Jörg Fündling: Kommentar zur Vita Hadriani der Historia Augusta (= Antiquitas. Reihe 4: Beiträge zur Historia-Augusta-Forschung. Serie 3: Kommentare; Bd. 4.1, 4.2), Bonn: Verlag Dr. Rudolf Habelt 2006, 2 Bde., CXXVIII + 1230 S., ISBN 978-3-7749-3390-3, EUR 165,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Martin Beckmann: The Column of Marcus Aurelius. The Genesis & Meaning of a Roman Imperial Monument, Chapel Hill, NC / London: University of North Carolina Press 2011
Martijn Icks: The Crimes of Elagabalus. The Life and Legacy of Rome's Decadent Boy Emperor, London / New York: I.B.Tauris 2011
Günter Aumann: Antoninus Pius. Der vergessene Kaiser, Wiesbaden: Reichert Verlag 2019
Die Kommentar-Serie der Reihe 'Beiträge zur Historia-Augusta-Forschung' in der Schriftenreihe Antiquitas, die bisher leider erst 3 Bände zählen konnte [1], hat mit Jörg Fündlings Kommentar zur Vita Hadriani im wahrsten Sinne des Wortes Zuwachs an Gewicht bekommen: 2,1 Kilogramm, verteilt auf zwei Bände, die insgesamt fast 1360 Seiten umfassen, lassen einem den Mund offen stehen. Der Atem stockt schließlich, wenn man im Vorwort liest: "Starke Kürzungen des Stoffes und Konzeptes erwiesen sich - mag das Volumen der fertigen Bände dies auch unglaubhaft wirken lassen - als zwingend notwendig".
Zur Beruhigung: Der eigentliche Kommentarteil umfasst 'nur' 938 der 1360 Seiten. Im Verhältnis zu den 25 Seiten der Vita Hadriani in der Edition von Hohl bedeutet das einen Betreuungsschlüssel von fast 40 Seiten Kommentar pro Seite in der Edition.
Die restlichen gut 400 Seiten verteilen sich unter anderem auf Quellen- und Literaturverzeichnis. Fündlings Ausführlichkeit und Detailverliebtheit zeigt sich schon auf den 26 Seiten Quellenverzeichnis, die auch ohne die sich über 2 Seiten erstreckende Zitation von CIL-Bänden nutzbar gewesen wäre. Seine schier unglaubliche Belesenheit dokumentieren die 86 Seiten Literaturangaben, die bei vorsichtig geschätzten 25 Titeln pro Seite weit über 2000 Titel belegen. Das sehr nützliche Register (Quellen, Orte, Personen und sehr knapp Sachen) benötigt 61 Seiten.
219 Seiten beansprucht die - welch Euphemismus - Einleitung. Vielmehr legt Fündling hier einen Forschungsüberblick zu allgemeinen Fragen wie z.B. der Autorenschaft oder Datierung der Historia Augusta - wenn auch unter dem Deckmäntelchen "im Horizont der Vita Hadriani" (15) - vor (3-87), gefolgt von einer ausführlichen Darstellung der Quellen der Vita Hadriani (und der Historia Augusta insgesamt) (89-175). Lippold war als Verfasser des ersten Kommentars berechtigt, einen sehr ausführlichen "Allgemeinen Teil" voranzustellen; schon Brandt hatte sich auf ein vernünftiges Maß begrenzt: Bei folgenden Kommentaren sollte darauf geachtet werden, dass der Einführungsteil sich nicht zu sehr an der "gewissen Weitläufigkeit" (XI) Fündlings orientiert.
