Herfried Münkler: Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist: Velbrück 2006, 397 S., ISBN 978-3-938808-09-2, EUR 34,00
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Nachdem Herfried Münkler 2002 im deutschen Sprachraum die Diskussion um die "neuen Kriege" [1] angestoßen hat, legt er nun eine weitere Monographie zu dieser Thematik vor, die den "Wandel des Krieges von der Symmetrie zur Asymmetrie" zum Inhalt hat. Die Studie ist "nicht als geschlossenes Stück geschrieben worden" (15), sondern basiert auf Texten, die zu unterschiedlichen Anlässen entstanden sind. Dennoch erhebt sie den Anspruch auf innere Geschlossenheit im Rahmen einer gemeinsamen Fragestellung, die durch die dreistufige Unterteilung der 16 Beiträge klar strukturiert ist: Einer vor allem historisch orientierten Darstellung der "symmetrischen" Kriege (25) folgt eine Annäherung an die "asymmetrischen" Kriege (135). Die vergangenheits- und gegenwartsbezogenen Kriegsanalysen gipfeln schließlich in zukunftsorientierten "Handlungsoptionen für eine deutsche und europäische Sicherheitspolitik" (249).
Symmetrischer Krieg, das ist der klassische Staatenkrieg, der Krieg zwischen Gleichartigen, welcher sich im frühneuzeitlichen Europa als die vorherrschende, wenn auch keineswegs einzige Erscheinungsform militärischer Auseinandersetzung herausgebildet hat und die Definition von Krieg bis heute prägt. Genau deshalb, weil das aktuelle Verständnis von Krieg durch eine Form des Krieges geprägt ist, welche tatsächlich nur wenige Jahrhunderte vorherrschte, bedarf es einer entsprechenden historischen Einordnung, gerade dann, wenn diese Form für die Gegenwart zunehmend weniger greift. Mit dieser - aus der Sicht des Historikers zwingenden - Herangehensweise an das Phänomen Krieg hebt sich Münkler bewusst von Teilen der Politikwissenschaft ab, deren "Sich-Verlieren in der Vielfalt der Geschichte" er ebenso kritisiert wie eine "Tendenz zum Modellpurismus, in deren Rückraum sich mit der Distanzierung von der Geschichte deren Unkenntnis ausbreitet" (16).
Konsequenterweise steht am Anfang ein Überblick über die Militär- und Kriegsgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Münkler beeindruckt durch sein breites Wissen ebenso wie durch die Fähigkeit, große Entwicklungslinien aufzuzeigen, und in der historischen Darstellung tatsächlich die Frage nach dem Wesen des Krieges - genauer: nach "Entstehung, Geschichte und absehbare[m] Ende" (27) des klassischen Staatenkrieges - nicht aus dem Auge zu verlieren. Auch wenn für den Historiker hier im Einzelnen kaum Neues zu erfahren ist, so ist doch eine derart stringente epochenübergreifende Entwicklungsanalyse eines Gegenstands auch in historischen Darstellungen keineswegs selbstverständlich.
Allerdings wäre Münklers historische Argumentation insgesamt überzeugender, wenn er sich dichter an den aktuellen historischen Forschungsdiskussionen befände. So arbeitet er für die Staatenwelt nach 1648 mit dem Modell des Westfälischen Systems, und der Leser erfährt lediglich in einer knappen Anmerkung (32 f.), dass dieses Modell längst in der Kritik steht, ohne dass Münkler auf die Kritik eingeht oder sich mit ihr auseinandersetzt. Die von Johannes Burkhardt seit 1992 mehrfach vorgetragene These vom Dreißigjährigen Krieg als Staatenbildungskrieg [2], mit der die Frage der Kriegstypologisierung aus der Perspektive des Frühneuzeithistorikers gestellt wird, ignoriert Münkler gänzlich. Dabei hat der Dreißigjährige Krieg in Münklers Modell von den neuen bzw. asymmetrischen Kriegen von Anfang an eine wichtige Funktion in der historischen Herleitung eingenommen. In einer konkreten Vergleichsanalyse wurde dies im Übrigen auch bereits kritisch hinterfragt. [3]
Dem breiten historischen Überblick folgt im vorliegenden Werk eine auf Clausewitz gestützte Darstellung der Schlacht von Borodino 1812, die für Münkler eines der letzten Beispiele ist für die Gleichzeitigkeit von Schlachtenbericht und -analyse. Das 19. Jahrhundert steht für ihn spätestens danach für ein Kriegsgeschehen, das der einzelne nicht mehr zugleich erleben und überblicken konnte: Die "Gesamtheit des Geschehens" erfasste nun weder der Schlachtenmaler noch der Berichterstatter (100). Diese Entwicklung gipfelt im technisierten Krieg des 20. Jahrhunderts, in dem das Kriegsgeschehen weitgehend anonym und der Krieg "nicht nur gegen die Streitkräfte des Feindes, sondern auch gegen seine wirtschaftliche Durchhaltefähigkeit" geführt wurde (104).
