Dieter Schott / Bill Luckin / Geneviève Massard-Guilbaud (eds.): Resources of the City. Contributions to an Environmental History of Modern Europe (= Historical Urban Studies), Aldershot: Ashgate 2005, xiv + 285 S., ISBN 978-0-7546-5081-2, GBP 47,50
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Für Städte war in der Umweltgeschichte lange Zeit kein Platz. Zu sehr schienen die urbanen, industriellen und kulturellen Zentren der Natur entrückt, als dass sie Teil des Untersuchungsfeldes dieser historischen Subdisziplin sein könnten. Der vorliegende Sammelband strebt an, dieses Bild zu revidieren und der urbanen Umweltgeschichte den ihr gebührenden Platz zu verschaffen.
Die insgesamt 16 Beiträge verdeutlichen ebenso wie der einführende Überblicksartikel von Dieter Schott, dass Städte in einem vielfältigen Beziehungsgeflecht zu den sie umgebenden Landschaften und Landwirtschaften stehen. Joel Tarr und Clay McShane zeigen am Beispiel der urbanen Pferdepopulation in den USA, dass dies nicht nur für Europa gilt. So musste das Hinterland der amerikanischen Städte sowohl die urbanen Menschenmassen als auch die knapp drei Millionen Pferde versorgen, die sich um 1900 noch in den Städten befanden und dort essenzielle Funktionen ausübten. Abhängig von der Arbeit, die diese Tiere verrichteten, verbrauchten sie pro Tag zwischen 9.000 und 30.000 Kalorien - Energiemengen, die vor allem in Form von Heuimporten bereit gestellt wurden.
Eines der wichtigsten Verbindungsglieder zwischen Stadt und Umland war das Wasser. Natürliche Flüsse und künstliche Wasserwege versorgten die urbanen Konglomerationen mit Trink- und Gebrauchswasser, während sie die menschlichen, tierischen und industriellen Abfälle entsorgten und in der Regel aus der Stadt hinaus führten. So verwundert es kaum, dass sich gleich mehrere Beiträge mit der konfliktreichen Geschichte dieser Wassernetzwerke beschäftigen. Simone Neri Serneri etwa zeigt, wie die traditionellen Praktiken und Techniken der Wasserversorgung und Entsorgung in Mailand, die vor allem über Brunnen und kleine Kanäle, den Navigli, funktionierte, den neuen Herausforderungen durch Industrialisierung und Urbanisierung nicht mehr gewachsen waren und zunehmend durch Aquädukte und Abwasserkanäle ersetzt wurden. Ulrich Koppitz schildert am Beispiel von Düsseldorf, wie abhängig der Bau einer Kanalisation von divergierenden Interessen sein konnte. Die Errichtung einer sanitären Infrastruktur kann demzufolge keineswegs als lineare Erfolgsgeschichte betrachtet werden. So verloren Hauseigentümer, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts an den Baukosten beteiligen sollten, schnell das Interesse an der Kanalisation und gewannen es erst wieder, als sich der Anschluss an das Abwassernetz deutlich in den Immobilienpreisen niederschlug. Ebenso wenig als Erfolgsgeschichte kann sicherlich das Wasserregime der DDR charakterisiert werden, wie Christoph Bernhardt deutlich macht. So konstatierte die Leipziger Volksbaukonferenz 1990, dass die Wasserleitungen der Stadt noch weitere 300 Jahre aushalten müssten, obwohl bereits dreißig Prozent gravierende Mängel aufwiesen. Bernhardt modifiziert solche apokalyptischen Szenarien allerdings und verweist auch auf Erfolge in der sozialistischen Wasserpolitik, etwa die Tatsache, dass bis zu Beginn der 1980er-Jahre 90 Prozent der DDR-Bevölkerung an die zentrale Wasserversorgung angeschlossen waren. Zudem zeichnet er ein differenzierteres Bild als die gängigen Katastrophenberichte, indem er auf die erheblichen Unterschiede zwischen den traditionellen industriellen Regionen und den neuen sozialistischen Musterstädten hinweist, in denen schon aus Gründen der Loyalitätssicherung mehr Wert auf die Einhaltung adäquater hygienischer und sanitärer Standards gelegt wurde.
