Patrick Clarke de Dromantin: Les réfugiés jacobites dans la France du XVIIIe siècle. L'exode de toute une noblesse "pour cause de religion", Bordeaux: Presses universitaires de Bordeaux 2005, 525 S., ISBN 978-2-86781-362-7, EUR 55,00
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Während die Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich nach 1685 und ihre Aufnahme in zahlreichen europäischen, aber auch außereuropäischen Ländern ein etabliertes Forschungsfeld darstellt, verhält sich dies bei einem zeitlich und sachlich vergleichbaren Fall anders: bei den Jakobiten, also den Anhängern des im Zuge der Glorious Revolution exilierten englischen Königs James II. Zwar sind die Versuche bekannt, die Stuartdynastie mit militärischer Gewalt wieder auf dem englischen Thron zu verankern; doch die Aufnahme der Exilierten in den verschiedenen europäischen Gastländern, allen voran Frankreich, hat bisher nicht die verdiente Aufmerksamkeit gefunden.
Diesem Mangel hilft die Studie von Patrick Clarke de Dromantin wenigstens teilweise ab. Wenn sie auch, anders als der Obertitel suggeriert, nicht alle nach Frankreich emigrierten Jakobiten untersucht, sondern nur den allerdings quantitativ dominierenden irischen Adel, so bietet die Untersuchung dennoch ein relativ umfassendes Panorama einer faszinierenden Konstellation: des singulären Falles nämlich "de toute une aristocratie qui, a la suite de son souverain, s'établit durablement à l'étranger." (27) Clarkes Interesse gilt v.a. der Integration des irischen Adels in die französische Gesellschaft, ja er bezeichnet sein Buch sogar als "histoire d'une fusion d'une élite étrangère dans les élites dirigeantes des pays d'accueil" (27). Ein Problem der Studie besteht angesichts dieser wohlklingenden Ankündigungen darin, dass nicht recht klar wird, dass der irische Adel keine homogene Gruppe bildete; auch die wichtige Frage, was überhaupt "Adel" im frühneuzeitlichen Irland war und wie sich dessen Selbstdefinition zu kontinentalen Vorstellungen verhielt, wird nur gestreift, aber nicht beantwortet.
Nach der Restauration und der rechtlichen Besserstellung der Katholiken durch Charles II. und insbesondere James II. war die Glorious Revolution ein Schock: Die irischen Katholiken verließen nach der Schlacht an der Boyne (1690) in Zehntausenden ihre Heimat. Die Adeligen unter ihnen folgten dem König an den Exilhof in Saint-Germain-en-Laye, ließen sich aber auch - und hierin erschließt Clarkes Studie Neuland - in der Provinz nieder. Auch im 18. Jahrhundert riss die, nun allerdings oft ökonomisch motivierte, irische Auswanderung nach Frankreich und in dessen Kolonien nicht ab.
Clarke beschreibt in drei Schritten die Integration der irischen Adeligen in die französische Gesellschaft: In einem ersten Abschnitt zeigt er die Mittel und Wege der rechtlichen und sozialen Aufnahme, in einem zweiten widmet er sich den Jakobiten in Armee, Diplomatie und Kirche, ein dritter Abschnitt schließlich befasst sich mit den ökonomischen Aktivitäten der Immigranten. Das Buch zeichnet sich durch große Quellennähe und eine Vielzahl von Statistiken aus und zeigt sich somit als Produkt der französischen Tradition der quantifizierenden Sozial- und Strukturgeschichte. Demgegenüber findet der kulturgeschichtliche Bereich der Erfahrung von Exil und Fremdheit deutlich weniger Beachtung.
In Teil 1 beschreibt Clarke die Strategien der Integration: zuerst die Naturalisierung als französische Staatsbürger, die häufig problemlos vor sich ging und von der traditionellen französischen Politik der Offenheit gegenüber Fremden profitieren konnte. Als zweiter Schritt folgte dann die Anerkennung des Adels als Voraussetzung der Integration in die französische Aristokratie. Allerdings dauerte diese Anerkennung zuweilen Jahrzehnte, weil konkurrierende Institutionen und hohe genealogische Ansprüche auf Seiten der französischen Behörden einen komplizierten Prüfungsprozess notwendig machten. Die französischen Prüfer sahen sich dabei oft bis in die graue Vorzeit zurückreichenden irischen Familienmythen gegenüber. Wenn diese Konfrontation sicher auch unterschiedlichen Mentalitäten geschuldet war, ist es doch übertrieben, diese zu überzeitlichen volkspsychologischen Konstanten zu stilisieren: Clarke konfrontiert die mythische Fantasie der Iren mit "notre esprit cartesien" und "nos méthodes rationelles" (79). Insgesamt aber ergibt sich eine Erfolgsgeschichte, die Clarke anhand der sozialen Praktiken nachvollzieht, mit denen sich die Iren an die französische Aristokratie assimilierten: ihr Heiratsverhalten, das Erwerben von Grundbesitz, die Übernahme französischer Lebensweisen - Wein, Tapisserien, französische Bücher: Überall kann Clarke zeigen, dass die Iren "parfaitement intégrés" (111) waren. Doch seine statistischen Daten hängen etwas in der Luft, weil er das Verhalten der Immigranten nicht systematisch mit dem des einheimischen Adels vergleicht.
