Johannes Burkhardt / Christine Werkstetter (Hgg.): Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit (= Historische Zeitschrift. Beihefte. Neue Folge; Bd. 41), München: Oldenbourg 2005, VII + 564 S., 26 Abb., ISBN 978-3-486-64441-8, EUR 94,80
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Der Sammelband dokumentiert den Ertrag des Frühneuzeitlertags in Augsburg im September 2001. Vorangestellt ist das Protokoll einer Podiumsdiskussion, in der sich Johannes Burkhardt, Gudrun Gersmann, Werner Faulstich und Michael Giesecke unter Moderation von Winfried Schulze über den Zeitrahmen des Buchdrucks zwischen dem Typendruck im Spätmittelalter und der Internetrevolution im späten 20. Jahrhundert äußerten. Ausgehend von einem breiten Kulturbegriff, der neben der menschlichen Sozialordnung auch die sonstige belebte sowie unbelebte Natur einschließlich der Technik und der Bodenschätze einbezieht, und einem entsprechend erweiterten Medien-Begriff besteht für Giesecke Kommunikation aus sozialer Informationsverarbeitung, Vernetzung der Kommunikatoren und "Spiegelungen", d. h. der Schaffung von Gemeinsamkeiten zwischen Medien und Kommunikatoren. Faulstich entwickelt eine eigene Periodisierung der Mediengeschichte, wobei 1400, 1700 und 1830 für ihn die prägenden Einschnitte für die alteuropäische Gesellschaft sind: 1400 Verbreitung der Papierherstellung und des Blockdrucks, 1700 Dominanz der Druckmedienkultur und 1830 als Durchsetzung u. a. der Dampfpresse. Für Burkhardt beginnt die Neuzeit mit dem Buchdruck. Erst durch die technischen Reproduktionsmöglichkeiten des Druckens konnte die Reformation mehr werden als nur eine innerkirchliche Reformdebatte. Den deduktiven Weg zum Thema wählt Gersmann. Sie sieht im beginnenden 21. Jahrhundert Tendenzen, die Bücherflut, die die Statik altehrwürdiger Bibliotheksgebäude bedrohlich belastet, zu mindern, indem die Bücher nach der Digitalisierung vernichtet werden. Zwar würden nicht die Wissenschaften als Ganze durch derartige Praktiken bedroht, wohl aber die Buchwissenschaften, wenn das Wissen künftig nicht mehr in gedruckter Form ausgefertigt und in Bibliotheken physisch für die Nachwelt vorgehalten werde.
Die Reihe der Vorträge eröffnet Wolfgang Behringer mit der Hervorhebung der doppelten Kulturrevolution der Buchdruckdurchsetzung und der Errichtung des reichsweiten Postsystems, also mit der "Gutenberg-Galaxis" und der "Taxis-Galaxis". Diese doppelte Kommunikationsrevolution bezeichnet er als "Fundamentalvorgang der Moderne", der in seiner "prototypischen" Form in der Frühen Neuzeit stattgefunden hat (39).
Der Frühneuzeitlertag teilte sich in sechs Sektionen. Stephan Füssel führt in den ersten Teil über "Klassische Druckmedien der Frühen Neuzeit" ein. Anschließend charakterisiert Ute Schneider die Rolle des Buches als Wissensspeicher und -vermittler. Wichtigste Profiteure des neuen Mediums wurden zum einen die Universitätsangehörigen, zum anderen die Bücher produzierenden Handwerker und die "Buchführer", die ein Netzwerk zum Vertrieb der Werke aufbauten, das in den Buchmessen in Frankfurt und später in Leipzig gipfelte. Silvia Serena Tschopp erläutert die Funktionsweise der frühmodernen Flugschriftenpublizistik am Beispiel der Eroberung Magdeburgs 1631. Holger Böning stellt Zeitungen und Zeitschriften als neue Medien des 17. und 18. Jahrhunderts vor. Die periodischen, kurzen Gazetten des 17. Jahrhunderts schufen die Grundlagen für den Diskurs der gebildeten Leser, der dann in den Zeitschriften seinen Austrag fand.
