Frank Hartmann: Globale Medienkultur. Technik, Geschichte, Theorien, Stuttgart: UTB 2006, 239 S., ISBN 978-3-8252-2723-4, EUR 19,40
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Das Thema Mediengeschichte erfreut sich seit einiger Zeit einer gewissen Popularität, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass in regelmäßiger Folge neue Übersichtsdarstellungen erscheinen. Zwei Besonderheiten fallen bei dieser mediengeschichtlichen Textproduktion auf: Zum einen der Umstand, dass das Feld vornehmlich von Medienwissenschaftlern bearbeitet wird und dass Fachhistoriker kaum involviert sind. Zum anderen, dass mediengeschichtliche Debatten auf den geschichtswissenschaftlichen Fachdiskurs einen erstaunlich geringen Einfluss haben.
Auch Frank Hartmann ist von der Ausbildung her nicht Historiker, sondern lehrt in Wien Medien- und Kommunikationswissenschaft. In der Einleitung weist Hartmann darauf hin, dass er mit seiner Darstellung "keine Geschlossenheit der Darstellung im technikhistorischen Sinn" beansprucht, sondern "technische und historische Grundlagen" in einem "medienphilosophischen Sinn" diskutieren möchte (16 f.). Die zentrale Frage dabei lautet: "Wie bedingen die technischen Übermittlungen, wie bedingen Beobachtungswerkzeuge, Wahrnehmungsapparate, Archivierungen, Transportsysteme und Nachrichtentechniken das Verhältnis der Menschen zu ihrer Welt sowie ihr Denken darüber?" (17).
Um dieser Frage nachzugehen, hat Hartmann das Buch in drei Teile gegliedert: "Kabel", "Wireless" und "Online". Im ersten Teil zeichnet er insbesondere an der von den Brüdern Chappe entwickelten Flügeltelegrafie und am Tiefseekabel die Geschichte der Kabel gebundenen Kommunikation nach. Bereits in diesem Kapitel zeigt sich die Problematik der Struktur, die sich an der technischen Art und nicht an der sozialen Realität oder an der kulturellen Praxis von Kommunikation orientiert. Der Telegraf, so fasst Hartmann dann (konsequenterweise) seine Darstellung der Kabel gebundenen Kommunikation zusammen, ist "eine vorerst letzte und höchste Entwicklungsstufe in der Ko-Evolution von Mensch und Technik." (86).
Auch der zweite Teil ("Wireless") handelt teilweise vom Telegrafen. Sehr anschaulich beschreibt Hartmann den Übergang vom Fernschreiben zum Fernsprechen und wie mit diesem Wandel die Komplexität der Signale, die zu übermitteln waren, dramatisch zunahm. Daran anschließend folgt die Geschichte der Radiokommunikation, wobei Hartmann "einen medienhistorisch schlecht dokumentierten Übergang zwischen Funktechnik und Rundfunk" (129) konstatiert, wenigstens was die Organisationsformen betrifft. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Hinweis Hartmanns, dass jede Medienentwicklung von einem gesellschaftlichen Antrieb geprägt wird, bestehende Technologien neu oder anders zu nutzen - ein Phänomen, das nicht nur den Übergang von der Telegrafie zum Rundfunk, sondern auch viele andere Medienentwicklungen charakterisiert.
Im dritten Teil schließlich, der mit "Online" überschrieben ist, werden die Mediengeschichte des Internet so wie die beiden Themen "Interface" und "Infosphäre" behandelt. Mit "online" bezeichnet Hartmann dabei nicht nur einen technischen Schaltzustand, sondern verwendet diesen Begriff auch zur "Umschreibung eines neuen, partizipativen Musters" (165). Es stellt sich hier -wie auch an anderer Stelle in diesem Buch - die Frage, ob eine präzisere Begrifflichkeit - und daraus abgeleitet vermutlich andere Bezeichnungen der einzelnen Buchteile - nicht mehr Klarheit gebracht hätte. Trotz diesen Unschärfen gelingt Hartmann in diesem dritten und wohl besten Teil der Studie eine sehr anschauliche Beschreibung des Internet, in dem "nicht nur verschiedene technische Systeme, sondern auch unterschiedliche Nutzungsangebote und divergierende Nutzerinteressen aufeinander trafen" und die deshalb "als ein soziales Phänomen zu betrachten [sind], die gemeinsam eine neue medienkulturelle Umwelt generiert haben" (172). Hartmann führt in diesem letzten Teil auch den technisch nicht versierten Leser an Themen wie Binärcode und Bitmapping heran und bettet die technische Entwicklung geschickt in eine Schilderung der sich wandelnden Nutzungsformen ein. Besonders anregend ist die bisher weder historisch noch medientheoretisch diskutierte Frage nach der Bedeutung von Datenbanken, denen Hartmann im Kapitel "Infosphäre" einen sehr anregenden Abschnitt widmet: Nicht nach der diskursiven Formierung oder dem gesellschaftlich Imaginären sei zu fragen, sondern es gehe um die "medienarchäologische Frage nach der Logik von wissensformierenden technischen Realitäten" (207). Hartmann bezieht dies im Falle der Datenbanken auf den Umstand, dass diese multiple Zugriffsmöglichkeiten auf Inhalte ermöglichen und dadurch auf eine völlige neue Art Erzählstrukturen geschaffen werden können. Anregend - aber leider viel zu knapp - ist auch der letzte von insgesamt drei Theorie-Exkursen, die Hartmann in seine Studie eingebaut hat und der sich mit der Frage eines globalen Wissensarchivs befasst und dabei einige wenig bekannte historische Entwicklungslinien zumindest stichwortartig thematisiert. Alles in allem ist das Buch eine gelungene Einführung in die Vorgeschichte der heutigen globalen Medienkultur, die zwar nicht alles hält, was der Untertitel suggeriert, die aber vor allem Medienwissenschaftlern einen guten Zugang zur Mediengeschichte bieten dürfte.
Peter Haber