Teil II gibt einen detaillierten Überblick über die Aktivitäten des irischen Adels in den Tätigkeitsfeldern, die traditionell Adligen vorbehalten waren: Militär, Diplomatie, hohe Kirchenämter. Die irischen Soldaten, die sog. "Wildgänse", waren im 18. Jahrhundert in ganz Europa (und auch in den überseeischen Kriegen) beliebt; in der französischen Armee dienten insgesamt etwa 30.000 Iren, nicht wenige von ihnen in Offiziersrängen. Sie zeichneten sich, so Clarke, durch eine zeitgenössisch oft bemerkte Tüchtigkeit und Tapferkeit aus. Allerdings ist Clarke hier der hagiografischen Gefahr nicht entgangen; die Berichte irischer Offiziere des späteren 18. Jahrhunderts, seine Hauptquelle, sind ja mit einiger Sicherheit pro domo geschrieben und wären insofern quellenkritischer zu lesen, als dies hier geschieht. Neben der Armee boten sich die Kolonialverwaltung, die Diplomatie und natürlich die Kirche als attraktive Tätigkeitsfelder an: Neben den relativ vielen nichtadligen irischen Priestern standen nämlich einige Bischöfe und andere hohe Kirchenmänner aus der Diasporagemeinschaft.
In Teil III beschreibt Clarke das wirtschaftliche Engagement des irischen Adels. War auch im 18. Jahrhundert in Frankreich die traditionelle Maxime, nach der Adlige sich nicht in Handel und Gewerbe engagieren dürften, mehr oder weniger außer Kurs gesetzt, so scheinen doch die irischen Adligen in besonderem Maße in verschiedenen Zweigen des Wirtschaftslebens aktiv gewesen zu sein, geradezu Industriedynastien ausgebildet zu haben und für technische Innovationen in hohem Maße aufgeschlossen gewesen zu sein. Clarke schildert ihre Tätigkeit im Bergbau, der Kohle- und Salpeterförderung, der Glas- und Textilindustrie, vor allem aber innerhalb des kolonialen Seehandels.
Wenn Ludwig XV. auch zu Beginn des Siebenjährigen Krieges einen kurzlebigen Versuch unternahm, die französischen Iren als Angelsachsen unter Generalverdacht zu stellen, verlief doch bis zur Revolution das Leben des irischen Adels in Frankreich relativ unproblematisch. Die Jakobiten, so Clarke, seien politisch (bei der Verwirklichung des Wunsches, nach Irland zurückzukehren) gescheitert, hätten aber in ihrer neuen Heimat in erstaunlicher Weise Erfolg gehabt. Woher dieser Erfolg rührte, erörtert Clarke sehr kurz am Ende des Buches: So weist er auf die Sympathie hin, die sie als Verfolgte genossen, auf ihre gut funktionierenden Netzwerke, auf ihr adliges Ethos, das ihnen geradezu die Pflicht zum Erfolg auferlegt habe. Im Hinblick auf die kommerziellen Aktivitäten seiner Protagonisten nimmt Clarke an, dass sie besser mit den neuen englischen Technologien vertraut waren als die Einheimischen, aber auch, dass sie, aus einer protestantisch beherrschten Umwelt kommend, den "typisch protestantischen" Geschäftssinn übernommen hätten. Auch hier lauern - in Anlehnung an die Weberthese - wieder verallgemeinerte Erklärungen von einiger Schlichtheit: Dass es gerade irische Adlige waren, die den Geschäftssinn nach Frankreich brachten, darf getrost bezweifelt werden.
Clarke bezeichnet sein Buch einmal halb ironisch als "saga jacobite" (462). Diese Charakterisierung trifft trotz der strukturgeschichtlichen Methode zu: Denn mit seinem positivistischen Ansatz, seinem hagiografischen Grundtenor und seiner Affinität zu volkspsychologischen Verallgemeinerungen hat es etwas Altmodisches. Nicht hinsichtlich seiner Befunde, aber im Hinblick auf seine Interpretation ist der Autor doch zu parteiisch. Dies schmälert seine Verdienste nur unwesentlich, könnte aber Ansporn sein, die Forschung fortzusetzen und z.B. stärker auch kultur- und mentalitätsgeschichtliche Aspekte etwa von Assimilationserfahrungen einzubeziehen. Denkt man an die ausdifferenzierte Forschungsgeschichte des hugenottischen Refuge, dürften zum Beispiel die ökonomischen Erfolge der Jakobiten sich in Zukunft als ambivalenter erweisen, als Clarke sie zeichnet: Denn in der Hugenottenforschung ist deutlich geworden, dass deren ökonomische Modernisierungsleistungen begrenzter waren als lange angenommen. Ein die neuen Erkenntnisse Clarkes einbeziehender Vergleich zwischen beiden Emigrantengruppen wäre jedenfalls lohnend.
Matthias Pohlig