Der Forschungsüberblick krankt wie das Werk insgesamt an dem Verzicht auf Fußnoten. Sämtliche Verweise erscheinen mit Kurztiteln im Fließtext - mit einer einzigen und daher umso skurriler wirkenden Ausnahme (37). Die an sich beeindruckende und löbliche Verarbeitung sämtlicher zentraler Literatur wird in einer Ausführlichkeit und mittels zahlreicher Zitate betrieben, dass darunter die Übersichtlichkeit der Argumente leidet und oft nicht mehr klar hervorgeht, was Fündling selbst eigentlich vertritt. Er präsentiert keineswegs eigene grundlegend neue Argumente oder Interpretationen, sondern benötigt immerhin 65 Seiten Vorlauf für die nicht gerade konkrete und spektakuläre Aussage: "Dieser Kommentar geht davon aus, daß mindestens der Komplex der HA-Hauptviten im wesentlichen aus einer Hand stammt, daß damit der durch Victor und Eutrop gegebene terminus post quem gilt und eine Entstehung der Hauptviten wie der gesamten HA nicht vor Ende des 4. Jh. am wahrscheinlichsten ist" (66).
Der Kommentarteil legt den Schwerpunkt eindeutig auf die historische Interpretation, vernachlässigt aber philologische Fragen nicht. Wie der Umfang schon vermuten lässt, geht der Kommentar weit über die Informationen der Vita Hadriani und auch der Historia Augusta insgesamt hinaus; dahinter ist wohl die generelle Quellenkunde und der Forschungsüberblick zur Zeit Hadrians - beides hatte Fündling ursprünglich zusätzlich geplant (XI) - zu erkennen.
Angesichts des Umfangs des Kommentars sei es gestattet, nur auf einige wenige, sicherlich sehr selektive Stellen einzugehen, bei denen sich der Rezensent zudem wenigstens ansatzweise berufen fühlt, sie inhaltlich beurteilen zu können.
Zu Hist. Aug. Hadr. 2,10 und 4,10: Bei der Beurteilung der Rolle Plotinas für die Karriere Hadrians (Hochzeit mit Sabina, Vorgänge bei bzw. nach dem Tod Traians) widerspricht Fündling seiner eigenen Aussage "[s]o sicher Plotinas Schlüsselrolle im August 117 war [...]" (320), indem er auf der anderen Seite einräumt, "daß künftige Kaiser (nicht immer die Besten) hochstehenden Frauen (nicht immer der eigenen Mutter) auffallen und so erst ihre Chance bekommen, war ein gängiges Motiv [...]" (322), wobei der Rezensent der zweiten Auffassung zuneigt. [2] Eine offensichtliche Abneigung Fündlings, eindeutig Stellung zu beziehen, begegnet häufiger.
Die in Hist. Aug. 14,11 geschilderten zwiespältigen Charaktereigenschaften Hadrians werden zwar auf 20 Seiten allgemein und speziell untersucht (716-736), der Hinweis auf die in der Forschung vorgeschlagene Vorlage, Sallusts Catilina, findet sich aber erst sehr spät (728) bzw. an anderer Stelle im Quellenkapitel der Einleitung (161). In diesem Zusammenhang vermisst man auch den Beitrag von Thomas Wiedemann [3], der - wie auch Fündling (718) - vermutet, dass der Autor der Historia Augusta die Darstellung des Avidius Cassius als eine Person, die positive als auch negative Eigenschaften in sich verbindet (z.B. Hist. Aug Cass. 3,4), aus dieser Stelle der Vita Hadriani übernommen habe; die Vorlage für Hadr. 14,11 sei indirekt die Beschreibung Catilinas durch Sallust gewesen.
