Dieter Schott / Michael Toyka-Seid (Hgg.): Die europäische Stadt und ihre Umwelt, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008, 208 S., ISBN 978-3-534-20369-7, EUR 34,90
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Für diesen schmalen, aus einer Ringvorlesung des Wintersemesters 2005/06 hervorgegangenen Band gab es gleich zwei Anlässe: den Start des interdisziplinären Master-Studiengangs "Geschichte - Umwelt - Stadt" an der Technischen Universität Darmstadt sowie das 675-jährige Jubiläum der Verleihung der Stadtrechte an Darmstadt. Er versammelt insgesamt zehn, teils essayistische Beiträge, denen der Vortragscharakter durchweg anzumerken ist und die bis auf einen aus der Feder von Historikerinnen und Historikern stammen. Die Artikel beleuchten das Themenspektrum "Stadt und Umwelt" aus ganz unterschiedlichen Perspektiven von der Antike bis in die Gegenwart: Neben Überlegungen zur Geschichte der spanischen Städte (Helmut Böhme) stehen anregende Ausführungen zu den Folgen des europäischen Städteexports in die imperiale Peripherie (Michael Toyka-Seid) oder eine Analyse des sexualisierten Images von heutigen deutschen Großstädten (Martina Löw).
Insgesamt folgt der Band keinem einheitlichen und ausschließlich natürlichen Umweltbegriff im Sinne eines engeren umweltgeschichtlichen Zugangs, sondern versteht unter Umwelt auch das politische, soziale und kulturelle Deutungs- und Beziehungsgefüge des europäischen Stadtraumes und seiner Umgebung. Unabhängig von allen mit einem solchen weiten Umweltbegriff verbundenen Schwierigkeiten soll auf zwei besonders wichtige und anregende Aspekte eingegangen werden, ohne dass alle Beiträge gleichgewichtig oder ausführlich gewürdigt werden.
Erstens entwirft Dieter Schott in seinen einleitenden Bemerkungen (7-26) zwar kein den Band leitendes Frageraster oder etwa ein homogenes Forschungs- oder Lehrprogramm. Aber er skizziert in wenigen Strichen das in erster Linie auf Martin Melosi und Joel Tarr zurückgehende Forschungsfeld der "Urban Environmental History", das sich nach einem heftigen Streit unter amerikanischen Umwelthistorikern als überaus ertragreich erweist. Mit einem weit gefassten Verständnis von Umwelt wird mit diesem Zugang die städtische Lebens(um)welt insgesamt in den Blick genommen und das starre und letztlich wenig produktive Gegeneinander von Kultur und Natur aufeinander bezogen. Diese Weiterung lässt sich mit dem in der jüngeren deutschen Umweltgeschichte zu beobachtenden Trend einer kulturgeschichtlichen Akzentuierung zusammen sehen.
Dass sich hier in der Tat Ertrag versprechende Perspektiven eröffnen, zeigen in besonderer Weise die Beiträge von Michael Stahl (27-45) und Wolfgang Behringer (123-144). Stahl spürt der Wasserversorgung antiker - vor allem römischer - Städte nach und zeigt an zahlreichen Beispielen, wie sehr antike Urbanität, Hygiene, Gesundheit und damit nach zeitgenössischem Verständnis kulturelles Leben überhaupt von einer stetigen und sicheren Versorgung abhingen. Dies belegen nicht nur literarische Zeugnisse, sondern auch viele Artefakte. Dass die demonstrative Wasserverschwendung zuweilen auch den sozialen Status vor Augen führte, fügt sich plausibel in diesen Zusammenhang und ist daher gewiss kein Zufall. Behringer widmet sich schriftlichen wie bildlichen Stadtdarstellungen in der Frühen Neuzeit und den mit ihnen verbundenen methodischen Schwierigkeiten. Er lotet dabei umsichtig das zutage tretende Spannungsverhältnis zwischen Stadtbildern und den - soweit aus anderen Quellen rekonstruierbar - realen Stadtumwelten aus. Hier begegnen nicht nur Stereotypen, sondern es müssen nicht zuletzt auch mediale, ökonomische und auch machtpolitische Gesichtspunkte in Rechnung gestellt werden, welche die bildlichen Stadtdarstellungen begleiteten.
Ein zweiter Punkt hängt mit dem seit Mitte der 1990er Jahre in der Umweltgeschichte diskutierten methodischen Konzept des "gesellschaftlichen Stoffwechsels" zusammen. Dieses vor allem in Wien unter Federführung von Marina Fischer-Kowalski entwickelte Modell konzentriert sich auf den In- und Output von Basisressourcen wie etwa Wasser, Holz oder anderen Energieträgern, auf die Städte angewiesen sind, und analysiert die Stadt-Umland-Wechselwirkungen sowie die langfristigen Folgen der Eingriffe in die Umwelt systematisch. Damit werden die sich in historischer Perspektive wandelnden und in vielen Fällen ausweitenden Stoffströme zwischen der Stadt und dem sie umgebenden Umland erfasst. Der Beitrag von Petra van Dam (83-103) ist diesem Ansatz verpflichtet, indem er das Verhältnis der niederländischen Städtelandschaft und seiner natürlichen Umwelt thematisiert. Van Dam führt die komplexen Wechselwirkungen des gesellschaftlichen Stoffwechsels plastisch vor Augen. Sie konzentriert sich dabei auf den Input eines Hauptenergieträgers in den Niederlanden des Mittelalters und der Frühen Neuzeit: Torf. Zwar beförderte der weitflächige Torfabbau wirtschaftliche Prosperität, aber er gestaltete zugleich die Umwelt von Grund auf um und ließ großflächige Binnenseen entstehen. Wo vorher Boden war, war nun Wasser. Das zwang die städtischen Gemeinwesen wiederum zu aufwendigen Investitionen in die Wasserkontrolle sowie Wasserver- und -entsorgung, die ohne die zweite Zentralressource dieser europäischen Region wohl noch kostspieliger ausgefallen wären: den Wind.
Fazit: Ein insgesamt anregender und durchweg lesenswerter, aber etwas heterogener Sammelband.
Nils Freytag