Thomas J. Figueira (ed.): Spartan Society, Swansea: The Classical Press of Wales 2004, XV + 389 S., ISBN 978-0-9543845-7-9, USD 79,50
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Lukas Thommen: Sparta. Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis, Stuttgart: J.B. Metzler 2003
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Paul Cartledge: Spartan Reflections, London: Duckworth Publishers 2001
Martin Dreher: Athen und Sparta, München: C.H.Beck 2001
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Piotr Kochanek: Die Vorstellungen vom Norden und der Eurozentrismus. Eine Auswertung der Patristischen und Mittelalterlichen Literatur, Mainz: Philipp von Zabern 2004
Ralph W. Mathisen / Danuta Shanzer (eds.): Romans, Barbarians, and the Transformation of the Roman World. Cultural Interaction and the Creation of Identity in Late Antiquity, Aldershot: Ashgate 2011
Die von Anton Powell und Stephen Hodkinson initiierten, seit dem Jahr 1989 in unterschiedlichen zeitlichen Abständen erscheinenden Tagungsbände zum Phänomen 'Sparta' gehören längst zu den etablierten Bestandteilen der neueren Sparta-Forschung und haben seit dem Beginn ihrer Publikation immer wieder wesentliche Impulse für weiteres und konkreteres Nachdenken über wichtige Probleme der spartanischen Geschichte und der eigentümlichen spartanischen Ordnung geboten. [1] Der hier anzuzeigende Sammelband setzt, dieses Mal unter der Federführung von Thomas Figueira, diese Reihe fort und bietet einmal mehr wichtige Einblicke in die zunehmend diversifizierte aktuelle Sparta-Forschung. Unter dem - freilich sehr weit gefassten - Motto "Spartan Society" werden in 16 Beiträgen erneut zentrale Diskussionsfelder behandelt, die von den weiterhin erklärungsbedürftigen Besonderheiten des spartanischen 'Kosmos' über die sich zunehmend komplexer gestaltenden Fragen nach Landbesitz und Landverteilung in Sparta, nach Kult und der Kultpraxis, nach der Rolle der spartanischen Frauen, dem Verhältnis der Spartiaten zu den Heloten, den Problemen spartanischer Innen- und Außenpolitik bis in die antike und nachantike Wirkungsgeschichte reichen.
Große Überzeugungskraft besitzt der einleitende Beitrag von Stefan Link über die besondere Bedeutung des Stehlens in Sparta (1-24). Link, der in jüngerer Zeit in mehreren Arbeiten die These vertreten hat, dass verschiedene spartanische Eigentümlichkeiten - wie etwa die Organisation der Helotie - aus Parallelen in den homerischen Epen gedeutet werden können und dass die Spartaner ihr eigenes Selbstverständnis durchaus auch aus dem Vorbild der homerischen Helden gewonnen hätten [2], vermag auch das Phänomen des Stehlens in Sparta überzeugend in diese 'homerischen' Zusammenhänge einzuordnen und mit der Helotie zu verknüpfen. Damit sind jedoch Theorien, die das Stehlen im Kontext von Initiations- bzw. Übergangsriten interpretieren, keineswegs widerlegt; vielmehr scheinen mir die beiden Erklärungsansätze durchaus auch nebeneinander bestehen zu können. Wichtig sind in diesem Zusammenhang indes Links Argumente gegen die neuerdings von Nino Luraghi geäußerten Theorien zur Entstehung der Helotie [3]; Letztere wurden in der Forschung mit gutem Grund skeptisch aufgenommen. [4]
Die spärlichen und widersprüchlichen Nachrichten zum Landbesitz bzw. zum Klarossystem in Sparta unterzieht Thomas Figueira einer erneuten Diskussion, um in der Folge zu einem eher konservativen Ergebnis zu gelangen, wonach ursprünglich jedem Spartiaten, der die Agogé durchlaufen hatte, ein Klaros zugestanden habe - ein System, das durch die Eroberung Messeniens eine gewisse Konsolidierung erfahren habe und erst durch die Folgen des Erdbebens in den 460er-Jahren aus dem Gleichgewicht geraten sei, als es erstmals zu größeren Besitzunterschieden in Sparta gekommen sei (47-76). Eine prominente Rolle innerhalb seiner Argumentation spielt die in der Forschung heftig umstrittene, bei Herakleides Lembos erwähnte angeblich unveräußerbare archaia moira; diese hat aber, wie Stefan Link vor längerer Zeit wahrscheinlich gemacht hat, möglicherweise nie existiert. [5]
Eng verknüpft mit generellen Problemen des Landbesitzes in Sparta sind Fragen nach den Möglichkeiten für Frauen, Besitz zu erwerben und zu bewahren. Stephen Hodkinson behandelt diese Frage auf Basis seiner grundlegenden Monografie zu "Property and Wealth in Classical Sparta" [6] und warnt zu Recht vor simplifizierenden Sichtweisen und Erklärungsmodellen, wie sie die tendenziösen antiken Quellen (Aristoteles, Plutarch) suggerieren (103-136). Insbesondere die auf den ersten Blick nahe liegende Verknüpfung des u. a. durch demografische Probleme (Oliganthropie) verursachten 'Niedergangs' Spartas im 4. Jahrhundert v. Chr. wurde in der Forschung allzu leichtfertig direkt mit dem Entstehen neuer Handlungsspielräume für Frauen verknüpft, ohne den "broader socio-political context" (128) zu beachten.
