Daniel Hohrath (Hg.): Farben der Geschichte - Fahnen und Flaggen, Berlin: Deutsches Historisches Museum 2007, 96 S., ISBN 978-3-86102-145-2, EUR 10,00
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Fahnen und Flaggen spielen im Bewusstsein des heutigen Deutschland, abgesehen von ihrem dekorativen Äußeren, kaum noch eine Rolle. Nach den Erfahrungen des kaiserlichen Deutschland und der beiden Diktaturen ist es nachvollziehbar, wenn sich im Gros der Bevölkerung weder Verständnis noch Bedürfnis an einem durch Mythen genährten Fahnenkult findet. Der Fahnenpatriotismus früherer Zeiten wird gar nicht oder höchstens als lächerlich wahrgenommen. Seien es öffentliche Vereidigungen auf die deutsche Flagge, seien es die Aufmärsche rechtsradikaler Gruppierungen mit extensiver Verwendung der "Reichskriegsflagge": Gesten, Parolen und Erscheinungsbild solcher Gruppen und Ereignisse beeinflussen unsere Wahrnehmung längst mehr als die mitgeführten farbigen Tücher, die kaum mehr als schmückendes Beiwerk abgeben. Eigentlich ermöglicht erst dieser Bedeutungsverlust den Weg zu einer wissenschaftlichen Erforschung von Fahnen und Flaggen; trotzdem stammen die meisten auch heute noch relevanten vexillologischen Werke aus der Zeit vor 1945 und können nur mit entsprechender Vorsicht verwendet werden.
Die Ausstellung "Farben der Geschichte", zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Flaggenkunde erarbeitet, dürfte auch insofern eine Premiere in der deutschen Museenlandschaft gewesen sein, da sie sich als erste völlig auf dieses eine Medium beschränkte. Sie fand vom 27. 04. bis 09. 09. 2007 im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums statt. Dabei wurden 35 der rund 2500 Stücke umfassenden Sammlung des DHM präsentiert. Mit dieser Beschränkung auf die eigenen Bestände geht die Auswahl der Exponate einher: in der Mehrzahl wurden militärische Feldzeichen aus den Überresten der einst so riesigen Bestände des Berliner Zeughausmuseums herangezogen, ergänzt durch Fahnen vor allem der politischen Linken aus den Beständen des Museums für Deutsche Geschichte der DDR. Eigene Erwerbungen des DHM können diese eng umgrenzten Sammelgebiete seiner Vorläufer nur bedingt ergänzen; so sind etwa ausländische Fahnen (Frankreich, Dänemark, Österreich-Ungarn, aber auch untergegangener deutscher Staaten, wie des Königreichs Hannover) lediglich durch militärische Beutestücke aus dem ehemaligen Zeughaus vertreten. Das vorliegende, von Daniel Horath, dem Kurator der Ausstellung, herausgegebene Buch möchte aber mehr als nur der Begleitband zur Ausstellung sein. Ein deutliches Anliegen des Werkes ist es, einen Überblick zur Kulturgeschichte der Fahnen und Flaggen zu bieten und für eine gründlichere Erforschung derselben zu werben.
Auf eine ausführliche Geschichte der Fahnensammlung des DHM und seiner Vorläufer (Daniel Hohrath, André König, Klaus-Peter Merta) folgen kleinere Beiträge zur Kulturgeschichte der Fahnen und Flaggen. Jeweils im Anschluss werden dazu passende Exponate mit Katalogbeiträgen gewürdigt. Dabei überwiegen streckenweise detailreiche Ausführungen zu militärischen Fahnen aus der ehemaligen Zeughaussammlung. Diese werden nach Funktion (Beiträge Daniel Hohrath, Urte Evert, Martin Winter) und Mythos (Urte Evert, Daniel Hohrath, André König) ebenso hinterfragt, ebenso wie nach dem Zusammenhang ihrer Aufstellung innerhalb des Zeughausmuseums (Ernst-Heinrich Schmidt). Lediglich die letzten drei Beiträge zu Vereinsfahnen (Berno Bahro, Winfried Mönch), der Entwicklung der deutschen Nationalflagge (Steffi Bahro) und von Fahnen im Zusammenhang mit Ideologien (Urte Evert) gehen über dieses Gebiet hinaus. Der letzte dieser Beiträge offenbart einige Schwächen: So stehen einer Standarte der NSDAP gleich fünf Fahnen aus dem sozialistischen bzw. kommunistischen Umfeld gegenüber; der Übergang von diesen Fahnen zur "Ideologie" eines Fanpakets zur Fußballweltmeisterschaft 2006 erscheint dann doch an den Haaren herbeigezogen.
Weitere Aspekte, etwa von kirchlichen Fahnen, bleiben ebenso unberücksichtigt, wie die allgemeine (Kultur-)Geschichte von Fahnen und Flaggen aus der Zeit vor der Mitte des 17. Jahrhunderts, in anderen Teilen Europas (und Deutschlands) sowie im außereuropäischen Kontext. Alle Beiträge sind streng an den Exponaten ausgerichtet und korrespondieren mit ihnen; der ältesten besprochenen Fahne von 1677 entspricht deswegen der Beginn der Betrachtungen.
Neben den Exponaten der Sonderausstellung werden in mehreren Einschüben auch einige der Fahnen und Flaggen aus der ständigen Ausstellung des DHM, "Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen", vorgestellt und in Katalogbeiträgen besprochen. Da die meisten dieser Fahnen innerhalb der Dauerausstellung eher dekorativ eingesetzt werden (z. B. im Segment zur Revolution von 1848), sind diese Besprechungen sehr zu begrüßen.
Besonders hervorzuheben ist neben der oben erwähnten Sammlungsgeschichte vor allem auch der präzise Beitrag von Steffi Bahro zur Entwicklung der deutschen Nationalflagge - trotz Unschärfen: Die ersten Nachweise eines schwarzen Adlers auf goldenen Grund als Wappen des deutschen Königtums datieren früher als die beiden hier angegebenen Quellen (Züricher Wappenrolle von ca. 1340 und Codex Manesse von ca. 1305/1340); statt dessen hätte man auf die Jenenser Handschrift der "Chronica" Ottos von Freising (ca. 1200) oder den "Clipearius Teutonicorum" des Konrad von Mure (vor 1264) verweisen können.
Gerade auch in seiner Kürze stellt der Band - trotz seiner Bindung und Beschränkung auf die Fahnensammlung des DHM - eine gute Einführung in die Kulturgeschichte historischer Fahnen und Flaggen dar. Er hebt sich von anderen Publikationen durch seine Anschaulichkeit und wissenschaftliche Präzision ab. Es bleibt aber zu hoffen, dass die hier gegebenen Anregungen zu weiteren Publikationen innerhalb der Vexillologie führen mögen; vor allem wünscht man sich, dass der vexillologische Sammlungsbestand des DHM (inklusive einer möglichst vollständigen Aufarbeitung der Verluste des ehemaligen Zeughausmuseums) bald in Form eines genauen Inventars der Forschung zur Verfügung stehen wird, so dass diese immer noch größte Sammlung seiner Art in Deutschland nicht länger ein Geheimtipp bleibt; ein erster Schritt ist mit dem vorliegenden Band sicherlich getan.
Friedrich Ulf Röhrer-Ertl