Brigitte Huber (Hg.): Das Neue Rathaus in München. Georg Hauberrisser (1841-1922) und sein Hauptwerk, München / Hamburg: Dölling und Galitz 2006, 238 S., ISBN 978-3-937904-24-5, EUR 39,80
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Die im Auftrag des Münchner Baureferats entstandene Schrift bietet die erste umfassende baugeschichtliche Darstellung des für München zum Wahrzeichen gewordenen Baus, dessen neogotische Stilprägung bei seiner Fertigstellung 1905 als unzeitgemäß und damit als Ausweis der "Münchner Rückständigkeit" angesehen wurde. Sorgfältig aus den Quellen gearbeitet wird hier nicht nur eine monographische Lücke geschlossen, sondern in einem Anhang zudem biographisches Material zu seinem Schöpfer, den die kunsthistorische Forschung bislang stiefmütterlich behandelt hat, vorgestellt. [1] Wie die Untersuchung nahe legt, bleibt das Werk Georg Hauberrissers, der in Anerkennung seines architektonischen Œuvres 1901 in den Adelsstand erhoben wurde, erst noch zu entdecken. [2] Schon darin liegt ein nicht unerheblicher Gewinn der Studie, die den Blick auf zahlreiche weitere Projekte Hauberrissers lenkt.
Die Schrift ist historisch-dokumentarisch angelegt. Auf eine kurze Schilderung der topographischen Gegebenheiten folgt eine ausführliche Nachzeichnung des offenen Wettbewerbs von 1865, an dem sich 27 Architekten aus dem deutschsprachigen Raum und aus Paris beteiligen. Bei einer ersten Durchsicht der eingereichten Pläne können sich die Jurymitglieder lediglich auf die Vergabe eines zweiten und dritten Preises verständigen, da ihnen keiner der Entwürfe als zur Ausführung geeignet erscheint. Magistrat und Gemeinderat setzen schließlich eine Kommission ein, welche für den Ankauf von fünf weiteren Plänen votiert, worunter sich auch der Entwurf des jungen Georg Hauberrisser befindet, der zu jenem Zeitpunkt noch an der Akademie in Wien bei Friedrich Schmidt studiert.
Trotz des unbefriedigenden Ergebnisses beschließt die Stadt nicht neu auszuschreiben, vielmehr beauftragt sie den Münchner Stadtbauingenieur und späteren Stadtbaurat Arnold Zenetti, aus den eingegangenen Plänen einen Entwurf zu kreieren. Dieser führt jedoch zu Zerwürfnissen in der Kommission hinsichtlich der stilistischen Gesamtausrichtung. Und während Zenetti noch mit zwei weiteren Fassadenrissen im Stil der Renaissance beschäftigt ist, versteht es Hauberrisser, sich wieder ins Spiel zu bringen. Hauberrisser, der sich der Unterstützung des einflussreichen Erzgießers Ferdinand von Miller gewiss weiß, da dieser einen Entwurf im deutschen, also im gotischen Stil, als den einzig angemessenen favorisiert, reist eigens von Wien nach München. In den folgenden Monaten wird er erstaunliche Beharrlichkeit beweisen. Eine Ablehnung seines in neogotischen Formen gehaltenen Vorschlags in der Kommissionssitzung entmutigt ihn nicht, stimuliert ihn gar, einen modifizierten Fassadenentwurf vorzulegen, mit dem er schließlich den Magistrat in der entscheidenden Sitzung überzeugen wird. So erhält der 26-Jährige Ende des Jahres 1866 seinen ersten Vertrag zum Bau des Rathauses.
In der eben geschilderten Gründlichkeit wird in den folgenden Kapiteln der Baufortgang rekonstruiert. Magistratsvorgaben, Reisen, Arbeitsabläufe und die Fertigstellung der einzelnen Bauabschnitte aber auch Zwistigkeiten und Kritik an dem jungen Baumeister, der verschiedentlich als zu unerfahren in der Planung der Detailausführungen angesehen wird, finden Eingang in die Chronologie.
Noch vor der Fertigstellung des Rathausbaus 1883 ist der Raummangel aufgrund der stetig anwachsenden kommunalen Aufgaben offenbar geworden, so dass zwei weitere Bauabschnitte notwendig werden, die die Verfasserin in gleicher Intensität referiert. Mangelnde Routine und der Anspruch, alle Details selbst abzuwickeln, haben eine Bauzeit, die sich über einen Zeitraum von insgesamt 34 Jahren erstreckt, über die Gebühr in die Länge gezogen. Zudem ist Hauberrisser neben seinem Münchner Projekt mit weiteren Rathausbauten betraut, die nebenbei belegen, dass er sich inzwischen einen Ruf in dieser Bauaufgabe erworben hat.
