Anne Cottebrune: Mythe et réalité du "Jacobinisme allemand". Des "amis de la Révolution" face à l`épreuve de la réalité révolutionnaire. Limetes des transferts culturels et politiques du Jacobinisme, Lille Cedex: Atelier National de Reproduction des Thèses 2005, 431 S., ISBN 978-2-284-04884-8, EUR 41,50
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Die Dissertation Anne Cottebrunes ordnet sich ein in eine Reihe von Publikationen, die sich der Untersuchung des bilateralen deutsch-französischen Kulturtransfers im 18. Jahrhundert verschrieben haben. [1] Cottebrunes Arbeit fragt zum einen nach dem realen Transfer der politischen jakobinischen Kultur des Frankreichs der Revolutionszeit, zum anderen ist ihre Intention, das Feld der deutschen Jakobinismusforschung neu aufzurollen (6).
Zunächst - so Cottebrune - bedarf es einer Klärung des Begriffs "französischer Jakobinismus". Und hier finden sich dann auch die ersten Fallstricke des Forschungsfeldes: Denn auch wenn namhafte Forscher wie Michel Vovelle, Patrice Guennifey und andere versucht haben, einen Archetyp des französischen Jakobinismus mit klaren Konturen herauszuarbeiten, so bleibt der Begriff schillernd, schwer zu fassen und so komplex, dass alle Definitionen letztendlich nur einen Teil dessen beschreiben, was in zeitgenössischen Quellen mit "jacobin" etikettiert wurde. Cottebrune entscheidet sich, François Furet und Mona Ozouf in ihrem Dictionnaire critique de la Révolution française folgend, für die enge Definition des Begriffs "französische Jakobiner", nämlich diese als "partisans de la dictature du Salut Public" (8) zu begreifen. Da die politische Situation in Deutschland während des Revolutionsjahrzehnts eine völlig andere war als die in Frankreich 1793/94, erscheinen damit zwangsläufig die meisten Formen des "deutschen Jakobinismus" für Cottebrune eben nicht als Äquivalent des französischen Jakobinismus und können somit weder als Ergebnis eines "erfolgreichen" Kulturtransfers noch als "Jakobinismus" verstanden werden (9). So optiert Cottebrune für eine Umetikettierung der "deutschen Jakobiner", die sie nun als "Freiheits- oder Revolutionsfreunde" bezeichnet. Mit dieser a priori-Entscheidung widmet sich Cottebrune dann der Analyse der Ausdrucksformen des eben nun nicht mehr als "deutscher Jakobinismus" und "deutsche Jakobiner" zu bezeichnenden Phänomens "deutsche Freiheitsfreunde" und ihren in Paris und (u. a.) in Mainz produzierten Texten zur Revolutionszeit.
Die von Cottebrune als notwendig eingeforderte konsequente Ersetzung des Begriffes "deutscher Jakobiner" durch "deutsche Revolutions- oder Freiheitsfreunde" ist nicht überzeugend, sondern wirkt artifiziell: 1. Der Begriff "deutsche Jakobiner" ist ein historischer Begriff, ein Stigma und ein Kampfbegriff, mit dem sich einige Protagonisten des "deutschen Jakobinismus" selbst identifizierten. [2] Es ist nicht verständlich, warum diese historischen Begriffe nicht als Synonyme beibehalten und durch Textanalysen semantisch gefüllt werden können. 2. Die Verwendung des Begriffs "deutscher Jakobinismus" setzt keinesfalls die Imitation des französischen Jakobinismus bzw. absolute Konvergenz voraus, und zwar weder, wenn man den Begriff "französischen Jakobinismus" in seiner vollen Komplexität zugrunde legt, noch wenn man ihn auf die Phase von 1793/94 beschränkt. Vielmehr kann bei Beibehaltung des Äquivalenz suggerierenden Begriffs durchaus eine Analyse vorgenommen werden, welche Formen und Inhalte des französischen Jakobinismus zu welcher Zeit in welchem Kontext in Deutschland oder bei deutschen Exilierten im Frankreich der Revolutionszeit nachzuweisen sind. 3. Kulturtransfer heißt nicht unbedingt, dass die zu transferierende Kultur als eine Art "Leitkultur" samt ihres politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Kontextes in einem anderen Land "erfolgreich" implantiert oder nachgeahmt wird, oder dass Kulturtransfer nur dort stattfinden kann, wo sich Systeme bzw. historischer Kontext gleichen. Die Kulturtransferforschung befasst sich vielmehr mit den Voraussetzungen, dem wie, was und warum und auch dem Scheitern von System- und Kulturtransfer - oder, wie Matthias Middell es bezeichnen würde, mit "produktiven Missverständnissen" [3], die zu einer Umdeutung des Transferproduktes führen können. 4. Wenn wie Anne Cottebrune schreibt, "la divergence des facteurs conjoncturels entre la France et l'Allemagne limite considérablement la possibilité d'une comparaison entre partisans allemands de la Révolution et révolutionnaires français" (16), dann wird zudem der komparatistische Ansatz in den Geschichtswissenschaften infrage gestellt. Komparatistische Ansätze in der Geschichtswissenschaft befassen sich gerade mit unterschiedlichen Ausgangssituationen und analysieren unter Berücksichtigung der Divergenzen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur bzw. deren länderspezifische Entwicklungen oder - und hier setzt die moderne Kulturtransferforschung an - deren Verflechtungen.
