Gerd Krumeich: Jeanne d'Arc. Geschichte der Jungfrau von Orleans (= C.H. Beck Wissen; 2396), München: C.H.Beck 2006, 128 S., 6 Abb., ISBN 978-3-406-53596-3, 7,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Markus Schrödl: Das Kriegsrecht des Gelehrten Rechts im 15. Jahrhundert. Die Lehren der Kanonistik und der Legistik über De bello, de represaliis, et de duello, Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2006
Andrew Ayton / Philip Preston: The Battle of Crécy, 1346, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2005
Heribert Müller (Hg.): Das Ende des konziliaren Zeitalters (1440 - 1450). Versuch einer Bilanz, München: Oldenbourg 2012
Jean-Jacques Becker / Gerd Krumeich: Der Große Krieg. Deutschland und Frankreich 1914-1918, Essen: Klartext 2010
Gerd Krumeich (Hg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg, Essen: Klartext 2010
Wolfgang J. Mommsen: Die Urkatastrophe Deutschlands. Der Erste Weltkrieg 1914-1918, 10. Aufl., Stuttgart: Klett-Cotta 2002
Kaum eine mittelalterliche Persönlichkeit ist heute bekannter als Jeanne d'Arc. Ihr schwer erklärbares, umstrittenes Wirken und ihr gewaltsamer Tod sorgten schon unter ihren Zeitgenossen für Aufsehen und boten den Anlass dafür, dass vielzählige und reichhaltige Quellen über sie berichten. Seit der Wiederentdeckung des Mittelalters durch die Romantik bietet die Jungfrau von Orléans vielfältige Gelegenheit, in ihr das zu sehen, was die modernen Interpreten in ihr sehen wollen: die Heldin aus dem Volk, welche die Nation rettet, aber von der Kirche und den Mächtigen verraten wird, oder die fromme Katholikin, an der sich Gottes Wirken für Frankreich manifestiert; die aus ihrer Rolle ausbrechende Frau, die der Männerwelt, oder die innerlich unabhängige Gläubige, die der Amtskirche zum Opfer fällt. Schon seit den 1920er-Jahren werden diese Deutungen auch im Film dem Publikum vorgestellt.
Angesichts dieser überreichen, widersprüchlichen Rezeptionsgeschichte ist eine Biografie Jeannes eine schwierige Aufgabe für jeden Autor, zumal auch die zahlreichen Quellen aufgrund ihrer Parteilichkeit höchst problematisch sind. Umfassende und explizite Quellenkritik muss daher Teil jeder Biografie Jeannes sein, darf aber andererseits die Erzählung nicht erdrücken. Die Schwierigkeiten sind für den Düsseldorfer Neuzeit-Historiker Krumeich um so größer, als sich sein Werk an ein größeres Publikum wendet, also ansprechend geschrieben sein muss, aber zugleich gemäß den Vorgaben der Reihe, in der es erscheint, mit nur 128 Seiten auskommen soll.
Krumeich entschied sich sinnvollerweise dafür, chronologisch dem Gang der Ereignisse zu folgen: von Jeannes Jugend über den Ritt an den Königshof 1429, den Entsatz von Orlaéans und weitere Kampfhandlungen bis zur Gefangennahme 1430, den Tod 1431 und den 1456 abgeschlossenen Rehabilitationsprozess. Ein letztes Kapitel gilt der Rezeption der Figur im 19. und 20. Jahrhundert. Die Interpretationsprobleme, die sich im Lauf der Darstellung ergeben, spricht Krumeich an Ort und Stelle an. Unvermeidlich ist, dass sich dabei Doppelungen und Querverweise ergeben. Selbstredend müssen z. B. bei der Schilderung von Jeannes Kindheit jene Aussagen herangezogen werden, die im Rehabilitationsprozess niedergelegt wurden, und zugleich muss die Problematik dieser Aussagen diskutiert, also der Darstellung des Prozesses selbst vorgegriffen werden. Es ist dem Autor hoch anzurechnen, dass diese darstellerischen Probleme sein Werk nicht belasten. Vielmehr ist seine Schilderung stets angenehm zu lesen, darüber hinaus ganz auf der Höhe der Forschung und im Großen und Ganzen zuverlässig, was den Gang der Ereignisse angeht, sowie nüchtern und umsichtig, was deren Interpretation betrifft. Insbesondere warnt Krumeich immer wieder - ganz zu Recht - vor anachronistischen und plakativen Urteilen.
Allerdings fallen dem Rezensenten als Mediävisten eine ganze Anzahl von kleineren Ungenauigkeiten und Fehlern auf, von denen einige für den Nicht-Mediävisten zweifellos nur schwer zu vermeiden sind. Jeanne d'Arc wurde z. B. nicht vor dem Gericht der Stadt Toul wegen eines angeblichen Eheversprechens angeklagt (23), sondern vor dem bischöflichen Richter der Diözese Toul, der für die Ehegerichtsbarkeit zuständig war. "Jean de Luxembourg" war kein "Fürst von Luxemburg" (80), denn er herrschte nicht über Luxemburg; er entstammte vielmehr einer jüngeren Linie des Luxemburger Herrscherhauses, die sich anderthalb Jahrhunderte zuvor von diesem abgespalten hatte und in Frankreich ansässig war.
Andere Mängel hätten allerdings durch etwas mehr Sorgfalt vermieden werden können: Immer wieder ist z. B. von der "Orléans-Dynastie" die Rede, wenn König Karl VII. von Frankreich und seine Anhänger gemeint sind. Doch dieser Herrscher gehörte nicht der "Orléans-Dynastie" an (davon könnte man lediglich bei seinem Onkel, Herzog Ludwig von Orléans, und dessen Sohn Karl sprechen). Ferner liegt z. B. die Stadt Tournai nicht auf dem Weg nach Reims, wenn man von Bourges, also aus Süden kommt (55), sondern viel weiter nördlich, im heutigen Belgien. In Saint-Denis gab es im 15. Jahrhundert keine "Kathedrale" (58 f.); gemeint ist die Kirche der berühmten Abtei. Ein Kanoniker aus Rouen ist kein "Mönch" (88). Der Name des Ordens vom Goldenen Vlies ("Toison d'or") spielt nicht auf König Artus' Tafelrunde an (77), sondern auf die Argonautensage. Es gab zwar zwölf "Pairs de France", aber weder zählte der König dazu, noch setzten sie sich aus sieben weltlichen und fünf geistlichen Fürsten zusammen (59); vielmehr stellten beide Gruppen je sechs Fürsten. Jeanne reiste nicht 150 "Orte" von Domrémy nach Chinon (31, 33), d. h. nicht 150 "lieux", sondern 150 "lieues", also Meilen.
So sehr diese Unzulänglichkeiten irritieren, sollten sie doch nicht den Blick darauf verstellen, dass die Darstellung insgesamt gelungen ist, zumal angesichts des knappen Raums und des anspruchsvollen Gegenstands. Wer etwas über Leben und Nachleben der Jeanne d'Arc erfahren will, kann dies in diesem Buch umfassend und auf angenehme Weise tun. Und auch wenn der rezensierende Mittelalter-Historiker nicht umhin kann, die kleineren Mängel aufzulisten, so freut es ihn doch, dass sich ein Neuzeitler insgesamt mit Erfolg an das mittelalterliche Thema gewagt hat. Solche Blicke über den Zaun sind viel zu selten in einer Geschichtswissenschaft, in der immer mehr das Spezialistentum nicht nur für Epochen, sondern für Teilepochen und noch kleinere Bereiche um sich greift.
Malte Prietzel