Werner Telesko: Geschichtsraum Österreich. Die Habsburger und ihre Geschichte in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts, Wien: Böhlau 2006, 576 S., 233 s/w-Abb., ISBN 978-3-205-77522-5, EUR 79,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Friedrich Wilhelm Schembor: Galizien im ausgehenden 18. Jahrhundert. Aufbau der österreichischen Verwaltung im Spiegel der Quellen. Mit einem Vorwort von Harald Heppner, Bochum: Verlag Dr. Dieter Winkler 2015
Clara Maddalena Frysztacka: Zeit-Schriften der Moderne. Zeitkonstruktion und temporale Selbstverortung in der polnischen Presse (1880-1914), Berlin: De Gruyter 2020
Dirk Sadowski: Haskala und Lebenswelt. Herz Homberg und die jüdischen deutschen Schulen in Galizien 1782-1806, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010
Werner Telesko: Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts, Wien: Böhlau 2008
Werner Telesko: Maria Theresia. Ein europäischer Mythos, Wien: Böhlau 2012
Werner Busch / Martin Geck: Beethoven-Bilder. Was Kunst- und Musikgeschichte (sich) zu erzählen haben, Stuttgart: J.B. Metzler 2019
Kunst ist ein wichtiges Medium zur Schaffung von Traditionen und damit von "imaginierten Gemeinschaften". Daher sind Bilder in der "politischen Kunst" als komprimierte Visualisierungen von politischen, insbesondere von historischen Vorstellungen zu begreifen, sodass sich die jeweiligen komplexen geschichtlichen Entwicklungen beziehungsweise Ereignisse in ihnen gleichnishaft zu verdichten scheinen. Sie signalisieren, wie die jeweiligen historischen Zusammenhänge in der jeweiligen Gegenwart verstanden werden - sie spiegeln Geschichtsbilder wider, produzieren sie aber auch. Sie dienen daher den Zeitgenossen als Leitbilder, erklären die Gegenwart und geben Sinn. Kunstwerke tragen damit einerseits zur Konstruktion von Traditionen bei, andererseits erzeugen sie als "soziales 'Identifikationsmedium'" (13) eine Verbindung zwischen dem Herrscher und dem Volk, den Rezipienten und sind zugleich ein Medium der Selbstreflexion.
Telesko geht von der Prämisse aus, dass Geschichtsreflexionen in einem äußert komplexen Verhältnis von den zu vermittelnden Ereignissen und den herrschenden Eliten, den Künstlern und Rezipienten, stehen und dass die Kunstwerke einerseits für Distinktionsbestrebungen und andererseits für die Schaffung von Identität und Alterität genutzt werden. Geschichte als Vergegenwärtigung des Vergangenen stellt eine Gegenwart her, die "den Sinn menschlicher Handlungen in einer Gesamtschau dekonstruiert und wieder neu zusammensetzt", was eine "Stoffbeherrschung und Materialregie in allen Medien" (14) voraussetzt.
Dafür hat er die Materialbasis der "Hochkunst" insofern erweitert, als dass er einerseits alle Bildgattungen (beispielsweise auch die Druckgrafik) und literarische Dokumente der Belletristik wie auch der Historiographie in seine Analyse einbezieht, um durch die Verbindung von Bild- und Textquellen ein besseres Verständnis für die Rolle und vielgestaltige Bedeutung der österreichischen Historienkunst des 19. Jahrhunderts zu erreichen. Somit arbeitet er die Spezifika der Geschichtsreflexionen in der bildenden Kunst nicht nur heraus, sondern ordnet diese in die kulturelle Entwicklung insgesamt ein.
Der anzuzeigende Band verfolgt über diese Perspektive die komplizierte historische Formierung der "Nation Österreich" von der "Casa Austria" bis zum habsburgischen Gesamtstaat. Hierbei überträgt er den Ansatz der "imagined communities" (B. Anderson) auf den übernationalen habsburgischen Gesamtstaat. Die ersten beiden Kapitel mit einem grundlegenden und einführenden Charakter über die Identitäten Österreichs und der Formierung der "Nation Österreich" reihen daher den Band in den aktuellen Diskurs über "Identitäten", "Erinnerungspolitik", politische Mythen und damit über die Konstruktion von nationalen und anderen sozialen Großgruppen ein.
