Michael Rohrschneider: Der gescheiterte Frieden von Münster. Spaniens Ringen mit Frankreich auf dem Westfälischen Friedenskongreß (1643-1649) (= Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte; Bd. 30), Münster: Aschendorff 2007, XIII + 560 S., ISBN 978-3-402-05681-3, EUR 49,00
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In der historisch-politischen Selbstwahrnehmung des Aufklärungszeitalters und später in der postnationalistischen Reichsgeschichtsschreibung nach dem Zweiten Weltkrieg wurde und wird der Westfälische Friede als eines der wichtigsten Menschenwerke gewürdigt und gefeiert. Vielen Zeitgenossen von 1648 war allerdings schmerzlich bewusst, dass die Hoffnung auf eine pax universalis nicht in Erfüllung ging, denn Frankreich und Spanien als die wichtigsten Großmächte auf dem Kontinent konnten sich nicht auf einen gemeinsamen Vertrag verständigen. Vom Verlauf der französisch-spanischen Verhandlungen handelt nun die Kölner Habilitationsschrift von Michael Rohrschneider. Kaum jemand ist geeigneter, dieses Thema zu bearbeiten als Rohrschneider, gab er doch im Rahmen der Quelleneditionsreihe Acta Pacis Westphalicae den sechsten Band der französischen Korrespondenzen heraus, wobei er sich detailliert mit den Verhandlungspositionen der "allerchristlichsten Monarchie" und ihrer Entwicklung auseinandersetzen konnte.[1] Die hier vorliegende Arbeit wurde aus Originalquellen aus elf Archiven erstellt.
Rohrschneider gliedert sein Werk inklusive Einleitung (Teil 1) und Schlussbetrachtung in neun Hauptteile. Im zweiten Hauptteil entwickelt er die Vorgeschichte des französisch-spanischen Konflikts, die von den Auseinandersetzungen Karls V. und Philipps II. mit den Valois-Königen über die Kriege gegen die niederländischen Aufständischen (seit 1568), gegen England (1588-1604) und gegen Frankreich (1590-1598) bis zu den Verwicklungen in den Dreißigjährigen Krieg und zu dem erneut ausbrechenden Krieg gegen Frankreich (seit 1635) reicht. Die spanische Krone entfaltete dazu unter verschiedenen Premierministern und Chefberatern hehre Ziele (Universalität des katholischen Glaubens, reputación des Königs etc.) und bündelte die erheblichen finanziellen und wirtschaftlichen Ressourcen, auch aus Übersee, vermochte allerdings kaum durchschlagende Siege zu erringen, sondern sah sich immer wieder in Abnutzungskriege verwickelt. Die Friedensschlüsse und Waffenstillstände sahen aus spanischer Sicht wie die Besiegelung von Niederlagen aus, insbesondere die Anerkennung des Mehrfachkonvertiten Heinrichs IV. 1598 als König von Frankreich und der Waffenstillstand mit der niederländischen "Ketzerrepublik" 1609, wobei die Spanier nicht das Geringste für die beträchtliche katholische Minderheit in den sieben Nordprovinzen erreichen konnten. Nach den Aufständen in Katalonien und Portugal 1640 musste Spanien von expansiven Zielen - zeitweilig plante die Madrider Regierung, eine katholisch-habsburgische Flotte in der Ostsee zu etablieren - Abstand nehmen; die Instruktionen für die Friedensverhandlungen dienten nun dazu, das zu bewahren, was an Großmachtstellung vor 1620 bestanden hatte. Trotz Niederlagen an mehreren Fronten hielt die spanische Verhandlungsführung an dieser Idee fest.
Der dritte Hauptteil schildert die schwierige Abstimmung der spanischen Außenrepräsentation zwischen der Madrider Zentralverwaltung, der Brüsseler Regierung und den Gesandten in Münster. Ein zentrales Problem waren die langen Kommunikationswege nach Madrid, doch auch Rivalitäten zwischen unterschiedlichen Hofparteien und ihren Protagonisten erschwerten die Willensbildung in vielfältiger Weise. Gegenüber Frankreich fühlten sich die spanischen Gesandten zusätzlich benachteiligt, da ihre Finanzmittel für Repräsentation hinter den Ausgaben Frankreichs zurückstanden und daher Wahrnehmungsnachteile drohten.
