Berndt Rieger: Creator of Nazi Death Camps. The Life of Odilo Globocnik, London / Portland: Vallentine Mitchell 2007, XI + 244 S., ISBN 978-0-85303-523-7, GBP 18,50
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Thomas Horstmann / Heike Litzinger (Hgg.): An den Grenzen des Rechts. Gespräche mit Juristen über die Verfolgung von NS-Verbrechen, Frankfurt/M.: Campus 2006
Nach den Büchern von Siegfried J. Pucher [1] und Joseph Poprzeczny [2] ist jetzt die dritte Biografie des ehemaligen Wiener Gauleiters und späteren SS- und Polizeiführers (SSPF) von Lublin in Buchform erschienen, nachdem bereits mehrfach biografische Skizzen über Globocnik u. a. von Peter R. Black, Joseph Wulf, Lionel Kochan, Ruth Bettina Birn und Karl Höffkes vorgelegt worden sind.
Globocnik, 1904 in Triest geboren und dort und in Klagenfurt aufgewachsen, stieß laut eigenen Angaben bereits 1922 zur NSDAP. Wegen seiner Tätigkeit für die illegale NSDAP wurde er 1933 in Österreich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, wobei es ihm gelang, trotz der Haft die Baumeisterprüfung abzulegen. 1934 trat er in die SS ein, im Mai 1938 wurde er zum Gauleiter von Wien ernannt. NSDAP-interne Konflikte sowie seine Amtsauffassung - erratisches Finanzgebahren und eigenwillige Methoden bei der "Arisierung" - führten zu seinem Sturz als Gauleiter am 30.1.1939. Nach einer Ausbildung bei der Waffen-SS und der Teilnahme am Polenfeldzug wurde er von Himmler zum SSPF Lublin ernannt. Unter seiner Herrschaft entwickelte sich der Distrikt Lublin zum nazistischen Tötungszentrum schlechthin. Neben Ghettos, Zwangsarbeitslagern und dem Konzentrationslager Lublin-Majdanek befanden sich die drei Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka der "Aktion Reinhardt" in seinem Bezirk. Im September 1943 wurde Globocnik zum Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) der Operationszone Adriatisches Küstenland ernannt. Dort wurde in einer früheren Reismühle das Durchgangslager Risiera di San Sabba eingerichtet, das zur Inhaftierung von Partisanen, als Drehscheibe für Deportationen von Juden nach Auschwitz und als Depot zur Verwertung jüdischen Eigentums diente. Nicht zufällig war außerdem in diesem Lager in einer Garage eine Gaskammer eingerichtet worden. Globocnik und Angehörige seines Stabs, unter denen sich zahlreiche Altgediente aus Lublin befanden, waren vor allem mit der Bekämpfung der Widerstandsbewegung in Istrien befasst. Gegen Kriegsende floh Globocnik auf eine Almhütte, wo er am 31.5.1945 von einer britischen Einheit verhaftet wurde. Noch am selben Tag vergiftete er sich.
Riegers Arbeit ist chronologisch strukturiert und in drei Kapitel gegliedert: zunächst die Anfänge Globocniks in der NS-Bewegung und seine glücklose Zeit als NSDAP-Gauleiter von Wien, die Jahre als SSPF Lublin und schließlich sein Einsatz als HSSPF der Operationszone Adriatisches Küstenland ab Ende 1943 bis zu seinem Selbstmord. In einem abschließenden Essay werden Fotos von Globocniks vorgestellt.
Wie der erste Globocnik-Biograph Siegfried J. Pucher hat Rieger besonderes Interesse an den frühen Jahren Globocniks in Kärnten und kann hier auch einiges Neues beitragen, u. a. die Einbindung Globocniks in die illegale Kärntner NS-Bewegung, seine Bekanntschaft mit Reinhold von Mohrenschildt, der später sein Adjutant in Lublin werden sollte und die ebenfalls aus die 1930er-Jahre datierende Bekanntschaft mit Eichmanns Transportreferenten Franz Novak in dessen Kärntner Geburtsort Wolfsberg (11). Nachteilig ist, dass hier langatmig Personen eingeführt werden müssen, die für den Werdegang des SSPF Lublin insgesamt von eher geringer Bedeutung waren.
Man darf sich natürlich fragen, ob die schmale Quellenbasis und das (vergleichsweise kurze) Leben Globocniks wirklich eine Monografie tragen. Es gibt weder längere aussagekräftige Selbstzeugnisse - Globocnik galt als schwacher Redner und ungeübter Briefschreiber - noch umfangreiche Dokumente zu seinen Taten, da sämtliche Spuren der "Aktion Reinhardt" auf ausdrücklichen Befehl vernichtet wurden. So müssen vor allem Globocniks Briefe (überliefert im Berlin Document Center, jetzt Bundesarchiv) und die Erinnerungen anderer an ihn als Quellen herhalten, die dann in extenso zitiert werden.
Dies führt zu der merkwürdigen Fokussierung Riegers auf Globocniks Privatleben. Der Leser erfährt - nolens volens - von diversen Amouren, drei Verlobungen, einer Ehe, dem enormen Verbrauch von Lebensmitteln im Haushalt Globocniks (78) und Sauforgien (87). Kurzum: Es menschelt sehr. Nur weiß man nicht so recht, welchem Zweck das dienen soll. Spätestens seit dem Ende des 'Dritten Reiches' ist bekannt, dass auch Vegetarier, Kinder- und Hundefreunde nicht zwangsläufig gute Menschen waren. Ebenso waren die Qualitäten von tatfernen (Adolf Eichmann) wie tatnahen Massenmördern (Franz Stangl) als Familienväter sicher über jeden Zweifel erhaben, beurteilt werden sie allerdings nach anderen Kriterien als ihrem Privatleben.
