Yvonne Kipp: Eden, Adenauer und die deutsche Frage. Britische Deutschlandpolitik im internationalen Spannungsfeld 1951-1957, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2002, 441 S., ISBN 978-3-506-77525-2, EUR 51,60
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Wer geschichtswissenschaftlich zu den internationalen Beziehungen arbeitet und dabei die Frage nach den Akteuren und deren Intentionen in den Blick nimmt, sieht sich regelmäßig der Kritik eines angeblichen Personalismus ausgesetzt. Wie erkenntnisfördernd solche Analysen gleichwohl sein können, zeigt das auf einer Bonner Dissertation basierende Buch von Yvonne Kipp über die deutsch-britischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg, in dessen Mittelpunkt die Wirkungszeit des britischen Außen- und Premierministers Anthony Eden steht. Kipp konnte die erst seit 1990 in der University of Birmingham Library zugänglichen Privatpapiere Edens einschließlich seines sporadischen Tagebuchs ebenso intensiv auswerten wie zahlreiche einschlägige Nachlässe außenpolitischer Akteure auf beiden Seiten des Kanals. Im Verbund mit den einschlägigen Quellen des Foreign Office und den Reaktionen der deutschen Seite zeichnet Kipp ein komplexes Bild der jeweiligen Intentionen und Interessen, der gegenseitigen Wahrnehmungen und der Komplikationen des beiderseitigen Abgleichungsprozesses.
Edens Bild in der Geschichte ist ebenso markant wie überschattet. Sein Aufsehen erregender Rücktritt 1938 als Außenminister im Kabinett Neville Chamberlains verschaffte ihm seine Reputation als Gegner einer Appeasementpolitik, die er doch mehr als zwei Jahre lang mitgetragen hatte. Als Persönlichkeit überstrahlt ihn seit jeher Winston Churchill, dem er während des Krieges und dann wieder seit 1951 als Außenminister diente, bevor er 1955 endlich dessen Nachfolge antreten konnte. Edens Name ist seither untrennbar verbunden mit seinem Scheitern in der Suez-Politik von 1956, die im Jahr darauf seine politische Karriere beendete. Seine Haltung zu Adenauer und Deutschland in den fünfziger Jahren muss folglich in der Perspektive dieser Vorgeschichte gesehen werden. Edens mentale Landkarte war durch die Erfahrungen seiner erzieherischen Prägephase bestimmt. Mit dem Geburtsjahrgang 1897 hatte er Großbritannien in seiner Jugend noch als Weltmacht erlebt, zwar gefährdet und immer wieder herausgefordert, aber doch stets in der Lage, darauf pragmatisch mit einigem Erfolg zu reagieren. Kipp führt vor, dass dieses Grundgefühl des Weltmachterbes, das es so lange als möglich zu sichern galt, Edens politische Haltung selbst dann noch prägte, als sich die Umstände durch den Machtverschleiß des Zweiten Weltkrieges massiv gewandelt hatten.
Auch sein Deutschlandbild resultierte aus dieser Wahrnehmung. Vor Augen standen ihm die Unberechenbarkeit der wilhelminischen Welt-Politik, die ambitionierte Schaukelpolitik der zwanziger Jahre und der aggressive Expansionismus Hitlers. All das hatte seine Wurzeln, so sah es nicht nur Eden, in einem schwer greifbaren deutschen Nationalcharakter. Die deutsche Unberechenbarkeit war, so meinte Eden, auch nach 1945 weiterhin lebendig. Wie viele seiner britischen Zeitgenossen glaubte er an die Existenz eines schwer kalkulierbaren, erratischen deutschen Wesens, das es zu zähmen galt. Er nahm den Fortbestand des deutschen Nationalismus als gegeben, gleichsam eine ewige Konstante, und fürchtete, dass dieser sich gerade angesichts der Teilung stets leicht neu entfachen ließ - mit allen Konsequenzen für die britische Sicherheit. Kipp beschreibt, wie konstant daher auch seine Furcht blieb, dass die Sowjetunion in der Deutschlandfrage mit den Verlockungen möglicher Einheit stets einen Hebel haben würde, die Unberechenbarkeit der Deutschen neu zu wecken und sie im Kalten Krieg für Moskaus Interessen zu instrumentalisieren. Latent imaginierte und fürchtete man in Whitehall ein fortgesetztes deutsch-russisches Sonderverhältnis und erinnerte sich historischer Beispiele wie Tauroggen, Rückversicherungsvertrag, Rapallo und den Hitler-Stalin-Pakt. Kipp zeigt zugleich, wie sehr dem britischen "Rapallo-Komplex" auf Adenauers Seite der "Versailles"- oder "Potsdam-Komplex" entsprach - die Furcht, dass die Alliierten sich über seinen Kopf hinweg einigen und Deutschland als Objekt bestimmten könnten.
