John M. Najemy: A History of Florence, 1200-1575, Oxford: Blackwell 2006, 528 S., ISBN 978-1-4051-1954-2, GBP 50,00
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Die Historiographie über Florenz in der Renaissance füllt Bibliotheken. Allerdings sind brauchbare Überblicksdarstellungen selten. Ein Grund hierfür mag der hohe Grad an Spezialisierung innerhalb der Florenz-Forschung sein. Allein die ungewöhnliche Masse und Dichte an archivalischen Materialien erhebt die mittelalterliche und frühneuzeitliche Stadt am Arno zum Sonderfall.
Der profilierte US-amerikanische Politik- und Sozialhistoriker John Najemy unternimmt mit seinem Buch "A History of Florence" den anspruchsvollen und sehr gut gelungenen Versuch das Florenz der Renaissance in einer umfassenden Synthese darzustellen. Dabei greift er über die übliche Periodisierung hinaus, indem er die Phase der Entstehung der Republik ebenso berücksichtigt wie er die Periode des sich etablierenden Herzogtums unter Cosimo I. mit einbezieht. Diese chronologische Ausdehnung der üblicherweise auf die Republik beschränkten Geschichte von Florenz in der Renaissance (1280-1530) ist nicht die einzige Stärke des vorliegenden Werkes: So werden die Eckdaten der Florentiner Geschichte kontextualisiert und damit ihres mythischen Charakters beraubt.
Najemy erfasst die Chronologie in fünfzehn thematisch orientierten Kapiteln. Zwar fallen die wichtigen Stichworte der politischen Überblicksdarstellung, aber der Autor reichert in jedem einzelnen Abschnitt die weitgehend bekannten Vorgänge um ihre jeweils unterschiedlichen sozial-, wirtschafts- und kulturhistorischen Dimensionen an. Dabei bringt er den aktuellen Forschungsstand zu verschiedenen Schwerpunkten wie die Repräsentation von Macht, die sozioökonomische Entwicklung sozialer Gruppen oder den Humanismus ein. Auf der Basis der eigenen Forschungen ist Najemys Vorliebe für die politischen Diskurse der kaufmännisch-patrizischen Memorialliteratur bzw. der Gelehrten wie Niccolò Machiavelli und der florentinischen Geschichtsschreibung deutlich zu erkennen. Obwohl es sich bei "A History of Florence" um eine Zusammenfassung handelt, erreicht Najemy eine erfreuliche analytische wie argumentative Tiefenschärfe.
Das erste Kapitel widmet sich der Formation der Elite im Hochmittelalter, um Anliegen und Interessen des vor allem auf ökonomischen Leistungen basierenden Aufstiegs des Popolo im zweiten Kapitel plausibel darstellen zu können. Vor dem Hintergrund der sozialen und kulturellen Frontstellung von konkurrierenden adligen Clans und dem in sich fragmentierten Popolo kann Najemy die Einführung der Zunftverfassung durch die Popolani unter Ausschluss der Magnaten in den Ordinamenti di Giustizia 1293 verständlich machen (Kapitel 3). In den Kapiteln 4-6 skizziert der Autor zunächst den von Kaufmannbankiers und einem differenzierten Handwerk getragenen wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt am Arno, dann nimmt er sich der politischen Implikationen dieser Entwicklung und der Bewältigung der Krise der 1340er Jahre (Bankrotte der großen Banken sowie Pestzüge) an, um die soziale Situation, aus der sich zunächst der Aufstand der Wollweber (Ciompi) ergab und sich die Reaktion des elitären Regiments speiste, zu charakterisieren.
Die Kapitel 7 und 8 beschäftigen sich eingehend mit der von Hans Baron als Civic Humanism gekennzeichneten kulturellen Strömung der produktiven Rezeption der Antike: Einerseits wird der Humanismus der Florentiner Frührenaissance von Najemy in den Kontext der Visconti-Kriege und der florentinischen Expansion in der Toskana gestellt, andererseits wird die Analyse der sozialen Kategorie der Familie von der sozialstatistischen Analyse des Steuerkatasters von 1427 gelöst und als gesellschaftliche sowie innenpolitische Normierungsgröße begriffen.