In Hist. Aug. Hadr. 24,1 wird über die Nachfolgeregelung, die Hadrian nach dem Tod des Aelius Caesar veranlassen musste, berichtet. Unter anderem werden die beiden Personen genannt, die Antoninus auf Anweisung Hadrians adoptierte: Annius Verus und Marcus Antoninus. Die Historia Augusta weiß, wie sich aus dem folgenden Paragraphen ergibt, dass die Adoptionsregelung von 138 n. Chr. neben Antoninus die späteren Kaiser Marcus Aurelius und Lucius Verus betraf. Der Autor wollte also mit 'Annius Verus' und 'Marcus Antoninus' zwei verschiedene Personen bezeichnen, obwohl 'Annius Verus' das ursprüngliche Gentil- und Cognomen und 'Marcus Antoninus' Teil des Herrschernamens des Marcus war. 'Annius Verus' steht daher wohl falsch für Lucius (Verus), da die Historia Augusta mit 'Verus' (bzw. zusammengesetzten Namen mit 'Verus') in erster Linie Lucius Verus verbindet. Dies ist nicht die einzige Schwierigkeit bei den Berichten in der Historia Augusta zu den Regelungen von 138, z.B. heißt es Hist. Aug. Aur. 5,1, dass Lucius Commodus = Lucius (Verus) von Marcus (Aurelius) adoptiert worden sei. Fündling verweist in seinem Kommentar häufig auf andere Viten der Historia Augusta und stellt (unter Bezug auf Callu [4]) zusammenfassend fest: "Wenigstens stellenweise ist sogar davon auszugehen, daß der Anschein widersprüchlicher Überlieferung vom Autor selbst vorsätzlich aus einer einstimmigen Quellenlage fabriziert worden ist. Manchmal verteilt er solche Diskrepanzen über mehrere themenverwandte Viten - so bei den Einlassungen der vv. Ael., H, MA und V zur Adoptionsbestimmung von 138 [...]" (79). Eine vorsätzliche Abwandlung einer einstimmigen Quellenlage kann der Rezensent allerdings nicht erkennen, vielmehr scheint es, dass der Autor der Historia Augusta (oder schon seine Vorlagen) im Zusammenhang mit der Nachfolgeregelung aufgrund der mehrmaligen Namenswechsel der beteiligten Personen Ereignisse und Handlungen, die 'Verus' betrafen, nicht mehr richtig zuordnen konnte, da mit diesem Namen Marcus (Aurelius) oder Lucius (Verus) gemeint sein konnten. [5]
Am Ende bleibt ein zwiespältiges Bild. Beeindruckend ist die Vermittlung der Forschungsliteratur, wodurch der Kommentar und auch die Einleitung äußerst nützlich für die Vita Hadriani und die Historia Augusta insgesamt werden. Mittels Fußnoten hätte der Fließtext allerdings von unnötigem Ballast befreit werden können, ja müssen, wodurch er prägnanter und klarer geworden wäre. Die eigene Kreativität bei der Interpretation scheint unter der aufwändigen Verarbeitung der Sekundärliteratur gelitten zu haben. Angesichts des Umfangs begegnet - zumindest was die Stichproben angeht - wenig Neues.
Anmerkungen:
[1] Den gelungenen Bänden von Adolf Lippold: Kommentar zur Vita Maximini Duo der Historia Augusta, Bonn 1991, und Hartwin Brandt: Kommentar zur Vita Maximi et Balbini der Historia Augusta, Bonn 1996, folgte der unterdurchschnittliche Band von Sabine Walentowski: Kommentar zur Vita Antoninus Pius der Historia Augusta, Bonn 1997.
[2] Vgl. demnächst Stefan Priwitzer: Faustina minor - Ehefrau eines Idealkaisers und Mutter eines Tyrannen. Quellenkritische Untersuchungen zum dynastischen Potential, zur Darstellung und zu Handlungsspielräumen von Kaiserfrauen im Prinzipat (Tübinger althistorische Studien 6), Bonn 2009, 31ff.
[3] Thomas Wiedemann: The Figure of Catiline in the Historia Augusta, CQ 29 (1979), 479-484, bes. 483f.
[4] Jean-Pierre Callu:Verus avant Verus, HAC 1 (1990), 101-122.
[5] Vgl. demnächst Stefan Priwitzer: Faustina minor (wie Anm. 2), 63ff.
Stefan Priwitzer-Greiner