Sieht man von dieser Problematik einmal ab, so liefert Cottebrunes Dissertation eine gut recherchierte Studie deutscher Jakobiner und deutschen Jakobinismus in Paris und Mainz. Sie identifiziert zahlreiche unbekannte "deutsche Freiheitsfreunde" in Paris, verfolgt die Spur der Mainzer Republikaner nach Basel und ins französische Exil und analysiert dabei minuziös die Exilsituation in Paris von 1789 bis zum Ende der Revolution (Kapitel 2). Die folgenden Kapitel (3 und 4) zeigen dann anhand von Texten Georg Forsters, Konrad Engelbert Oelsners, Georg Kerners, Anton Joseph Dorschs und anderer deutscher Jakobiner auf, wie diese sich 1789 in der ersten direkten Konfrontation mit der Revolution in Paris gerierten, und ob und wie sich ihre zunächst unisono prorevolutionäre Haltung unter dem Eindruck des Sturms auf die Tuilerien am 10. August 1792, der Septembermassaker, der Ausrufung der Republik und der Etablierung der Terreur veränderte. Als Protagonisten der Spätaufklärung verstanden die meisten der deutschen Jakobiner in Paris die Revolution zunächst als die Erfüllung, angesichts der ersten revolutionären Gewalt dann wohl eher als "Vollstreckung" der Aufklärung. In Paris - so die Analyse Cottebrunes - wendeten sich bis auf Georg Forster alle dort 1793/94 lebenden deutschen Jakobiner nicht nur von der Revolution, sondern auch vom "Land der Freiheit" ab und entwickelten im Exil zunächst eine moralische Kritik am "Mutterland der Freiheit", nach der Rückkehr nach Deutschland dann auch eine nationalistisch fundierte negative Haltung gegenüber Frankreich und dem Export der Revolution.
Die von Cottebrune analysierten Quellen reichen von persönlichen Briefen über Zeitungsartikel zu Pamphleten und postrevolutionär veröffentlichten Schriften. Für den Kenner der Materie taucht hierbei die Frage auf, welches Kriterium bei der Auswahl der Quellen maßgeblich war, da einige der Forschung zum Teil sehr gut, einige zum Teil noch weniger bekannte Schriften aus dem Exil bzw. aus der "deutschen" Zeit dieser jakobinischen Autoren verwendet wurden, andere aber nicht. Darüber hinaus geht Cottebrune nicht konsequent quellenkritisch an das analysierte Material heran, setzt sich nicht mit den benutzten Medien des Transfers (privater Brief, öffentlicher Brief, Zeitungsartikel, Pamphletliteratur), deren Entstehungsbedingungen, Funktionen oder Gattungsspezifika auseinander und ordnet somit auch nicht den Inhalt der Quellen in ihren konstitutiven Rahmen ein.
Auch wenn Anne Cottebrune in ihrer Arbeit immer wieder unterschiedliche Facetten des deutschen Jakobinismus in Mainz und im Pariser Exil aufzeigt und durchaus genau zwischen einer radikalen Haltung wie der Georg Forsters und der eher girondistisch gemäßigten Oelsners unterscheidet, so verfällt die Arbeit doch immer wieder in eine zu homogene Wahrnehmung des deutschen Jakobinismus. Aussagen wie: «Après le spectacle des premiers excès et des débordements, les Revolutionsfreunde étaient susceptibles de se désolidariser d'un pays et d'une expérience qui n'incarnait plus leur idéal politique» (199), scheinen die sonst so minuziös geführte differenzierte Darstellung der Variationen des deutschen Jakobinismus in Paris zu konterkarieren. Vollends problematisch wird es, wenn Cottebrune Aussagen über den gesamten deutschen Jakobinismus macht (356 f.), ohne dabei den mittlerweile gut dokumentierten "deutschen Jakobinismus" im Elsass und vor allem in Straßburg überhaupt zu erwähnen. [4] Hier wäre eine Überarbeitung der Dissertation inklusive einer Berücksichtigung des neuesten Forschungsstandes dringend vonnöten gewesen. Insofern bleibt Cottebrunes Studie in manchen Bereichen hinter der Qualität etlicher neuerer deutscher und französischer Arbeiten zum deutsch-französischen Kulturtransfer und zum deutschen Jakobinismus zurück.
Anmerkungen:
[1] Siehe beispielsweise Hans-Jürgen Lüsebrink / Rolf Reichardt (Hg.): Kulturtransfer im Epochenumbruch. Frankreich - Deutschland 1770 bis 1815, Leipzig 1997 oder Daniel Schönpflug / Jürgen Voss (Hg.): "Révolutionnaires et émigrés". Transfer und Migration zwischen Frankreich und Deutschland 1789-1806 (= Beihefte der Francia, Bd. 56), Stuttgart 2002, 107-126; s. hierzu die Rezension von Jakob Vogel, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 5 [15.05.2004], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/05/4937.html.
[2] Susanne Lachenicht: Information und Propaganda. Die Presse deutscher Jakobiner im Elsaß (1791-1800), München 2004, 6.
[3] Zitiert nach URL: http://geschichte-transnational.clio-online.net/tagungsberichte/ id=1128&count=65&recno=3&sort=datum&order=down&segment=16.
[4] Siehe unter anderem Daniel Schönpflug: Der Weg in die Terreur: Radikalisierung und Konflikte im Straßburger Jakobinerklub (1790-1795), München 2002; s. hierzu die Rezension von Klaus Deinet, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 9 [15.09.2003], URL: http://www.sehepunkte.de/2003/09/2828.html; Erich Pelzer: Die Wiederkehr des girondistischen Helden. Deutsche Intellektuelle als kulturelle Mittler zwischen Deutschland und Frankreich während der Französischen Revolution, Bonn 1998 und Lachenicht: Information und Propaganda (s. Anm. 2).
Susanne Lachenicht