Rezension über:

Anuschka Tischer: Ludwig XIV., Stuttgart: W. Kohlhammer 2017, 243 S., ISBN 978-3-17-021892-5, EUR 29,00
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Rezension von:
Sven Externbrink
Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Sven Externbrink: Rezension von: Anuschka Tischer: Ludwig XIV., Stuttgart: W. Kohlhammer 2017, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 6 [15.06.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/06/29935.html


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Anuschka Tischer: Ludwig XIV.

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Manchmal haben Jubiläen auch etwas Gutes: Der 300. Todestag Ludwigs XIV. am 1. September 2015 hat nicht nur in Frankreich die Produktion von Studien und Biografien des Sonnenkönigs intensiviert, sondern auch in Deutschland. Nachdem man für eine seriöse deutschsprachige Biografie Ludwigs XIV. lange nur auf die mehrfach wiederaufgelegten Arbeiten Klaus Malettkes zurückgreifen konnte, bieten den Lesern die Biografien von Martin Wrede, Mark Hengerer und nun auch von Anuschka Tischer einen soliden Zugang zur Person und zum Zeitalter des Sonnenkönigs.

Von einer Biografie im Format, wie ihn die Biografien-Reihe des Kohlhammer-Verlags vorschreibt, darf man keine vertieften methodisch-theoretischen Reflexionen über das Schreiben von Biografien erwarten. Dennoch entdeckt man schnell einige Leitlinien, die sich durch das verständliche und gut lesbare Lebensbild Ludwigs XIV. ziehen. Chronologisch vorgehend, werden immer wieder zentrale Problemkreise diskutiert: Ludwig XIV. als "roi de guerre" (Joel Cornette), die Inszenierung der Herrschaft (insbesondere im Rahmen, den das Schloss von Versailles seit 1682 bot, weniger die Jahrzehnte vor dem endgültigen Umzug dorthin), die dynastische Dimension königlicher Herrschaft, Ludwigs XIV. Religiosität und schließlich die europäische Dimension seiner Regentschaft - die Konkurrenz mit dem Habsburger Leopold I., der "anderen Sonne", der in seinem Herrschaftsanspruch seinem Vetter in Frankreich in Nichts nachstand.

Nüchtern und gut informiert führt Tischer anhand dieser Themen durch das Leben und die Epoche des Sonnenkönigs, immer ausgewogen im Urteil, mit Sympathie für den König als Familienmensch, wobei insbesondere - im Gegensatz zu manch einem Zeitgenossen - auch die zweite, heimliche Ehe des alternden Monarchen mit Madame de Maintenon eher positiv betrachtet wird. Da ein umfangreicher wissenschaftlicher Apparat in der Reihe des Verlages wohl nicht vorgesehen ist, fehlt ein Literaturverzeichnis. Die zitierte Literatur ist, so scheint es, an das deutsche Publikum angepasst, denn auf deutschsprachige Titel, auch ältere, wird immer wieder zurückgegriffen.

Aus den Originalquellen wird jedoch nur wenig zitiert. Eingangs weist Tischer auf die Problematik hin, dass unser Bild des Sonnenkönigs nicht zuletzt durch die problematischen Memoiren des Herzogs von Saint-Simon geprägt ist, der nur das erstarrende Leben am Hof in den letzten Lebensjahrzehnten erlebt hat. Zwar gibt es für die ersten Jahrzehnte der Regierung Ludwigs nichts mit Saint-Simon vergleichbares, aber insgesamt wünscht man sich vielleicht doch einen Rückgriff auf die zahlreichen Memoiren - so parteiisch sie jeweils auch sein mögen - um dem Leser zumindest einen kleinen direkten Kontakt mit dem "Esprit" des Zeitalters Ludwigs XIV. zu vermitteln. Der brandenburgische Diplomat Ezechiel Spanheim, hier möchte ich der Autorin doch widersprechen, war kein "Hugenotte", er war ein Genfer Calvinist mit kurpfälzisch-französischen Wurzeln, zeitlebens ein Repräsentant der "Calvinistischen Internationale". Seine Relation de la cour de France ist eine kritische, aber doch objektive Bestandsaufnahme von Hof und Monarchie auf der Basis seiner neunjährigen Präsenz in Paris und Versailles entstanden (anders Tischer 20). Gerade Spanheims Porträt des Königs ist äußerst facettenreich und arbeitet die wesentlichen Aspekte seiner Persönlichkeit heraus, ohne einseitig zu sein.

Abschließend betont Tischer die "unterschiedlichen Facetten" des Zeitalters Ludwigs XIV., deren Spannweite vom "Kriegskönig", der (vergeblich) versuchte, Europa eine französische Hegemonie aufzuzwingen, über den absoluten Monarchen, von dessen Regierung - aller berechtigten Absolutismus-Kritik zum Trotz - Impulse zur Entwicklung moderner Staatlichkeit in Frankreich ausgingen (204f.) bis zum Familienmenschen reicht. In Versailles schuf sich Ludwig XIV. den Rahmen oder die Bühne für seine Rolle als Monarch, die er bis zum Tode spielte. Sie verließ er nur im Kreise der Familie, hier Klaus Malettke folgend, wo "er authentisch greifbar [war], jemand der liebte, trauerte und sich sorgte" - doch auch hier immer darauf achtend, dass er im Zentrum der Aufmerksamkeit stand (206).

Man könnte darüber diskutieren, ob das Gesamtbild nicht am Ende doch zu "weich" gezeichnet wird und die Schattenseiten des "Großen Zeitalters" nicht zu sehr im Hintergrund bleiben. Besonders das letzte Drittel seiner Regentschaft war mit den Hungerkrisen der Winter 1693/94 und 1709, denen über eine Million Menschen zum Opfer fielen (knapp hierzu 158, 160-164), für die vielfach zitierten 20 Millionen Franzosen ein Zeitalter der Not. Zusammen mit dem ruinierten Staatshaushalt hinterließ Ludwig XIV. eine Hypothek, die sein Nachfolger kaum bewältigen konnte. Hier klafften Selbstbild und Realität weit auseinander und daher sollte man über die Hinweise auf die Kritik Vaubans und Fénelons sowie auf den Aufstand der Hugenotten in den Cevennen hinausgehen (161-166), und die sogenannte "Krise des europäischen Geistes" (Paul Hazard), die ja auch maßgebliche Impulse aus Frankreich empfing, zumindest ansprechen. Denn die Epoche Ludwigs XIV. ist zugleich Geburtsstunde derjenigen Ideen, die rund hundert Jahre später zum Untergang der vom Sonnenkönig verkörperten Gesellschaftsordnung führten. Die Namen der Protagonisten dieser frühen Aufklärung, gleich ob Baruch de Spinoza, Pierre Bayle, Richard Simon oder John Locke, tauchen nicht auf.

Aber diese Einwände ändern nichts an der Tatsache, dass hier eine kompakte, gut lesbare Darstellung und Einführung in das Leben und die Epoche des Sonnenkönigs vorliegt, auf die man gerade in der akademischen Lehre gerne zurückgreifen wird.

Sven Externbrink