Gerd Schwerhoff führt in den zweiten Diskussionsteil über "Kommunikationsraum Dorf und Stadt" ein. Im dörflichen Kirchenraum der Katholischen Konfessionalisierung sieht Werner Freitag einen zweifachen Veränderungsprozess: Zunächst war er mit neuem Interieur versehen worden (Kniebänke, Hochaltäre, Tabernakel), um den Gläubigen im tridentinischen Sinne zu beeinflussen, zum anderen wurde "Ritusgenauigkeit" zelebriert und erwartet. Christopher Friedrichs untersucht das frühmoderne Rathaus in seiner Bandbreite vom repräsentativen Prunkbau bis hinunter zum einfachen Bürgerhaus: Es demonstrierte das Selbstverständnis von Magistrat und Bürgerschaft in Verbildlichung und Symbolik nach innen und außen, bot Raum für Festlichkeiten unpolitischer Natur und war gleichzeitig der Raum für herrschaftliche Arkana. Maria Heidegger stellt den Kommunikationsraum des Dorfes anhand der Quellengattung der Gerichtsbücher am Beispiel von Beleidigungsprozessen vor. Die Bedeutung von Nachbarschaft überwog in diesem Kommunikationsrahmen die der Verwandtschaft. Dagmar Freist widmet sich dem Wirtshaus im frühmodernen London. Früher als in Mitteleuropa war das Wirtshaus nicht nur der Ort der Verbreitung von Nachrichten aller Art, sondern wurde auch der Rahmen für räsonierende Öffentlichkeit im politischen Sinne.
Der dritte Diskussionsteil über "Kommunikationsraum Region und Reich" wird von Maximilian Lanzinner eingeführt. Zunächst rekonstruiert Michael North das Heilige Römische Reich als kommunikative Einheit. Das Reich als Kommunikationssystem hatte deutliche Grenzen nach außen und zeichnete sich durch Integrationsfaktoren nach innen aus. North exemplifiziert dies anhand der Schriftwechsel im Rahmen der Reichsgerichte, anhand der Gutachten der juristischen Fakultäten zu territorialen Rechtsstreitigkeiten, anhand der Gesandten des Reichstags sowie anhand der Diskurse der Reichspublizistik. Dietmar Heil analysiert den Reichstag als Zentrum politischer Kommunikation am Beispiel zweier Zeitschnitte: Den Reichstag 1505 unter Kaiser Maximilian I., geprägt durch eine offene Kommunikation, und den Reichstag 1566 unter Kaiser Maximilian II., als nach weitgehend abgeschlossener Reichsreform eine Stabilisierung der kommunikativen Verfahrensweise eintrat. Christine Werkstetter untersucht eine Spezialsituation des "Immerwährenden Reichstags", nämlich dessen Ausweichen nach Augsburg 1713/14 wegen der Pest in Regensburg. Ausgiebiger Schriftverkehr war erforderlich, da Fürsten wie Reichstagsgesandte gerade nicht am Ort der Seuche sein wollten, aber dennoch über den Fortgang der Bedrohung minutiös unterrichtet zu werden verlangten.
Die Einführung in den vierten Diskussionsteil über "Kommunikationsraum Europa und Welt" übernimmt Mark Häberlein. Christl Karnehm stellt die Korrespondenzen des Handelsunternehmers Hans Fugger vor, die sie zur Edition vorbereitet. Fast 5.000 Briefe aus 30 Jahren erhellen das weit gespannte Korrespondenznetz und die innere Struktur des Handelsunternehmens. Auch Martin Stuber kann sich auf eigene editorische Vorarbeiten stützen, wenn er den Briefverkehr des Berner Arztes und Ratsherrn Albrecht von Haller untersucht. Haller hinterließ 17.000 Briefe mit mehr als 1.000 Korrespondenzpartnern in fünf Sprachen, sein Briefwechsel ist damit einer der reichhaltigsten der gesamten Frühmoderne. Im Gegensatz zu Fugger handelt es sich bei Haller um Gelehrtenkorrespondenz. In Häberleins eigenem Vortrag geht es um Korrespondenz in der Neuen Welt: Verhandlungen zwischen der Provinz Pennsylvania und dem Irokesenbund in der Mitte des 18. Jahrhunderts bedurften nicht nur diplomatischen Geschicks, sondern intensiver Berücksichtigung der kommunikativen Gepflogenheiten beider Seiten.
