Cornelius Tacitus (Hg.): Dialogus de oratoribus. Streitgespräch über die Redner. Eingeleitet, herausgegeben und erläutert von Dieter Flach, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, 113 S., ISBN 978-3-515-08769-8, EUR 23,00
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Trotz der nicht wenigen Editionen, Kommentare und Übersetzungen zu Tacitus' Dialogus de oratoribus fühlte sich Dieter Flach zu einer weiteren lateinisch-deutschen Ausgabe berufen, weil "sich seine Herausgeber und Übersetzer in Streit und Zweifelsfragen der Textgestaltung und des Textverständnisses so oft falsch oder halbherzig [entschieden hätten]" (Vorwort). Über 60 Textstellen (32) hat Flach dabei einer genauen Nachprüfung unterzogen.
Die Einleitung beginnt mit einem Abschnitt "Der Verfasser" (11-21), hinter dem sich aber kein biographischer Abriss verbirgt, sondern eine Vorstellung der zwei anderen kleinen Schriften Agricola und Germania. Während der Agricola sehr knapp behandelt wird, wird die Germania ausführlich erörtert, was offensichtlich daran liegt, dass Flach hier praktischerweise ein Destillat mehrerer seiner Artikel zur Germania präsentiert. [1] Den Nutzen für das vorliegende Buch kann der Rezensent nicht nachvollziehen. Vorbildhaft am Thema bleiben dagegen die Abschnitte "Das Streitgespräch" (21-28) und "Die Handschriftenlage" (29-32).
Auf die Edition des lateinischen Textes soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Dies hat der dazu viel mehr berufene Roland Mayer, der sich 2001 mit diesem Werk auseinandergesetzt hat [2], bereits ausführlich getan. [3]
Unangenehm fällt auf, dass zunächst der lateinische Text und erst dann die Übersetzung präsentiert werden. Weil lateinischer Text und entsprechende Übersetzung nicht auf gegenüberliegenden Seiten gedruckt sind, muss lästigerweise hin und her geblättert werden. Grundsätzlich ist zudem zu fragen, ob die überarbeiteten Textstellen (in der Übersetzung mit Fußnoten erläutert) tatsächlich zu so grundlegend neue Deutungen führen, dass eine komplett neue zweisprachige Ausgabe von Nöten gewesen wäre. Vielmehr scheint es Flach darum gegangen zu sein, der "Untugend, mit einem holprigen Übersetzungsdeutsch, das sich von Wort zu Wort forthangelt und fremde Sprachbilder in die der Muttersprache zu übertragen versäumt" (33) entgegen zu treten. Dies ist ihm durchweg gelungen. Flach übersetzt viele allgemein gehaltene Begriffe gleich so, dass der jeweilige Bezug (z.B. auf die Gerichtsverhandlung oder die Rednerausbildung) deutlich wird. Exemplarisch soll hier nur auf eine Stelle eingegangen werden. In Kapitel 28 kritisiert Messalla die Missstände der Kindererziehung: "ego de urbe et his propriis ac vernaculis vitiis loquar [...]" (dial. 28,3). In der Übersetzung von Gugel/Klose heißt es: "Ich will über die Stadt und die ihr eigentümlichen inneren Laster reden [...]". [4] Güngerich kommentiert: "vernaculis: das Wort in dieser Bedeutung ('römisch, großstädtisch') auch bei Cicero. " [5] Flach hingegen übersetzt hier: "Ich will über die Hauptstadt und die ihr eigenen Haussklavenmissstände sprechen [...]", denn diese "Haussklavenmissstände" in Bezug auf die Kindererziehung werden dann in dial. 29,1 beschrieben.
Nicht ganz klar wurde dem Rezensenten, wem die vereinzelt in eckigen Klammern in den Fließtext eingestreuten Begriffserklärungen und die Ergänzungen zum besseren inhaltlichen Verständnis von Nutzem sein sollen. Dass Kolonien "Tochterstädte" und Munizipien "Landgemeinden" sind (69, zudem auf 72 nochmals) oder der breite Purpurstreifen "als senatorisches Standesabzeichen" (71) diente, weiß der Fachkundige. Wem als Laien bereits diese Begriffe unbekannt sind, der wird erst recht über andere Dinge stolpern, die nicht erklärt sind - oder über die Erklärungen selbst, wenn es z.B. in einer Erweiterung kurz und knapp heißt: " [...] [als Reiz- und Schlagwort im Parteikampf zwischen Optimaten und Popularen] die Bezeichnung >volksnah< [...]" (96, zu dial. 36,3: populare nomen). Zudem sind die Erweiterungen teilweise völlig überflüssig: "Wieviel Kräfte, glauben wir, haben der Rede die [zu Gerichtssälen zweckentfremdeten] Hörsäle und Archive entzogen, in denen nun schon beinahe die meisten Rechtsfälle abgewickelt werden. " (99, zu dial. 39,1) Durch die Erklärung im Nebensatz hätte jeder Leser den Inhalt auch ohne die Ergänzung von Flach richtig verstanden (so auch 84 in dial. 22,2). All diese Kommentare hätte Flach sich besser gänzlich gespart, zumal er für Sachfragen ausdrücklich auf die Kommentare von Gudemann, Güngerich und Mayer verweist (33).
Da sich der Preis mit 23 Euro in einem sehr erträglichen Rahmen hält, kann demjenigen, der sich mit dem dialogus de oratoribus beschäftigen will, der Kauf aber dennoch empfohlen werden.
Anmerkungen:
[1] Dieter Flach: Tacitus über Herkunft und Verbreitung des Namens Germanen, in: Peter Kneissl/Volker Losemann (Hgg.): Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Christ zum 65. Geburtstag, Darmstadt 1988, 167-185; ders.: Die Germania des Tacitus in ihrem literaturgeschichtlichen Zusammenhang, in: Herbert Jankuhn/Dieter Timpe (Hgg.): Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus. Bericht über die Kolloquien der Kommission für die Altertumskunde Nord- und Mitteleuropas im Jahr 1986, I (Abh. der Akad. der Wiss. in Göttingen phil.-hist. Kl. Folge 3; 175), Göttingen 1989, 27-58; ders.: Der taciteische Zugang zu der Welt der Germanen, in: Rainer Wiegels/Winfried Woesler (Hgg.): Arminius und die Varusschlacht. Geschichte - Mythos - Literatur, Paderborn u.a. 1995, 143-166.
[2] Cornelius Tacitus, Dialogus de oratoribus, ed. Roland Mayer, Cambridge 2001.
[3] Bryn Mawr Classical Review 2006.06.16 [http://ccat.sas.upenn.edu/bmcr/2006/2006-06-16.html , 7.11.2007].
[4] P. Cornelius Tacitus, Dialogus de oratoribus. Dialog über die Redner. Lateinisch/Deutsch. Nach der Ausgabe von Helmut Gugel herausgegeben von Dietrich Klose, Stuttgart 1981.
[5] Rudolf Güngerich, Kommentar zum Dialogus des Tacitus. Aus dem Nachlass herausgegeben von Heinz Heubner, Göttingen 1980, 122 z.St.
Stefan Priwitzer-Greiner