Maike Weiß / Alexander Weiß: Giftgefüllte Nattern oder heilige Mütter. Frauen, Frauenbilder und ihre Rolle in der Verbreitung des Christentums (= Antike Kultur und Geschichte; Bd. 8), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, 148 S., ISBN 978-3-8258-9014-8, EUR 20,90
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Ca. 205/6 n. Chr. schrieb Tertullian eine Abhandlung "Über die Taufe", die er im ersten Kapitel u. a. mit dem Auftreten einer christlichen, aber nicht namentlich genannten Prophetin begründet. Diese "giftgefüllte Natter" (vipera venenatissima) stand beim Titel des vorliegenden Buches Pate, verfasst vom Ehepaar Maike und Alexander Weiß. Diesen Giftnattern werden die (eigentlich unpassenden!) "hl. Mütter" entgegengesetzt, was einen etwas reißerischen, aber wohl als verkaufsfördernd gedachten Titel abgibt. Es geht um die Rolle der Frauen bei der Ausbreitung des Christentums bis zum Beginn des 4. Jahrhunderts und um die Frauenbilder im frühen Christentum. Die Autoren können dabei auf mehrere Einzeluntersuchungen der Forschung zurückgreifen und setzen sich dabei kritisch mit der sogenannten "feministischen Exegese" auseinander, der sie eine wissenschaftlich eher vertretbare historisch-philologische Methode gegenüberstellen, obwohl die "Feministinnen" nach ihrem Selbstverständnis keine eigene Methodik entwickelt haben. [1]
Das Buch steht unter der Fragestellung: Was hatten Frauen damals zu sagen, und wo und wie taten sie es. Dabei lassen sich insgesamt drei Phasen unterscheiden: Ein "weiblicher Massenaufbruch in das Christentum der ersten Tage" (13), dann ab dem 2. Jahrhundert eine Reduzierung des Frauenanteils bei der Missionierung auf die (meist häretischen) Prophetinnen, weil der Prophet geschlechtsneutral als Sprachrohr Gottes galt, und schließlich die Frau als Märtyrerin. Martyrium wird hier wörtlich als "Zeugnis schlechthin" verstanden, umfasst also alle Personen, die gelehrt und verkündet haben. So begründet sich schließlich der breite Raum, den die hier behandelten Märtyrerakten einnehmen. Das führt zu bestimmten Ausschlüssen. So bleibt die Purpurhändlerin Lydia (Apg 16,14f.40) unberücksichtigt (20.30), weil sie eine (passiv) Lernende, nicht eine (aktiv) Lehrende ist.
Das Buch ist in 7 Hauptteile gegliedert. Kap. I (19-29) untersucht die Zeit des sogenannten "Neuen Testamentes" (NT) mit einem Schwerpunkt bei Priska (Apg 18,2f.18f.26), die einen gewissen Vorrang vor ihrem Mann Aquila zu haben scheint und ihre Lehr- und Verkündigerinnenrolle offenbar konfliktfrei mit der einer Ehefrau zu verbinden weiß. Daneben finden auch "Junia" (Rom 16,7), wohl wirklich eine Frau (V. Fabrega, JbAC 27/8, 1984/5, 47-64), "berühmt bei den Aposteln" (nach Burer / Wallace, NTS 47, 2001, 76-91), Eudocia und Syntyche (Phil 4,2f.) Berücksichtigung, ferner Phoebe (24-27), Diakonin der "Kirche" von Kenchreai (Rom 16,1), Maria, Tryphosa, Tryphäna und Persis (alle Rom 16,12), die "schwere Arbeit" verrichtet haben, was wörtlich oder im übertragenden Sinne verstanden werden kann. In diese erste Phase gehören auch die vier jungfräulichen Töchter des Missionars Philippus (Apg 21,8f.).
Kap. II (33-47) behandelt die nachapostolische Zeit, in der das Predigtverbot des Paulus für Frauen (1Kor 14,34) zunehmend an Bedeutung gewinnt und Frauen missionarisch fast nur noch als Prophetinnen anerkannt sind. Allerdings zeigt Tertullian, dass es zu seiner Zeit noch selbstbewusste Frauen gibt, die neben der Lehrtätigkeit offenbar auch Exorzismen, Heilungen und die Taufe für sich beanspruchen. Bei Philumene (37-40) können wir dank Tertullian und Hippolyt erstmals etwas über den Inhalt der Lehre einer weiblichen Theologin sagen. Maximilla und Priscilla (41-44) bildeten mit Montanus zusammen um 170 n. Chr. die "phrygische Bewegung", die erst ab Mitte des 4. Jahrhunderts als "Montanismus" bezeichnet wird. Bemerkenswert hier Tertullians Lobsprüche auf Priscilla (exhort. cast. 10,5), als er selbst zum Montanismus übergetreten war! In der gesamten Zeit bis ca. 300 n. Chr. findet sich nur eine "rechtgläubige" Vertreterin, Ammia aus Philadelphia (44-47), die von einem gewissen Miltiades als Beispiel für eine orthodoxe Prophetin genannt wird (Eus. h.e. 5,17,2).
