Martin Faber: Scipione Borghese als Kardinalprotektor. Studien zur römischen Mikropolitik in der frühen Neuzeit, Mainz: Philipp von Zabern 2005, X + 544 S., ISBN 978-3-8053-3402-0, EUR 51,00
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Anzuzeigen ist ein weiteres Kapitel aus der Geschichte des Pontifikats Papst Paul V. Borghese, Martin Fabers Freiburger Dissertation über die Kardinalprotektorate des Papstnepoten Scipione Borghese. Gegenstand der Untersuchung ist aber weniger die Mikropolitik der Kurie und ihrer Vertreter, wie sie zuletzt etwa von Mitgliedern der "Freiburger Schule" Wolfgang Reinhards untersucht wurde [1], sondern eher ein Aspekt der kirchlichen Verfassungsgeschichte, der sich mit den Problemen des institutionalisierten Klientelismus der frühneuzeitlichen Kurie überschneidet.
Es geht um die "Protektorate", die Kardinäle über kirchliche Institutionen ausübten. Ganz allgemein gefasst handelt es sich bei der hier zur Debatte stehenden "Protektion" um eine Schirmherrschaft (und Aufsicht) eines Kardinals über Orden, Kongregationen, Bruderschaften, kirchliche Vereine und in der Frühen Neuzeit auch über Länder und Nationen. [2] Eine präzise Definition des kirchlichen Protektorats bleibt Faber in der Einleitung schuldig. Der Verweis auf das völkerrechtliche Instrument der Protektion, auf die Faber am Beispiel des 19. und 20. Jahrhunderts eingeht, ist in diesem Kontext wenig hilfreich, da beide wenig miteinander gemein haben. Dass "Protektion" in den 1630er Jahren für die Außenpolitik Frankreichs von großer Bedeutung war, übersieht Faber (9-11). [3]
Die völkerrechtliche Protektion kommt daher im weiteren nicht mehr zur Sprache. Vielmehr liegt für den an Reinhardscher Methodik und mit der Geschichte der Kurie vertrauten Historiker der Verdacht nahe, "daß sich die Kardinalprotektorate [...] zu einer Art institutionalisierter Patronage entwickelt hatten und Kardinäle die Einflußmöglichkeiten, die ihnen als Protektoren verschiedener Institutionen zukamen, vor allem für den Aufbau ihrer Klientel nutzten" (8). Dies ist das Thema der Studie Fabers, die der "Gesamtheit der Protektorate eines einzelnen Kardinals" (2), des Papstnepoten Scipione Cafarelli-Borghese (1576-1633), gewidmet ist. [4] Das besondere an den Kardinalprotektoraten ist, dass ihre Ausübung nicht an die Amtszeit des Papstes gebunden war, "daß es sich also nicht um Ämter handelte, die ein Nepot mit dem Tod seines päpstlichen Onkels wieder verlor" (8). Die Vermutung liegt daher nahe, dass sich Borghese über seine Funktion als Protektor eine Position innerhalb der Kurie erarbeiten konnte, die ihm auch über das Pontifikat seines Onkels hinaus Einfluss und Macht im Kirchenstaat sichern konnte (214, 372 f.).
Die Liste der Protektorate Scipione Borgheses ist lang. Sie beinhaltet erstens Ordensprotektorate (Dominikaner und Olivetaner, Kamaldulenser und Malteser, letztere von geringer Bedeutung) (21-206), Nationen- und Städteprotektorate sowie Protektorate über "Luoghi Pii", ein Begriff, der "letztlich alle religiösen Einrichtungen, mit Ausnahme von Orden" umfasst (290). Im Falle Borgheses zählten dazu das Protektorat über den Wallfahrtsort Loreto, die Capella Paolina in Santa Maria Maggiore (Rom), Grabkapelle Pauls V., die Vatikanische Bibliothek, sowie verschiedene Bruderschaften, Klöster und Frauenhäuser (d. h. Frauenklöster). Alle Facetten, die die Funktion des Kardinalprotektors mit sich brachte, werden quellennah, systematisch und mit der Gründlichkeit, wie man sie man von der "Reinhardschen Schule" kennt, ausgeleuchtet.
Ein einheitliches Bild des "Protektors" ist schwer zu zeichnen, da die Spannweite des Amtes sehr weit war. Sie reichte vom reinen Ehrentitel, wie dem des Protektors der Vatikanischen Bibliothek oder der Stadt Avignon, bis hin zu dem mit weitreichenden weltlichen und kirchlichen Kompetenzen verbundenen Amt des Protektors des Wallfahrtorts Loreto. Da die Protektoren oft von dem zu Protegierenden ausgewählt wurden, blieb ihr tatsächlicher Handlungsspielraum begrenzt bzw. wurde von äußeren Faktoren geprägt. So konnte Borghese als Protektor des Olivetanerordens gemeinsam mit seinem Onkel zwischen 1617 und 1621/24 in großem Umfang Einfluß auf die Besetzung der Leitungsfunktionen des Ordens nehmen, doch mit dem Antritt des Barberinipapstes Urban VIII. hatte dieser das letzte Wort in Personalfragen, und Borghese trat in den Hintergrund.