Das ganze Dilemma der Sparta-Forschung wird in den Beiträgen von Annalisa Paradiso (179-198) und David Harvey (199-217) ersichtlich, die sich beide mit der angeblichen Beseitigung von ca. 2000 Heloten im Jahr 424 v. Chr. beschäftigen: Während Paradiso gute Argumente anführen kann, die gegen die Glaubwürdigkeit des entsprechenden Thukydides-Berichtes (Thuk. 4,80) sprechen, vermag Harvey die Historizität des Vorfalls plausibel zu machen. Die Frage lässt sich letztlich nicht mit Sicherheit entscheiden, und sie steht damit stellvertretend für eine ganze Reihe weiterer, z. T. zentraler Probleme der aktuellen Sparta-Forschung.
Trotz allem - und dies zeigt nicht zuletzt der gelungene Sammelband - lohnt sich weiteres Nachdenken. Gerade die zunehmende Vertiefung alter Forschungsprobleme, wie sie in den letzten beiden Jahrzehnten erfolgt ist, hat zu einer Fülle neuer Lösungsansätze und möglicher Antworten geführt. Für den Betrachter von außen dürfte die neuere Sparta-Forschung dabei in zunehmend ambivalentem Licht erscheinen: Zum einen ist es ihr gelungen, traditionelle Klischees und Ideologeme, die seit der Antike reproduziert worden sind, weitgehend aufzubrechen und sich von ihnen frei zu machen. Andererseits ist dies aber auch mit einer Spezialisierung einhergegangen, die es immer schwieriger macht, einheitliche Linien in den Untersuchungen der letzten Jahre auszumachen. Der vorliegende Sammelband spiegelt beide Tendenzen und steht damit als Zwischenbilanz und Impulsgeber im Zentrum der aktuellen Diskussionen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. A. Powell (Hg.): Classical Sparta: Techniques Behind Her Success, London 1989; A. Powell / St. Hodkinson (Hg.): The Shadow of Sparta, London / New York 1994; St. Hodkinson / A. Powell (Hg.): Sparta. New Perspectives, London 1999; A. Powell / St. Hodkinson (Hg.): Sparta. Beyond the Mirage, Swansea / London 2002.
[2] Vgl. St. Link: Das frühe Sparta, St. Katharinen 2000, 45 ff.
[3] N. Luraghi: Helotic Slavery Reconsidered, in: A. Powell / St. Hodkinson (Hg.): Sparta. Beyond the Mirage, Swansea / London 2002, 227-248.
[4] K.-W. Welwei: Überlegungen zur frühen Helotie in Lakonien, in: A. Luther / M. Meier / L. Thommen (Hg.): Das Frühe Sparta, Stuttgart 2006, 29-41.
[5] St. Link: Landverteilung und sozialer Frieden im archaischen Griechenland, Stuttgart 1991, 92 ff.
[6] St. Hodkinson: Property and Wealth in Classical Sparta, London 2000.
Mischa Meier