Die Kap. III-VI bilden den Kern des Buches: die Martyrien von Frauen. Nach einem Überblick über die Christenverfolgungen (48-53) wird der Märtyrerbegriff geklärt, der vom ursprünglichen "Zeugen" für Christus über denjenigen, der um dieses Zeugnisses willen gelitten hat, etwa ab Tertullian nur noch den Blutzeugen meint.
Im Mittelpunkt steht das Martyrium der Vibia Perpetua (54-103), das etwa ein Drittel des gesamten Buches ausmacht. Das Besondere an diesen Märtyrerakten ist, dass der Redaktor eine Icherzählung der Heldin bis zum Vorabend ihrer Hinrichtung verarbeitet hat, einmalig in den frühchristlichen Märtyrerakten. Der Inhalt dieses Berichtes, dessen Kenntnis hier vorausgesetzt werden muss, ist die Entwicklung einer "normalen" gehorsamen und verheirateten Frau (der Mann wird allerdings nie erwähnt!), die einen kleinen Sohn hat, zu einer "Kämpferin". Mittels vier Visionen wird sie auf diese Rolle vorbereitet, die in einer "Maskulinisierung" endet: "...et expoliata sum et facta sum masculus" (Pass.Perp.et Fel. 10,7). Diese Passage ist für jede (feministische und nicht-feministische) Interpretation eine besondere Herausforderung. Die Autoren sehen es so, dass Perpetua nicht ein Mann, sondern "wie ein Mann" wird, unter (auch grammatischer) Beibehaltung ihres weiblichen Geschlechtes. Sie wächst in einer schrittweisen Loslösung von der materiellen Welt (Bruch mit dem Vater, Entzug des Kindes) als eine von Christus bestimmte "männlich" siegende Märtyrerin über sich hinaus. Diese Passagen bilden den Höhepunkt des Buches!
Im Zusammenhang des Christenmassakers von Lyon im Jahre 177 wird die Sklavin Blandina zur Seelsorgerin und Führerin. Ihr Schicksal wird in Kap. V behandelt (104-108). Geschlechtsspezifische Konventionen fallen angesichts der Bedrohung weg.
Die Reihe der historischen Beispiele wird mit der Senatorin Crispina aus Thagora beschlossen (Kap. 6, 109-117). Ihre Märtyrerakten vom 5.12.304 verfallen im 2. Teil in ein niederes Niveau, das sicher nicht authentisch ist. Crispina ist ein Gegenbeispiel gegen die vielen "lapsi" der Zeit, d. h. die Außenwirkung spielt immer auch eine große Rolle.
Das Abschlusskapitel VII (118-136) ist der fiktionalen Thekla gewidmet und schließt eine berechtigte Kritik an Anne Jensens "Thekla - die Apostolin" (1999) ein. Wir haben es hier mit einem Frauenbild aus männlicher Perspektive zu tun, angereichert mit erotischen und sexuellen Aspekten. Schon Tertullian wusste, dass es sich um die Fälschung eines Presbyters aus dem Osten handelte (bapt.17,4). Es kann keine Rede von einer "Erzmärtyrerin" oder "Apostolin" sein; sie hatte nie einen Missionsauftrag und stellte die traditionellen Geschlechterrollen nie infrage.
Das (leider nicht ganz fehlerfreie) Buch ist auf jeden Fall lesenswert. Die Autoren bemühen sich um Wissenschaftlichkeit und Ausgewogenheit. Unter Einbezug theologisch-pastoraler Elemente und psychologischer Deutungen bleibt die Darstellung insgesamt immer im Bereich einer wissenschaftlichen Nachprüfbarkeit. Ihr paradigmatischer Wert liegt darin, dass auch heute klar sein sollte, dass es zur augenblicklichen historisch gewordenen Entwicklung prinzipiell immer auch Alternativen gibt.
Anmerkung:
[1] Marie-Theres Wacker, in: Luise Schottroff / Silvia Schroer / Marie-Theres Wacker: Feministische Exegese. Forschungserträge zur Bibel aus der Perspektive von Frauen, Darmstadt 1995, 61: "Feministische Exegese entwickelt selbst keine neuen Methoden, ist aber innovativ auf der Ebene der Methodologie...".
Karl Leo Noethlichs