Nutzungskonflikte entstanden aber nicht nur in Bezug auf die Wasserwege, sondern auch in Hinsicht auf die Nutzung des urbanen Raums per se. Geneviève Massard-Guilbauld geht den Debatten auf den Grund, die durch Industrieansiedlungen in französischen Städten im 19. Jahrhundert entstanden sind und die nicht nur die ökonomischen, sondern auch die ökologischen Realitäten verändert haben. So wurde in Nantes die Loireinsel Prairie aux-Ducs von 1836 bis 1883 von einer vormodernen Idylle in einen regelrechten Chemiepark verwandelt. Über mehr als 60 Jahre hinweg gelang es den lokalen Behörden nicht, die Betreiber dieser Anlagen, von denen die meisten ohne Genehmigung errichtet worden waren, zu einer umweltschonenderen Produktionsweise oder auch nur zur Einhaltung der Gesetze zu zwingen. In Clermont-Ferrand unterminierte die Gummi- und Reifenfabrik Michelin durch die stetige Ausdehnung des Firmengeländes alle Versuche einer rationalen Stadtplanung. So skandalös solche industriellen Aneignungen urbanen Raums fernab jeder demokratischen Kontrolle ohne Zweifel auch sind, so unverständlich ist doch die Empörung der Autorin darüber, dass Teile dieser Industrielandschaft mittlerweile "sogar" unter Denkmalschutz gestellt worden sind sowie das verbale Kopfschütteln über die Weigerung der Clermontois, diese Umwelt im Sinne von Massard-Guilbauld als urbane Wüste wahrzunehmen. Auf diese Weise wird Natur essentialisiert und von der sozialen und kulturellen Lebenswirklichkeit der Menschen, so "hässlich" sie auch sein mag, entkoppelt.
Erscheint die Umweltgeschichte der Stadt in diesen Beiträgen primär als Problemgeschichte, so macht der Sammelband aber auch deutlich, dass Städte nicht nur ökologische Parasiten waren, die auf Kosten anderer Organisationsformen Ressourcen verschleuderten. Sabine Barles zeigt in ihrer "metabolistischen Annäherung" an die Geschichte von Paris in den letzten beiden Jahrhunderten, dass Städte selbst in einem erheblichen Ausmaß "Rohstoffe" produzierten, die von der wachsenden Industrie gerne genutzt wurden. So wurde Asche in Seifenfabriken weiter verwendet, Tierknochen wurden zu Kohle verarbeitet, die dann in Zuckerraffinerien zum Einsatz kam, und Leinen- und Baumwolllumpen in Papier umgewandelt. In mehreren Beiträgen des Bandes wird zudem auf die große Bedeutung der Sammlung und Aufbereitung von Fäkalien der menschlichen und tierischen Stadtbewohner hingewiesen, die getrocknet, pulverisiert und zur Düngung in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. Spätestens hier wird deutlich, dass die Austauschprozesse zwischen Stadt und Land keine Einbahnstraße waren.
Der Band zeigt sehr deutlich, dass die Vorstellung von modernen Städten als naturlosen Orten unhaltbar ist, nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Bemühungen, Natur zurück in die Stadt zu bringen, sei es durch den Bau von Parks und Grünanlagen oder durch parzellenartige Refugien wie Kleingartenanlagen und private Gärten (Helen Meller). Selbst die zunehmende Suburbanisierung im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert kann in gewissem Sinne als Renaturierung der Stadt begriffen werden, war doch die Nähe zur Natur einer der wichtigsten Gründe, warum die urbanen Eliten aus den Zentren flüchteten, wie Michèle Dagenais am Beispiel von Montréal schildert. Ein weiterer Grund war sicherlich die zunehmende Lärmbelastung in den Städten, die von Michael Toyka-Seid beschrieben wird. Durch die akustische Umweltverschmutzung, die von Industrieanlagen, Verkehrsmitteln wie Autos oder Eisenbahnen und der zunehmenden Verbreitung von Radio- und Fernsehgeräten ausging, wurde Stille zu einer Ressource, die in den Städten immer seltener zu finden war.
Insgesamt bietet "Resources of the City" eine sehr gelungene Übersicht über die aktuellen und kommenden Themenfelder eines noch relativ jungen Forschungsbereiches. Der lesenswerte Sammelband bereichert damit Stadt- und Umweltgeschichte gleichermaßen.
Uwe Lübken