Die polnischen Ghettos, über die Historiker nach wie vor wenig wissen, die Zwangsarbeitslager, ja selbst die Vernichtungslager treten bei Riegers Darstellung in den Hintergrund. Stattdessen wird über die Motive von Globocniks Handelns spekuliert oder wie er sich in einer bestimmten Situation "gefühlt" haben mag (33). Exakte Recherche wird durch dunkles Raunen ersetzt. "Irmgard [Globocniks Verlobte] was chosen to go to this man-made hell, and whoever chose her may have had a reason." (70) Gänzlich problematisch wird es, als der Autor - vorgeblich aus historischem Interesse - Sohn und Enkelsohn Globocniks aufstöbert, vor allem um sich zu überzeugen, dass das den Juden abgenommene Hab und Gut nicht doch der Familie zugute kam. Die Schilderung seiner nachmittäglichen Belagerung des Hauses der Familie beginnt er kokett mit folgenden Worten: "Call me shameless and obsessive [...]" (168) - in der Tat, die Grenzen des Anstands sind da schon lange überschritten.
Dazu kommen spektakuläre Missinterpretationen. Rieger nimmt an, die deutschen SS-Mitglieder seien frustriert gewesen, weil alle "guten Posten" in Lublin bereits an Österreicher vergeben gewesen seien (89). War es aber nicht vielmehr so, dass zahlreiche Angehörige der österreichischen NS-Bewegung mit Stellen außerhalb des Reichs abgefunden werden mussten, weil die attraktiven Posten bereits Angehörigen des Altreichs zugewiesen worden waren? Der Verfasser geht außerdem davon aus, Himmler habe das Vertrauen in Globocnik verloren und stattdessen auf Rudolf Höß gesetzt ("If Himmler had still trusted Globocnik with the Final Solution, he would have made him camp commander of Auschwitz.") (136). Dass Globocnik als SS-Brigadeführer weit über den Kommandanten der Konzentrationslager (mittlere Offiziersdienstränge) stand und ein Einsatz dort einer Degradierung gleichgekommen wäre, ist Rieger anscheinend nicht bewusst. Eine Erklärung bleibt er auch schuldig für die Behauptung, ab Sommer 1943 sei der Niedergang Globocniks in der Gunst Himmlers besiegelt gewesen, während dieser realiter zum SS-Gruppenführer befördert und mit neuen Aufgaben betraut wurde.
Die Literaturliste ist äußerst schmal, selbst Standardwerke fehlen. Yitzhak Arads Arbeit zu den Vernichtungslagern der Aktion Reinhardt (Belzec, Sobibor, Treblinka; Bloomington 1987) wird zwar im Text (111) erwähnt, nicht aber in der Auswahlbibliographie. Adalbert Rückerls Werk [3] sucht man ebenfalls vergebens. Auch die Erinnerungen von Überlebenden der Vernichtungslager wie etwa Richard Glazar, Jules Schelvis und Thomas T. Blatt, um nur einige wenige zu nennen, bleiben unberücksichtigt.
Zu allem Überfluss versucht Rieger, sich in einer sprachlich inadäquaten Weise bei seinen Lesern mit unpassenden Vergleichen anzubiedern, sei es bei der Interpretation eines Neujahrstelegramms von Globocnik an Hitler - "Hey, I'm your friend. I know that there have been problems." (49) - oder dem Vergleich von Hitlers Auftritten mit denen von Popstars heute (71). Dazu kommen unnötige Exkurse über nationale Eigenheiten (88) oder persönliche Erlebnisse des Autors (11; 101f.), die m. E. auch einem englischsprachigen Publikum nicht dienlich sind. Apodiktische Formulierungen ("17 March 1942 is the first day of the Holocaust [...], 108) tun ein Übriges, der Lektüre einen schalen Beigeschmack zu verleihen.
Als gänzlich misslungen ist der Exkurs über die Fotografien zu bezeichnen, weil hier aus den körperlichen Merkmalen Globocniks wie auch immer geartete Charaktereigenschaften herausdestilliert werden sollen. Man hätte gehofft, dass eine Kriminalanthropologie à la Cesare Lombroso schon längst ad acta gelegt sei.
Eine der großen Fragen der Holocaust-Forschung ist immer noch, wie aus "ganz normalen Männern" (Christopher R. Browning) Massenmörder wurden. Vor diesem Hintergrund kann Biografiegeschichte interessant und instruktiv sein. War es der antisemitische und rechtsradikale Hintergrund, vor dem Globocnik aufwuchs, war es der Wunsch, nach dem glanzlosen Intermezzo als Wiener Gauleiter in einer anderen Rolle - als SSPF - zu reüssieren und damit dem Reichsführer SS Himmler zu gefallen oder war es die Lust an der persönlichen Bereicherung und die Sucht nach Macht, die sich vergleichsweise leicht innerhalb des nationalsozialistischen Vernichtungsprogramms realisieren ließen, sofern man nur skrupellos genug war? Darauf hat der Autor jedenfalls keine befriedigende Antwort gefunden.
Anmerkungen:
[1] Siegfried J. Pucher: "... in der Bewegung führend tätig". Odilo Globočnik - Kämpfer für den 'Anschluß', Vollstrecker des Holocaust, Klagenfurt 1997
[2] Joseph Poprzeczny: Hitler's Man in the East: Odilo Globocnik, Jefferson N.C. und London 2004
[3] Adalbert Rückerl: Nationalsozialistische Vernichtungslager im Spiegel deutscher Strafprozesse. Belzec, Sobibor, Treblinka, Chelmno, München 1977
Edith Raim