Arthur Saliger: Der Wiener Schottenmeister, München: Prestel 2005, 190 S., 60 Abb., ISBN 978-3-7913-3495-0, EUR 39,00
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Mit diesem Buch legt Arthur Saliger die erste Monografie zu einem der bedeutendsten Altarretabel Österreichs vor, dem Hochaltaraufsatz des Wiener Schottenstifts, nach dem auch der unbekannte Meister benannt ist. Die Quellen zu diesem Werk, das die Jahreszahl 1469 trägt, setzen erst im 18. Jahrhundert ein, als im Kloster die Stiftsgalerie eingerichtet wurde. Gesprenge und Predella sind verloren und lassen sich auch nicht rekonstruieren. Das ist vorerst alles, was man von Saliger über den Erhaltungszustand erfährt: weder Technik (Ölmalerei auf Eichenholz) noch Anzahl und Maße der Tafeln (89 x 82 cm) werden genannt, oder die Rekonstruktion des ebenfalls verlorenen Schreins erläutert. Dass der Altar auf der Feiertagsseite einen Marienzyklus mit sechzehn Szenen (davon drei verloren) und auf der Werktagsseite einen achtteiligen Passionszyklus zeigt, erfährt man erst nach und nach, oder wenn man die Falttafeln betrachtet. Dort werden lediglich die Gesamtmaße des geöffneten und geschlossenen Zustands angegeben.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert, wobei der erste mit "Kunstwissenschaftliche Beiträge", der zweite mit "Beschreibung der Szenen des Schottenaltares" betitelt ist. Inhaltlich unterscheiden sie sich nicht wesentlich, und auch die Gliederung des ersten Teils in "Präambel", "Propädeutik", "Kolorit", "Händescheidung" usw. ist keine wirkliche inhaltliche Aufgliederung. Weil die Disposition des Altars erst zu Beginn des zweiten Teils kurz erläutert wird und auch dort erst die Tafeln der Reihenfolge nach beschrieben werden, wird die Lektüre des ersten Teils (auch auf Grund der fehlenden übrigen Angaben) erschwert. Außerdem drückt sich Saliger mit Vorliebe in Schachtelsätzen aus, die sich oft über sieben Zeilen erstrecken.
Das eigentliche Thema des Buchs, das sich wie ein roter Faden durch alle Kapitel zieht, sind die Aneignung von Bildinventionen der frühen Niederländer und der vom Autor postulierte stilistische "Reifungsprozess" des Meisters innerhalb der zwei Jahre, die Saliger für die Entstehung des Passionszyklus veranschlagt. Die Vollendung des Marienzyklus setzt er 1470/71 an. Dies sucht er anhand detaillierter Beschreibungen nachzuweisen und daraus zugleich eine Chronologie der Entstehung der Passionsszenen zu entwickeln. Gleichzeitig betont er immer wieder die Eigenständigkeit des Schottenmeisters, auch in der Umarbeitung von Inventionen der frühen Niederländer.
Saliger geht davon aus, dass der Schottenmeister die Werke der frühen Niederländer aus direkter Anschauung gekannt hat. Auf die Rolle von Zeichnungen als Übermittler solcher Bildinventionen oder auf die nahe liegende Rolle von Druckgrafik kommt der Autor überhaupt nicht zu sprechen, obwohl hierzu neuere Literatur vorliegt, die auch den Schottenmeister behandelt. [1] Im Literaturverzeichnis fehlt die wichtigste Publikation zum Altar, die Festschrift von 1994 zur Eröffnung des Museums im Schottenstift [2], vielleicht weil sie im Text nur beiläufig herangezogen wird. Diese Festschrift behandelt eingehend die Geschichte des Altaraufsatzes, die Rekonstruktion des Schreins, die Frage des Auftraggebers, den technischen Befund und den Erhaltungszustand. Sie enthält auch den Restaurierungsbericht, bildet einige Unterzeichnungen ab und führt die weitere Literatur zum Thema auf.