Edens Engagement für die Westintegration der Bundesrepublik speiste sich folglich aus einer Mischung von Sicherheitsbegehren und Ressourcenschonung. Im Herbst 1954 war er maßgeblich beteiligt, "die allgemeine Enttäuschung über das Scheitern der EVG in der französischen Nationalversammlung in eine schnelle Zustimmung zur Aufnahme Deutschlands in die NATO umzumünzen", so dass das Jahr 1954 mit einigem Recht "als Höhepunkt der deutsch-britischen Zusammenarbeit unter Adenauer und Eden" charakterisiert werden kann (388).
Mit der NATO-Einbindung der Bundesrepublik verfolgte Eden das Ziel, einen erneuten deutschen Alleingang zwischen Ost und West zu verhindern. Keine neue Schaukelpolitik, kein neues Ausbrechen des deutschen extremen Nationalismus. "Eden wurde von der Furcht eines neuen, fehlgeleiteten deutschen Nationalgedankens so geplagt, dass er bis zum Frühjahr 1955 das Ausmaß des deutschen Strebens nach Wiedervereinigung völlig überschätzte" (385).
Mit der westdeutschen NATO-Bindung war Großbritanniens Sicherheit nach Edens Ansicht so gestärkt, dass London einen Teil seiner Rüstungsgelder für andere, dringendere Projekte ausgeben konnte, nicht zuletzt, um sein Weltmachterbe zu retten. Eden zielte in den Folgejahren auf eine "militärische Entzerrung in Mitteleuropa", um die Verteidigungslasten herunterfahren zu können - für Adenauer wiederum ein "Alptraum" (392). Adenauer misstraute den britischen Ambitionen, denn er war überzeugt - und hatte dies bei seinem Moskau-Besuch auch den Kremherrschern gesagt -, dass "kein europäisches Land, einschließlich England, eine Großmacht im echten Sinne heute mehr sei". [1] Die europäische Integration war eine logische Konsequenz dieser Ansicht. Die Briten lehnten jedoch die supranationalen Perspektiven des europäischen Integrationsprozesses ab. Ihre NATO- und Europapolitik hatte ja gerade den Sinn, sich Freiräume und Ressourcen zur Sicherung des Weltmachterbes und den Commonwealth zu schaffen, statt sich durch Integration zu binden.
Der von Kipp für die Fünfziger Jahre beschriebene Grundkonflikt zwischen der britischen und deutschen Orientierung in den internationalen Beziehungen ist in gewandelter Form bis heute gegenwärtig: Die Bundesrepublik zielt auf eine stärkere europäische Integration, weil sie, auch aus geografischer Sinnfälligkeit, im politischen, wirtschaftlichen und militärischen Verbund die größte Chance sieht, sich im globalen Gleichgewicht der Machträume zu stabilisieren. Die Mehrheit der britischen Politiker dagegen sieht, wie Eden und seinesgleichen es taten, als höchstes Gut die britische nationale Unabhängigkeit, die es gegen supranationale Machtabflüsse - symbolisiert durch die EU in Brüssel - zu sichern gilt. Kipps Analyse zeigt für die entscheidende Phase der deutschen Westbindungspolitik in den Fünfziger Jahren, wie hilfreich die Analyse politischer Persönlichkeiten zum Grundverständnis lang wirkender Tendenzen und Kräfte in den internationalen Beziehungen beizutragen vermag. Wer die britische Deutschland- und Europapolitik der Gegenwart verstehen will, tut gut daran, auf die Wirksamkeit der Traditionslinien zu schauen, die auch nach Eden für die meisten britischen Regierungen bestimmend geblieben sind.
Anmerkung:
[1] Adenauer an Dulles, 23. September 1955, in: Adenauer, Briefe 1955-1957, bearbeitet von Hans Peter Mensing, Berlin 1998, 59-62, hier 60.
Magnus Brechtken