Diesem bauhistorischen Bericht schließt sich die Beschreibung sämtlicher Fassaden und Innenräume an, wobei das Formen- und Motivrepertoire sowie das Figurenprogramm der Fassaden im Mittelpunkt stehen. Schon die Zeitgenossen haben sich über die überbordende Figurenfülle mokiert und in ironischen Zeitungsrezensionen einen Streit der Figuren über den mangelnden Platz, der ihnen wegen Überfüllung zur Verfügung stehe, fingiert.
Dem Auftrag entsprechend schließt die Autorin und Herausgeberin ihrer Chronik ein Kapitel über spätere bauliche Veränderungen, Kriegszerstörungen und Wiederaufbaumaßnahmen an. Zudem bedenkt sie das Goldene Buch der Stadt München und die Gedenktafeln, die am Rathaus angebracht sind. Hervorragendes und reiches Bildmaterial begleiten ihre Ausführungen. In vielen historischen Fotografien, Stichen und Aquarellen ersteht das alltägliche Treiben auf dem Münchner Marienplatz, wird der Baufortgang illustriert und lassen sich die Wettbewerbsbeiträge zueinander in Beziehung setzen. Durch die vielen persönlichen Kommentare zum Baufortgang, die Hauberrisser an seine Eltern in Briefform meldet und die eingehend zitiert werden, verleiht die Autorin ihrer Abhandlung eine persönliche und verbürgte Note.
Die Publikation wird durch einen einführenden Artikel von Richard Bauer, unter dem Titel "Bauaufgabe Rathaus" ergänzt. In diesem knappen Problemaufriss wird auf historisch-rechtliche Voraussetzungen, auf kommunale Strukturen, Aufgaben der städtischen Verwaltung, die topographische Einbindung in den Stadtorganismus und auf typische Architekturelemente wie den Turm oder die Glocken verwiesen. Da ein Überblick selbst in ausgewählten Beispielen an dieser Stelle nicht zu leisten ist, fügt Bauer seinen Darlegungen einen kurzen Blick auf jene Münchner Bauten an, die Hauberrissers Rathaus vorausgegangen sind.
Mit der vorliegenden Untersuchung wird eine detaillierte Bestandsaufnahme vorgelegt, der wir vielfältiges Quellenmaterial verdanken. Als Chronik konzipiert enthält sie sich aber weitestgehend analytischer oder interpretierender Passagen, die den Rathausbau, welcher als Zeichen kommunaler Selbstverwaltung nicht ohne Grund zu den wichtigsten Aufgaben der Architekturwettbewerbe im ausgehenden 19. Jahrhundert gehört, in den Kontext der politischen Ikonographie einbinden würden. So dürfen wir auf eine weiterführende Auswertung noch gespannt sein.
Anmerkungen:
[1] Dem Rathaus als Baugattung hat sich die Architekturgeschichte bislang nur vereinzelt gewidmet. Rühmliche Ausnahmen bilden für das 19. und 20. Jahrhundert Martin Damus: Das Rathaus. Architektur- und Sozialgeschichte von der Gründerzeit zur Postmoderne, in: Das Rathaus im Kaiserreich. Kunstpolitische Aspekte einer Bauaufgabe des 19. Jahrhunderts, hrsg. von Ekkehard Mai, Jürgen Paul, Stephan Waetzoldt, Berlin 1982. - Charlotte Kranz-Michaelis: Rathäuser im deutschen Kaiserreich. München 1976. Während sich Damus' Studie an der Typologie orientiert, welche er im Sinne einer politischen Ikonologie bestens fruchtbar zu machen versteht, widmet sich der Band von Mai u.a. diversen Einzelprojekten, worunter sich auch der Münchner Rathausbau befindet, dessen neogotischen Stil Wilfried Nerdinger unter kunstpolitischen Aspekten untersucht. Kranz-Michaelis wiederum exemplifiziert an den beiden Projekten für Hannover und Kiel das Anspruchsdenken des liberalen Bürgertums auf politische Selbstverwaltung, das es mit bewussten Stilrückgriffen auf die Zeit der Städtefreiheit zu unterstreichen sucht.
[2] Zu Georg von Hauberrisser liegt kein neueres Werkverzeichnis vor. 1969 hat Hans Lehmbruch in München über Hauberrisser promoviert. Vgl. Nerdinger (wie Anm. 1), 175.
Sigrid Hofer