Matthias Becher (Hg.): Quellen zur Geschichte der Welfen und die Chronik Burchards von Ursberg (= Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe; Bd. 18b), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007, 328 S., ISBN 978-3-534-07564-5, EUR 99,90
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Zweisprachige Ausgaben sind im akademischen Lehrbetrieb angesichts schwindender Lateinkenntnisse seit längerem beinahe unverzichtbar, um Studierenden bereits zu einem frühen Zeitpunkt mittelalterliche Quellen nahezubringen und sie allmählich an den Umgang mit der zumeist fremden, vielfach Angst einflößenden Sprache jener Zeit heranzuführen. Insofern ist es außerordentlich begrüßenswert, dass mit dem von Matthias Becher vorgelegten, gemeinsam mit seinen Bonner Mitarbeitern erstellten Band im Rahmen der bestens bewährten Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe nun auch zentrale Quellen zur welfischen Geschichte in einer modernen lateinisch-deutschen Ausgabe zur Verfügung stehen.
Durch den Band werden jedoch nicht nur die Texte einem breiteren Kreis zugänglich, sondern man erhält auch einen Einblick in die (Eigen-)Art historischen Erinnerns im Mittelalter: Denn obwohl bereits im frühen 9. Jahrhundert Personen greifbar sind, die die moderne Forschung den Welfen zurechnete, lässt sich bei diesen selbst erst deutlich später ein historisches Bewusstsein fassen und gibt es erstmals in den zwanziger Jahren des 12. Jahrhunderts Bemühungen, die Geschichte jener Familie, die damals bereits zu den angesehensten Familien des Reiches zählte, aufzuzeichnen. Die daraus resultierenden Folgen sind erheblich, denn die Frühgeschichte muss als weitgehende Konstruktion gelten, verrät dadurch aber modernen Historikern viel über den Umgang mit Vergangenheit in jener Zeit.
Der früheste der damals geschaffenen Texte ist die kurz vor 1126 im Umfeld Welfs VI. entstandene und in einer einzigen Handschrift überlieferte, kurze Genealogia Welforum, die den Trägern des Namens 'Welf' besondere Aufmerksamkeit widmet. Der Genealogia zeitlich am nächsten steht die vermutlich in Sankt Michael in Lüneburg abgefasste, heute nur noch rekonstruierbare sogenannte sächsische Welfenquelle. Die dritte Quelle schließlich, sie ist heute unter dem Namen Historia Welforum bekannt, gibt das heterogene Familienbewusstsein zu erkennen, lautete der ursprüngliche Titel einstmals wohl Chronica Altorfensium, Chronik der Altdorfer. Daran lassen sich überdeutlich die von Werner Hechberger [1] gewonnenen Erkenntnisse über die geringe Kohärenz einer welfischen (aber ebenso einer staufischen) Familie ablesen. Die Historia zeugt zugleich auch vom selbstbewussten, königsgleichen Eigenverständnis des Geschlechts, werden die Anfänge der Welfen doch über die Franken bis auf die Trojaner zurückgeführt. Wahrscheinlich um 1170 am süddeutschen Welfenhof geschrieben, zeugt nicht zuletzt der Umstand, dass das Werk in mehreren Handschriften, darunter einige aus dem 12. Jahrhundert, überliefert ist, vom damaligen Interesse an der welfischen Familiengeschichte. Knappe Nachrichten für die Jahre von 1101 bis 1177 (bzw. in der Weingartener Handschrift bis 1184) bieten die Annales Welfici. Und schließlich ist in Kloster Weingarten auch eine kurze Fortsetzung der Chronik Hugos von Sankt Viktor entstanden, die in besonderer Weise auf Welf VI., seine Schenkungen sowie seine Erbregelung eingeht.
Zu diesen "Welfen-Quellen" im eigentlichen Sinne tritt die Chronik des Propstes Burchard von Ursberg hinzu. Das 1229/1230 verfasste, zu den wichtigsten Quellen für die Reichsgeschichte des späten 12. und frühen 13. Jahrhunderts zählende Werk zeichnet sich durch eine besondere Staufernähe aus. Seine Aufnahme in den Band ist allerdings dadurch gerechtfertigt, dass der um 1177 geborene, weitgereiste Burchard († frühestens 1231) neben mehreren heute verlorenen Geschichtswerken, wohl auch die Genealogia, sicher jedoch die Historia Welforum in einer von anonymer Hand zusammengestellten Vorlage benutzt und zu einer eigenen Darstellung verbunden hat, die laut Becher als "eigenständiger Zweig der welfischen Hausüberlieferung" (10) anzusehen ist, in jedem Fall jedoch den reizvollen Blick aus der Fremdperspektive auf die Welfen eröffnet. Lediglich eine Handschrift des 15. Jahrhunderts hat den Text vollständig bewahrt.
Den ersten vier Texten liegt die 1938 durch Erich König erstellte zweisprachige Ausgabe im Rahmen der Schwäbischen Chroniken der Stauferzeit zugrunde. Die auf der MGH-Edition von Holder-Egger und Simson aus dem Jahre 1916 beruhende Chronik Burchards von Ursberg wurde erstmals ins Deutsche übertragen. Die Übersetzungen orientieren sich durchweg eng an der lateinischen Konstruktion und sind auch stilistisch durch den weitgehenden Verzicht auf interpretierende Übertragungen gekennzeichnet. Studierenden werden dadurch die Auseinandersetzung mit dem Originaltext und das Nachvollziehen von dessen grammatikalischen Besonderheiten deutlich erleichtert. Die beigefügten Kommentare sind den Charakteristika der Reihe folgend kurz gehalten und bieten hilfreiche Erläuterungen zur Identifizierung und Einordnung der wichtigsten im Text genannten Personen, Orte und Ereignisse, machen auf Übernahmen aus anderen Quellen aufmerksam und verweisen zum Teil auf die einschlägigen Nummern der Regesta Imperii.
Den Quellentexten vorangestellt sind eine knappe, aber prägnante Einleitung zur Geschichte der Welfen sowie präzise, ebenfalls kurz gehaltene Informationen zu den einzelnen Werken, die den Leser jeweils kundig über deren Entstehungshintergrund und die möglichen Autoren sowie ihre besonderen Charakteristika unterrichten. Es folgt eine Übersicht der jeweiligen Handschriften und Editionen sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis. Ein Register der Orte und Personen erschließt den Band, mit dessen Erscheinen wichtige Quellen zur Geschichte des 12. und früheren 13. Jahrhunderts nun gut zugänglich sind und der 1998 in derselben Reihe erschienene, die Chronik Ottos von Sankt Blasien und die Marbacher Annalen bietende Band [2] das entsprechende Gegenstück erhalten hat.
Anmerkungen:
[1] Werner Hechberger: Staufer und Welfen, 1125-1190. Zur Verwendung von Theorien in der Geschichtswissenschaft (Passauer Historische Forschungen; 10), Köln 1996.
[2] Franz-Josef Schmale (Hg.): Die Chronik Ottos von St. Blasien und die Marbacher Annalen (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe; 18a), Darmstadt 1998.
Stephan Freund