Die weiteren Kapitel folgen der Chronologie. Im vierten Hauptteil stehen die Zeremoniellpositionierungen zwischen Spanien und Frankreich im Vordergrund, daneben die Frage der offiziellen Einordnung des Ranges der niederländischen Gesandten. Im fünften Hauptteil analysiert Rohrschneider die Methodologie der Verhandlungsführung. Angesichts offener Fragen des zeremoniellen Vorrangs verhandelten Spanien und Frankreich stets über Nuntius Fabio Chigi als Vermittler, wobei die Gespräche jeweils in einem der Gesandtenquartiere oder im Quartier des Mediators stattfanden. Die Gespräche der Spanier und Niederländer hingegen fanden im direkten Kontakt statt, ebenfalls in den Quartieren, doch ohne Vermittlung. Die niederländische Republik unternahm eine eigene Vermittlungsaktion, "Interposition" genannt, zwischen Spanien und Frankreich. Auch ein Schiedsspruch, etwa durch Anna, die französische Königin, die aber aus dem Hause Habsburg stammte, wurde in Betracht gezogen.
Der sechste und siebte Hauptteil dienen der Darstellung der Verhandlungsentwicklung in den Jahren 1646 und 1647. In diesen Zeitabschnitten, besonders im letzten Quartal 1646 und in der zweiten Jahreshälfte 1647, wurden mehr als 40 Punkte soweit ausgehandelt, dass ein Einvernehmen als hergestellt betrachtet werden konnte. Es blieben allerdings sechs Hauptpunkte, über die keine Verständigung gelang. [2] Im Gegensatz zur älteren Forschung, die in der Lothringen-Frage den Grund für das Scheitern sah, betont Rohrschneider, dass die Gesamtheit der französischen Territorialwünsche, die im Laufe der Verhandlungen noch gesteigert wurden, Spanien ein Einverständnis unmöglich gemacht habe. Zur selben Zeit gelang in erstaunlicher Schnelligkeit der spanisch-niederländische Ausgleich, der sich in dem Maße konkretisierte, wie die Hoffnung auf Frieden mit Frankreich zerrann. Rohrschneider betont, dass der Separatfrieden keineswegs von Anfang an spanisches Primärziel war, wie in der älteren Forschung vermutet, sondern als Sekundärziel schließlich erreichbar war und erreicht wurde.
Im achten Hauptteil über das Jahr 1648 und den Beginn von 1649 stellte sich das Paradox ein, dass beide Großmächte im Grunde im Staatsbankrott standen, aber angesichts der Abschlüsse zwischen Spanien und den Niederlanden einerseits und zwischen Frankreich und dem Kaiser bzw. dem Reich andererseits dennoch glaubten, durch eine Fortsetzung des Kriegs mehr gewinnen zu können als durch einen Friedensschluss. So neigten beide Regierungen zu Zusatzforderungen, während die Verhandlungsdelegationen ihre Publizistik gegen die Friedensunwilligkeit der jeweiligen Gegenseite ausweiteten. 1648 reisten die Gesandten beider Mächte auf Weisung ihrer Regierungen nach und nach ab und verstärkten dadurch den Argwohn der anderen. Mit Auflösung des Kongresses nach Februar 1649 standen Spanien und Frankreich mit leeren Händen und leeren Kassen da.
Rohrschneider kann in der sorgfältig und detailliert gestalteten Studie nachweisen, dass der unbedingte Wille zu einem Vertragsabschluss tatsächlich auf beiden Seiten nicht im erforderlichen Maß vorhanden war. Spanien beharrte auf seiner Hegemonialstellung in Europa, Frankreich strebte diese Stellung selbst für sich an, die spätere Gleichgewichtsvorstellung spielte noch keine Rolle. Dennoch profitierten die beiden Mächte von den Erfahrungen der Verhandlungen, die zehn Jahre später in die Gespräche am Fluß Bidassoa einflossen und dann den Weg zum Pyrenäenfrieden ebneten.
Anmerkungen:
[1] Michael Rohrschneider (Hg.): Acta Pacis Westphalicae. Die französischen Korrespondenzen, Bd. 6: 1647 (=APW, Serie II, Abt. B, Bd. VI), Münster 2003.
[2] Die sechs Punkte betrafen die Freilassung des gefangenen Eduard von Bragança, die Regelung der oberitalienischen Festung Casale, die Frage der Festungen in Katalonien, die Frage der Zulässigkeit französischer Militärhilfe an Portugal, die Restitution Herzog Karls von Lothringen in seiner Territorialherrschaft und den Umfang der spanischen Gebietsabtretungen an Frankreich (480).
Johannes Arndt