Münklers Analyse ist kein Selbstzweck und dient auch nicht der bloßen Schärfung des Begriffs vom Krieg, sondern läuft wie seine gesamte Studie auf eine politische Handlungsorientierung heraus. Das wird auch im historischen Überblick deutlich, an dessen Ende die Frage steht, ob der Krieg "abschaffbar" sei (112): Ohne diese Frage beantworten zu wollen, zeigt Münkler nicht nur auf, warum Autoren von Clausewitz bis Hegel gegen eine solche Abschaffung argumentierten, sondern legt auch aus der Perspektive des klassischen Staatenkrieges dar, wie Friedensutopien oder -prognosen immer wieder gescheitert sind.
Münklers eigentliches Thema sind die neuen Kriege, ist also der asymmetrische Krieg, der sich freilich in seiner aktuellen Erscheinungsform einer stringenten Darstellung und klaren Definition noch entzieht. Die Betrachtung des asymmetrischen Krieges erfolgt deshalb eher schlaglichtartig. Der historisierbare symmetrische Krieg bleibt dabei die immer wieder präsente Vergleichsfolie. Münklers Forderung nach der historischen Rückkoppelung der Modelle erschöpft sich nicht in der geschlossenen historischen Darstellung, sondern fließt in seine Analyse der Gegenwart immer wieder vielfältig hinein. Es sind Phänomene wie Terrorismus, Krieg und Medien, Wandel der Weltordnung, aber auch die veränderten "Zeitrhythmen des Krieges" (169), die Münkler dabei betrachtet. Doch der Autor wagt auch den Schritt zum Vorausblick auf die Kriege des 21. Jahrhunderts. Dass ein solcher Ausblick grundsätzlich problematisch ist, gesteht er durchaus ein, und als Historiker kann man dies nur unterschreiben. Doch Münkler wagt die Prognose und sieht das Ende der klassischen Staatenkriege. Asymmetrische Kriege und hier besonders "Ressourcenkriege, Pazifizierungskriege und Verwüstungskriege" (150) sind für ihn die gewaltsamen Konflikte der näheren Zukunft.
Den zweifellos schwierigsten Part erfüllt Münkler damit, von Vergangenheit und Gegenwart nicht nur einen Blick in die Zukunft zu wagen, sondern konkrete Handlungsempfehlungen für diese auszusprechen. Auch dies tut er schlaglichtartig im Hinblick auf gewandelte Sicherheitsdoktrinen, vor allem aber im Hinblick auf ein gewandeltes und sich weiter wandelndes Verhältnis der Gesellschaft zu Krieg und Militär. So ist für Münkler das Ende der Wehrpflicht eine gleichsam schon fast beschlossene Sache. Die Gesellschaft muss lernen, mit Sicherheitsbedrohungen umzugehen. Zugleich darf sie sich dabei nicht auf militärische Lösungen beschränken. Wer Konflikte wie den in Afghanistan lösen will, das macht Münkler deutlich, steht vor der Aufgabe, langfristig gewachsene Strukturen zu zerstören und neue aufzubauen, sprich: "Kriegsökonomien" durch "Friedensökonomien" zu ersetzen (309). Die Handlungsoptionen, die Münkler für die Zukunft präsentiert, sind so vielschichtig, wie es der Komplexität der Analyse der Probleme entspricht, und lesen sich nicht vordergründig optimistisch.
Die Bedeutung der Studie liegt genau darin: keine schnellen Situationsdefinitionen und daraus folgende einfache Antworten zu geben, sondern vorsichtige und komplexe Ausblicke auf die Zukunft auf der Grundlage einer breit angelegten Analyse von Gegenwart und Vergangenheit. Für den Historiker liegt der Wert von Münklers Studie nicht in der Erschließung von historischem Neuland, sondern in der gegenwartsbezogenen wissenschaftlichen Perspektive auf den historischen Gegenstand. Damit werden auch manche brach liegende Forschungsfelder aufgezeigt, ohne deren Erforschung durch den Historiker die historische Verankerung aktueller politischer und gesellschaftlicher Prozesse und Phänomene nicht angemessen erfolgen kann. Die historische Forschung lebt auch von Gegenwartsbezug, ebenso wie umgekehrt die Gegenwartsanalyse von historischer Verankerung. Aus politikwissenschaftlicher Sicht leistet Münklers Studie dazu einen wichtigen Beitrag.
Anmerkungen:
[1] Herfried Münkler: Die neuen Kriege, Frankfurt a.M. 2003.
[2] Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a.M. 1992.
[3] Dorith Altenburg: Neue Kriege auf alten Wegen? Der 30-jährige Krieg und der Kongo-Krieg im Vergleich, in: Rissener Einblicke. Hamburger Zeitschrift für Politik und Wirtschaft. 12/2003-1/2004, 7-34.
Anuschka Tischer