziert sich die direkte Bedeutung der KGB-Aktivitäten auch in der Dritten Welt noch einmal. Die auf lange Sicht begrenzte Wirksamkeit gilt letztlich auch für die Ausbildung oder Stützung einschlägiger militanter Bewegungen, die nie ohne Billigung des Politbüros erfolgen konnte und immer auch dem Kalkül geschuldet war, das eigene Land vor terroristischen Übergriffen zu schützen bzw. sowjetische Außenpolitik nicht durch einheimische Bewegungen torpedieren zu lassen. Die unaufgelöste Spannung zwischen einheimischen Vorstellungen und sowjetischer Machtpolitik kulminierte letztlich mit der Invasion in Afghanistan. Sie war eine Bankrotterklärung für die Dritte Welt-Politik der UdSSR und ihres čekistischen Arms, der in Afghanistan auch nach der Erschießung des Präsidenten Amin immer häufiger zu bloßer Gewalt griff.
Auf diese Weise ist eine Darstellung von KGB-"Auslandsoperationen" [4] immer an die Schwer- und Brennpunkte sowjetischer Außenpolitik gebunden; das gilt im Übrigen auch für den hier insgesamt vernachlässigten Counterpart der militärischen Aufklärung GRU. [5] Das Eigengewicht des KGB ist dabei allerdings aus einer systematischen Analyse seiner Stellung innerhalb der sowjetischen Machtstrukturen, konkreten Beiträgen zur sowjetischen Entscheidungsfindung und der entsprechenden Realisierung politischer Beschlüsse zu erschließen - eine Aufgabe, die angesichts der aktuellen Archivsituation nur ansatzweise zu leisten ist. [6] Diese Einschränkungen vorausgesetzt, bietet das Buch von Andrew/Mitrokhin wertvolle Einblicke in Funktions- und Denkweisen des KGB im Kalten Krieg und eröffnet den Blick auf den globalen Anspruch aber auch die systemimmanenten Grenzen sowjetischer Politik nach 1945.
Anmerkungen:
[1] Das Zitat auf Seite 40 übersetzt in: Vladislav Zubok: Der sowjetische Geheimdienst in Deutschland und die Berlinkrise 1958-1961, in: Wolfgang Krieger/Jürgen Weber (Hg.): Spionage für den Frieden? Nachrichtendienste in Deutschland während des Kalten Krieges, München 1997, 134 f. Vgl. ebd. zu weiteren Details.
[2] Vgl. besonders Christopher Andrew/Oleg Gordiewsky: KGB. Die Geschichte seiner Auslandsoperationen von Lenin bis Gorbatschow, München 1990; Christopher Andrew/Vasili Mitrokhin: The sword and the shield. The Mitrokhin Archive and the secret history of the KGB, New York 1999.
[3] Raymond L. Garthoff: Foreign Intelligence and the Historiography of the Cold War, in: Journal of Cold War Studies 6 (2004), Nr. 2, 21-56, hier 34.
[4] Nach dem bereits zitierten Titel von Andrew/Gordiewsky, KGB.
[5] Aleksandr Kolpakidi/Dmitrij Prochorov: Imperija GRU. Očerki istorii rossijskoj voennoj razvedki, Band 2, Moskau 2000.
[6] Vgl. hierzu immer noch Amy Knight: The KGB. Police and politices in the Soviet Union, rev. ed. Boston 1990.
Andreas Hilger