Als Protektor einer "Nation" schließlich befand sich Borghese auf der Ebene der internationalen Politik. Die Herrscher des Landes, dessen Protektor man war, betrachteten den Amtsinhaber als ihren Interessensvertreter und Lobbyisten an der Kurie. Auf die kirchlichen Verhältnisse in Deutschland wirkte Borghese, Protektor der deutschen Nation seit 1611, aber nicht ein. Die Interessen des Kaisers konnte er nur indirekt vertreten, etwa indem er bei der Besetzung von Ämtern den Kandidaten des Kaisers und nicht den der Katholischen Liga bevorzugte. Eine allzu offene Unterstützung des Hauses Habsburg, wie etwa die geplante Vereinigung aller habsburgischen Herrschaftsgebiete (Deutschland, Flandern und Spanien) unter dem Protektorat Borgheses, scheiterte am erbitterten Widerstand Frankreichs (und seiner Parteigänger an der Kurie). Auf lange Sicht profitierten oftmals mehr die Protegierten als der Protektor von dieser Institution (387 f.).
Das Reizvolle an dem Amt und damit wohl einer der Hauptgründe dafür, dass Borghese als Papstnepot so viele Protektorate "sammelte", bestand in dem damit verbundenen Prestige und der erwähnten Tatsache der Verleihung auf Lebenszeit. Denn damit schloss er eine Versicherung auf die Zeit nach dem Pontifikat seines päpstlichen Onkels ab, und konnte die Position der Familie innerhalb der römischen Gesellschaft dauerhaft festigen, eine Sorge, die jeden Papst seit der Renaissance umtrieb. "Klassische" Patronagepolitik im Reinhardschen Sinne, der Aufbau eines Netzwerks, in dem Borghese als Patron agierte, so ist der Eindruck, der sich bei der Lektüre einstellte, stand eher im Hintergrund. Insofern ist die bilanzierende Feststellung Fabers, Borghese habe "seine Protektorate in erster Linie dazu [genutzt], um Patronage zu üben" (503), zu relativieren bzw. zu differenzieren, umso mehr, als dass genau dies durch den Autor in den sich daran anschließenden Erläuterungen erfolgt (503 ff.). Eine Modifizierung der Ausgangsthese, die sich durch die Konfrontation mit den Quellen ergibt, wertet aber in keinster Weise eine Studie ab.
So liegt hier ein weiterer Baustein zur "Totalgeschichte" des Pontifikats Pauls V. vor, der jedoch auch darüber hinausgreift. So ist die Darstellung der Protektoraten von Bruderschaften (373-496) quasi eine Monographie in der Monographie, die dem Gesamtkomplex des Instituts des Protektorats gewidmet ist und in der Borghese nur eine Nebenrolle einnimmt. Fabers Studie gibt insgesamt einen detaillierten Einblick in einen bedeutenden Aspekt der Verfassungsgeschichte des posttridentinischen Katholizismus: das Institut des Protektorates.
Anmerkungen:
[1] Christian Wieland: Fürsten, Freunde, Diplomaten. Die römisch-florentinischen Beziehungen unter Paul V. (1605-1621) (= Norm und Struktur; Bd. 20), Köln, Weimar, Wien 2004. Rezension in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9 [10.09.04], URL: http://www.sehepunkte.historicum.net/2004/09/5335.html. Wolfgang Reinhard (Hg.): Römische Mikropolitik unter Papst Paul V. Borghese (1605-1621) zwischen Spanien, Neapel, Mailand und Genua (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 107), Tübingen 2004. Rezension in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 6 [15.06.05], URL: http://www.sehepunkte.historicum.net/2005/06/6983.html.
[2] Manfred Heim: Kleines Lexikon der Kirchengeschichte, München 1998, S. 235.
[3] Zur Protektion in der Außenpolitik Frankreichs grundlegend Wolfgang H. Stein: Protection royale. Eine Untersuchung zu den Protektionsverhältnissen im Elsaß zur Zeit Richelieus (1622-1643) (= Schriftenreihe der Vereinigung z. Erforschung der Neueren Geschichte; Bd. 9), Münster 1978, bes. S. 6-10.
[4] Somit ergänzt Fabers Studie ältere Freiburger Studien zur Karriere des Nepoten Pauls V.: Volker Reinhardt: Kardinal Scipione Borghese (1605-1633). Vermögen, Finanzen und sozialer Aufstieg eines Papstnepoten (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 58), Tübingen 1984; Markus Völkel: Römische Kardinalshaushalte des 17. Jahrhunderts. Borghese - Barberini - Chigi (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 74), Tübingen 1993.
Sven Externbrink