Sabine Doering-Manteuffel stellt den fünften Diskussionsteil über "Informationsstrategien -Propaganda, Geheimhaltung, Nachrichtennetze" vor. Sie referiert selbst über Jesuiten-Fabeln als Literaturgattung der Propaganda gegen die katholische Konfessionalisierung. Ein Zweig dieses Genres waren die Revokationspredigten, in denen ein ehemaliger Jesuit schilderte, aufgrund welcher erlebten Grausamkeiten er zum Protestantismus konvertiert sei und nun als lutherischer Prediger amtiere. Regina Pörtner untersucht Überlebens- und Kommunikationsstrategien von Protestanten unter dem gegenreformatorischen Druck in der Steiermark. Franz Mauelshagen fordert, den Blick auf die Nachrichtennetzwerke zu richten, die hinter den überlieferten Druckmedien stehen. Hier würden die Entscheidungen getroffen, was die Gesellschaft an Informationen erhielt und was nicht.
Der sechste Diskussionsteil über "Der Körper als Medium" wird von Rudolf Schlögl eingeführt und später durch ein Resümee abgeschlossen. Dabei rekonstruiert Jörn Sieglerschmidt die Theoriegeschichte in den Kulturwissenschaften in Hinblick auf die Bedeutung des Körpers. Vor dem Hintergrund der Ethnomethodologie weist er darauf hin, dass der Historiker nicht nur den Mangel an Quellen für einen beliebigen Gegenstand seiner Erkenntnis beklagen sollte, sondern auch den Verlust des Performativen der jeweiligen Handlung(en), die er untersucht. Franz-Josef Arlinghaus stellt die Bedeutung von Körpersprache im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rechtssystem vor. Rituale im Gerichtssaal stellten Diskursräume erst her. Zunehmende Verschriftlichung und Institutionalisierung des Rechts führten nicht sogleich zum Bedeutungsverlust des Körpers als Kommunikationsmedium. Stefan Haas untersucht die körperliche Performanz bei frühneuzeitlichen Hochzeiten. Durch Körperbilder und Körperrituale aktualisierten die Beteiligten ein Bild von der gültigen gesellschaftlichen Ordnung und wiesen dem Brautpaar darin ihren Platz zu. Dem staatlichen Durchdringungsprozess der Frühmoderne entsprechend mussten sich auch Ehe und Eheschließung einer zunehmenden Reglementierung unterziehen. Mark Hengerer geht von der umgekehrten Perspektive aus, wenn er fragt, wo und unter welchen Umständen Körper und Körperlichkeit als Störfaktoren im Modernisierungsprozess betrachtet wurden. Dabei betont er die Fortdauer körperlichen Präsenz und Präsentation in der höfischen Sphäre, während in den entstehenden Behörden der Körper mehr und mehr neutralisiert werden sollte.
Bei einem großen Kongress mit einer Podiumsdiskussion, sechs Moderationen und mehr als 20 Referaten irritiert v. a. die Offenheit der beiden Leitbegriffe. Begriffsgeschichtliche und begriffssystematische Überlegungen sollten vorangetrieben werden, um Flugschrift, Lüge und Körper als Medien der Kommunikation leichter in Beziehung zueinander setzbar werden zu lassen, als das bislang möglich ist. Die Organisatoren des Frühneuzeitlerkongresses sahen Referate und Aussprachen denn auch als "work-in-progress", denen weitere Debatten folgen werden.
Johannes Arndt