Aufgezeigt werden in acht weiteren Kapiteln in unterschiedlicher Perspektive die verschiedenen visuellen Strategien der Habsburger Monarchen im 19. Jahrhundert, die zum Ziel hatten, einerseits das junge österreichische Kaisertum nach 1804 und 1848 zu legitimieren und andererseits die verschiedenen Ethnien und Territorien zu integrieren. Hierzu behandelt Telesko zunächst die "Landesmutter" Maria Theresia als Integrationsfigur im 19. Jahrhundert, daran anschließend die Rezeption Josephs II. In beiden Kapiteln werden die Herrscher-Ikonographie und insbesondere deren Ausdruck bei den Denkmälern analysiert und der Denkmalskult und deren politische Instrumentalisierung diskutiert. Daran anschließend stellt Telesko im umfangreichsten Kapitel das Spannungsfeld von dynastischer Repräsentation und nationaler Identität vor, mit dem sich die Kunst seit Franz II. bis Franz II. Joseph auseinander setzen musste. Er zeigt in der Entwicklung der Darstellungen der Kaiser verschiedene Aspekte des Herrscherbildes auf: Kaiser Franz II. (I.) als letzter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und als erster Kaiser Österreichs, der Bezug auf Joseph II. und auf barocke Traditionen, andererseits die Befreiungskriege und Herrschaftsrepräsentationen bis hin zur Darstellung des Kaisers als "erster Bürger" und "erster Arbeiter" des Volkes sowie als "Familienvater" und nicht zuletzt die "Sakralisierung" und Mythisierung Franz Josephs. In einem weiteren Kapitel thematisiert Telesko die Suche nach den "Ursprüngen" und den Rekurs auf den "Stammvater" Rudolf I. Bevor Telesko die Interpretationen der österreichischen Geschichte im 19. Jahrhundert in der Kunst diskutiert, widmet er sich in einem Kapitel der zeitgenössischen österreichischen Historiographie, wodurch das Land und seine Geschichte "neuentdeckt" worden sei. Anschließend diskutiert Telesko die Strategien der österreichischen Militärikonographie. Als Fallbeispiel für die österreichische historisierende Kunst des 19. Jahrhunderts, die "zwischen Heldenapotheose und Nationalpädagogik" - so der Titel des Kapitels - steht, stellt er abschließend die Ruhmeshalle im Wiener Arsenal vor.
Insgesamt kommt Telesko zu dem Schluss, dass die gesamtstaatliche Identität vor allem auf der Verbundenheit mit der Dynastie beruhte, die daher immer wieder in der Kunst herausgearbeitet werden musste, sodass die Herrscherikonographie eben nicht nur Kernstück des monarchischen Selbstverständnisses war, sondern auch eine zentrale Rolle für die gesamtstaatliche Geschichts- und Identitätsbildungspolitik spielte. Dies führte - im Vergleich zu anderen Staaten - zu Besonderheiten in der österreichischen historisierenden Kunst, etwa zur geringen Bedeutung der Personifikation des Staates, der Austria, als Identifikationsfigur. Insofern neigten, so Telesko, habsburgische Geschichtsreflexionen im 19. Jahrhundert in Wort und Bild zur Personalisierung und zur Zurückstufung abstrakter, staatlich-nationaler Kontextualisierungen. Andererseits habe sich ein literarisch und bildlich gut nachweisbarer Kanon an relevanten Themen herausgebildet, der auf wenigen, aber markanten Grundbegriffen und Leitmotiven aus der habsburgischen Geschichte beruhte.
In der Darstellung seiner Analyseergebnisse arbeitet der Verfasser die gesamtstaatlichen Identitäts- und Legitimationsstrategien deutlich heraus. Telesko betont auf Grund der unterschiedlichen Sprachräume die besondere Rolle der Kunst für die Bildung von übergreifenden Identitätsstrukturen, wobei es ihm in diesem Band um die Stärkung des Gesamtstaatsgedankens geht, während die vorhandenen regionalen Differenzierungen in einem für das Jahr 2007 angekündigten Band thematisiert werden sollen. Insgesamt ist daher der vorliegende Band - vor dem Hintergrund der aktuellen kulturwissenschaftlichen Forschungen - ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der gesamtstaatlichen "habsburgischen" Identitätsbildungsprozesse im 19. Jahrhundert, die eben nicht grundsätzlich ausschloss, sich beispielsweise als Pole und zugleich als Bürger des Habsburgerreiches zu verstehen. Der Band trägt daher zum besseren Verständnis dieses Imperiums, insbesondere zu dessen Erinnerungskultur und Geschichtspolitik bei. Anzumerken bleibt aber, dass es sich bei der hier analysierten Kunst letztlich auch um Gedächtnispolitik "von oben" handelt und dass in diesem Rahmen leider gegenläufige Prozesse - wie etwa die zunehmenden Nationalisierungs- und Abgrenzungsprozesse innerhalb des Habsburgerreiches - sowie die Rezeptionsgeschichte der historisierenden Kunst in den breiten Volksschichten nicht tiefer gehend thematisiert werden.
Heidi Hein-Kircher