In den anschließenden Kapiteln (9-12) werden Aufkommen und Durchsetzung des Medici-Regimes (1434-1492) geschildert. Najemy siedelt den Aufstieg der Medici als erfolgreiche Gegenspieler zur oligarchischen Dominanz der Ottimati zu Beginn des 15. Jahrhunderts in der Krise der Staatsfinanzen der 1420er Jahre an und interpretiert das Klientelsystem der Medici als Abhängigkeitsgefüge, das im finanzpolitischen Erfolg der Medici-Gruppe verwurzelt war. Während die Schilderung des Regimes zwischen Manipulation der republikanischen Institutionen und außenpolitischer Absicherung sowie der Ansätze zur Dynastiebildung der Medici insgesamt gängigen Mustern folgt, ist die Beschreibung der Akkumulation immenser Reichtümer der Kaufmannbankiers im 15. Jahrhundert, die entstehende Luxusgüterwirtschaft und die Kunstpatronage das argumentative Kernstück dieses Abschnitts. Denn Najemy verknüpft in gelungener Weise die Entwicklung der korporativen und privaten Auftragsvergabe, die Kultivierung des Familiengedenkens und die Entwicklung der Medici-Patronage mit der politischen Konstitution des Medici-Regimes.
Die Kapitel 13 und 14 zeichnen die institutionellen Veränderungen nach der Vertreibung der Medici 1494, während der Heiligen Republik Savonarolas, der Regentschaft Piero Soderinis (1502-1512), der päpstlichen Oberherrschaft und der letzten Republik (1527-1530) nach. Im Zentrum der Darstellung stehen die intensiven politischen Debatten der zeitgenössischen Denker, die Rechtfertigung der Reformen durch die jeweilige Gruppierung und die für das Ende der republikanischen Zeit entscheidende Fragmentierung der politischen Führungsschicht in Anhänger Savonarolas, der Medici und der Optimaten-Republik. Im Spiegel der auf diese Zusammenhänge bezogenen Traktate und historiographischen Schriften erklärt Najemy den Übergang in das Prinzipat. Das abschließende 15. Kapitel wendet sich der vom päpstlichen Rom mit Hilfe Kaiser Karls V. angestoßenen politischen und gesellschaftlichen Transformation der in sich zusammenbrechenden letzten Republik zum Großherzogtum Toskana unter Cosimo I. Medici zu. Dabei legt Najemy einen besonderen Akzent auf die Spannungen zwischen den oppositionell orientierten Bankiers in Rom und Lyon und dem entstehenden Fürstenhof in Florenz, die letztlich der Großherzog für sich entschied.
John Najemy widersteht der Versuchung, die Geschichte von Florenz in konventionell narrativer und chronologischer Form als Kette von logisch aufeinander folgenden Ereignissen nachzuerzählen. Durch den thematischen Aufbau seiner Analyse gelingt ihm die Verkoppelung von allgemein gehaltenem Überblick und profunder Abbildung historischer Kategorien unter Berücksichtigung von Forschungsdebatten. Eine besondere Stärke des Autors ist die detaillierte und mit Spezialwissen angereicherte Ausführung, so dass die Darstellung immer wieder über die typische Diktion einer Synthese hinausführt. Zwar sind die schwarz-weißen Abbildungen qualitativ ansprechend gehalten und ein ausführlicher Index erleichtert die Suche, doch bei der Literaturrecherche bleibt die Leserschaft auf das Studium der Fußnoten verwiesen. Allerdings bezieht auch Najemy den Begriff "A History of Florence" mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit auf die Florentiner Geschichte vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Außer Acht lässt er dabei ebenso die antike und frühmittelalterliche Zeit wie die Entwicklung des Großherzogtums von einem italienischen Regionalstaat zu einem österreichischen Annex, die Wiederentdeckung der Renaissance im 19. Jahrhundert, die Hauptstadtperiode (1865-1870) und den Wandel zum Tourismusmagneten. Als Fazit lässt sich dennoch festhalten, dass John Najemy nicht nur seinem selbst formulierten Anspruch, einen aktualisierten Überblick zu liefern, gerecht wird, sondern dass er vielmehr seine erfolgreiche Karriere mit einer außergewöhnlich ausgereiften und informativen Zusammenfassung krönt. Eine Übersetzung wäre wünschenswert.
Heinrich Lang