Die Passionsfolge wird allgemein dem Hauptmeister zugeschrieben, die Marienfolge einem jüngeren Meister mit Werkstattbeteiligung. Saliger referiert dies nur kurz und tut es als "übrigens in der Argumentation nicht überzeugende" Händescheidung ab. Er schließt sich Otto Pächt an, der 1929 für einen einzigen Meister plädierte. [3] Allerdings räumt auch Saliger ein, dass bei der Ausführung mindestens ein bis drei "Mitmeister" beteiligt gewesen seien.
Seit 1929 ist viel zum Schottenaltar geforscht worden, was auch für die Frage der Händescheidung von Bedeutung ist. So zeigen z.B. die Unterzeichnungen, die 1994 in besagter Festschrift publiziert wurden, laut Manfred Koller deutliche Unterschiede zwischen Marien- und Passionszyklus. Saliger erwähnt das mit keinem Wort.
Auch die Tatsache, dass der Altar mit Öl statt mit Tempera und auf Eiche statt auf dem sonst üblichen Nadelholz gemalt wurde, ist ihm keine Überlegung wert. Dabei hätte dies zu Überlegungen zur Herkunft und Ausbildung des Schottenmeisters führen können, will doch das Buch laut Klappentext "Licht in das Dunkel um den Altar und seinen Schöpfer" bringen. Saliger beschränkt sich auf die Diskussion stilistischer und motivischer Anregungen vor allem der frühen Niederländer, wobei er Nikolaus Gerhaerts als Vermittler sieht, weil dieser 1467-73 mit dem Grabmal Friedrichs III. beschäftigt war. Dabei ignoriert er, dass Gerhaerts das Grabmal nicht vor Ort, sondern in Passau fertigte. Auf Holzschnitzarbeiten des Nikolaus Gerhaerts als mögliche Vorbilder bzw. Anregungen geht Saliger nicht ein. Der süddeutsche Raum mit seiner Retabelproduktion ist für ihn ebenfalls ohne Belang.
Weil das Retabel auf einer Tafel mit der Jahreszahl 1469 versehen ist und Saliger nur so wenig Zeit für die Entstehung rechnet, hält er einen Aufenthalt des Schottenmeisters in den Niederlanden vor der Arbeit am Retabel für möglich, während dem er schon Anregungen quasi sammelte. Zudem verweist er aber auch häufig auf den Altar in Maria am Gestade, der ebenfalls niederländische Quellen verarbeitete. Dass dieses immer wieder zitierte Vorbild nicht abgebildet wurde, ist ein weiteres Manko. Wie es praktisch möglich gewesen sein soll, dass der Schottenmeister 1467-69 am Passionszyklus und parallel auch schon am Marienzyklus arbeitete, aber gleichzeitig aus erster Hand Anregungen aus Bouts' Gerechtigkeitstafeln (1468) und anderen gleichzeitigen niederländischen Werken aufnahm, wird nicht diskutiert.
Manches im Text mutet merkwürdig an, wofür nur ein Beispiel angeführt sei: Der Autor bringt das Bild der "Flucht nach Ägypten" mit der Eroberung Konstantinopels 1453 in Verbindung und sieht die "Furcht vor der Entfernung des marianischen Palladiums aus Wien" (44) thematisiert, wobei schon allein der Begriff des Palladiums hier irritiert. Saligers Interpretation wird durch keinen Hinweis in der Szene selbst gestützt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Monografie zu Recht die Bedeutung des Schottenmeisters herausstreicht. Die Abbildungen sind von hervorragender Qualität, aber für Fragen um den Schottenmeister wird man weiterhin auf die Festschrift von 1994 zurückgreifen müssen.
Anmerkungen:
[1] Achim Simon: Österreichische Tafelmalerei der Spätgotik. Der niederländische Einfluß im 15. Jahrhundert (Phil. Diss., Graz), Berlin 2002.
[2] Festschrift zur Eröffnung des Museums im Schottenstift, hrsg. von Cornelia Reiter, Wien 1994.
[3] Otto Pächt: Österreichische Tafelmalerei der Gotik, Augsburg 1929.
Renate Prochno-Schinkel