Shelley Baranowski: Strength through Joy. Consumerism and Mass Tourism in the Third Reich, Cambridge: Cambridge University Press 2004, XVII + 254 S., ISBN 978-0-521-83352-3, GBP 40,00
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Cambridge University Press kündigt auf dem Waschzettel Baranowskis Buch reichlich vollmundig an als "the first major book on the Nazi leisure and tourism agency". Dies kann man nur gelten lassen, wenn man die Hand voll Dissertationen über die Kraft durch Freude-Organisation und die zahlreichen, teilweise ausgezeichneten unselbstständig erschienenen Arbeiten, z. B. von Hasso Spode, ausklammert. Unabhängig davon - dies sei vorausgeschickt - ist Baranowski eine gute und empfehlenswerte Gesamtdarstellung gelungen.
Baranowski beginnt mit einem Überblick zum Konsum in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus sowie zur Geschichte der Kraft durch Freude (KdF) als Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Bei den zahlreichen KdF-Aktivitäten konzentriert sie sich auf die beiden wichtigsten: "Schönheit der Arbeit" und "Reisen, Wandern und Urlaub". Unter dem Schlagwort "Schönheit der Arbeit" suchte die DAF die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Konkrete Maßnahmen bezogen sich auf die Fabrikgestaltung, das Kantinenessen, die Hygiene, den Betriebssport und kulturelle Veranstaltungen. Das Programm bildete gewissermaßen ein Substitut für ausbleibende Lohnerhöhungen, die sich die nationalsozialistische Wirtschaft auf Grund der Priorisierung von Rüstung und Autarkie nicht leisten konnte. Die Aktivitäten erfassten vor allem Großbetriebe; Bemühungen, sie auf kleinere Firmen und in den ländlichen Raum hinein zu erweitern, waren nur begrenzt erfolgreich. Die Unternehmer reagierten zunächst eher abweisend, etablierte sich doch auf diese Weise die Arbeitsfront im Betrieb als konkurrierende Macht. Mit der Zeit erkannten sie aber, dass sich die Maßnahmen nutzen ließen, um in Zeiten zunehmender Arbeitskräfteknappheit die Mitarbeiter an die Unternehmen zu binden.
Das Kapitel über den KdF-Tourismus vermittelt ein differenziertes Bild der Strukturen des Reiseangebots. Besonders der Reisealltag gewinnt Anschaulichkeit - auf der Basis der Auswertung von Berichten des Sicherheitsdienstes und anderer Behörden. Baranowski referiert ausführlich Schilderungen der Begeisterung der Reisenden, aber auch der Konflikte zwischen KdF und Gastgewerbe, zwischen Reisenden und Einheimischen, zwischen aktiven Katholiken und Nationalsozialisten, zwischen Nord und Süd usw.
Ein eigenes Kapitel ist der Truppenbetreuung durch KdF im Krieg gewidmet. Hier sind wohl die meisten neuen Informationen zu finden, die das Buch enthält. KdF organisierte für die Soldaten Unterhaltungsangebote an der Front und in der Heimat. Einzelne Maßnahmen zielten auch auf die Fremdarbeiter. Abschließend wirft Baranowski einen Blick auf den Konsum in der Nachkriegszeit, wobei sie mehr die Diskontinuitäten als die Kontinuitäten betont.
Von einer solchen Gesamtdarstellung sind wenig neue empirische Ergebnisse zu erwarten. Die zentralen Akten der KdF-Organisation wurden - soweit noch vorhanden - bereits von zahlreichen Vorgängerautoren ausgewertet. Shelley Baranowski hat die Quellen erneut sorgfältig gelesen und punktuell mit Firmenmaterialien ergänzt, ohne dass sich dabei ein wesentlich veränderter Forschungsstand ergibt. Eine Erweiterung unseres Wissens über KdF wäre allenfalls durch eine Auswertung umfangreicher regionaler Bestände der DAF zu erhoffen. Dieser Mühe hat sich aber bislang niemand unterzogen.
Die Arbeit Baranowskis ist als Überblickswerk zu empfehlen; in den englischsprachigen Ländern wird die Publikation ohnehin eine solche Rolle spielen. Dieses positiven Gesamteindrucks ungeachtet sollen hier einige Schwächen des Werks benannt und das Augenmerk auf zwei diskussionsbedürftige Interpretamente gerichtet werden. Baranowski versteht ihr Buch als Beitrag zur Konsumgeschichte. Die Integration in diesen Forschungskontext erschwert Baranowski jedoch dadurch, dass sie die wenig überzeugende Begrifflichkeit Michael Geyers übernimmt, der die deutsche Zwischenkriegszeit mit dem Begriff Massenkonsum charakterisiert, die Nachkriegszeit mit dem Begriff Konsumkultur. Dem folgend klassifiziert Baranowski die KdF-Reisen als Massentourismus. Es ist frappierend, wie weit gehend Baranowski die englischsprachige Literatur heranzieht, die wesentlich zahlreichere deutschsprachige dagegen nur lückenhaft. Zusätzlich macht es die amerikanische Unsitte, auf ein Literaturverzeichnis zu verzichten, schwer, einen Überblick der ausgewerteten Forschungsliteratur zu gewinnen.
Doch sind dies Marginalien im Vergleich zu zwei wichtigen allgemeinen Interpretationsproblemen, die Baranowskis Studie aufwirft: zur Wirkung der KdF-Programme auf die Bevölkerung sowie zur Planungskompetenz des Nationalsozialismus. Zweifellos sollten die KdF-Angebote die Akzeptanz des Regimes in der Bevölkerung sichern. Geht man über diese Feststellung hinaus und fragt nach den tatsächlichen Wirkungen, dann steht man vor dem Problem, dass für die Antwort vor allem die nationalsozialistische Publizistik zur Verfügung steht. Auch die Berichte von SD und Gestapo repräsentieren eine bestimmte - nationalsozialistische - Perspektive. Die Gefahr ist evident, dass historische Auswertungen dieses Materials teilweise der nationalsozialistischen Propaganda aufsitzen und diese fortschreiben. Nun verschweigt Baranowski nicht die bei den KdF-Angeboten auftretenden Konflikte und dass nur eine Minderheit von ihnen profitierte. Aber letzten Endes formuliert sie recht unkritisch als Ergebnis, dass KdF wesentlich zur Legitimation des Regimes in der Bevölkerung beigetragen habe, und begibt sich damit auf eine trügerische Interpretationsspur, die von den Nationalsozialisten selbst vorgezeichnet wurde. Eine Gegenperspektive sollte stattdessen auch nach der Rezeption durch diejenigen fragen, denen die Reisen und Veranstaltungen der KdF verschlossen blieben.
Noch problematischer ist Baranowskis Interpretation der KdF-Angebote als akzeptanzsichernde Übergangsmaßnahmen bis zur Gewinnung des angestrebten "Lebensraums". Durch dessen Ausbeutung sollten ohnehin alle konsumtiven Beschränkungen der Vergangenheit angehören. Eine solche Interpretation unterstellt - ganz in der wieder aufgefrischten Tradition Götz Alys - dem Nationalsozialismus ein Höchstmaß an vorausschauender Planung und Rationalität. Sie ignoriert, wie viele KdF- und andere Projekte scheiterten, vom großen Ostseebad in Prora bis zum Volkswagen, und wie viele die angepeilte Zielgruppe verfehlten, von den Urlaubsreisen bis zum Volksempfänger. Statt Planung und Rationalität dominierten in der nationalsozialistischen Konsumpolitik eher hektischer Aktivismus und illusionistischer Voluntarismus.
Wolfgang König