Klaus Oschema (Hg.): Freundschaft oder "amitié"? Ein politisch-soziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15.-17. Jahrhundert) (= Zeitschrift für Historische Forschung; Beiheft 40), Berlin: Duncker & Humblot 2007, 220 S., ISBN 978-3-428-12630-9, EUR 44,00
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Bereits 1990 hat Gerd Althoff neben Verwandtschaft und Treue ganz zu Recht auch die Freundschaft als einen der wichtigsten Vektoren bei Gruppenbildung im Mittelalter identifiziert. [1] In der Folge wurde Freundschaft dann, erst als Teil der Konfliktforschung, dann im Rahmen der neu aufgekommenen historischen Emotionsforschung, immer besser erforscht - unter anderem von den im vorliegenden Buch vertretenen Autoren.
Der Band sammelt acht im Mai 2005 auf einer Berner Tagung vorgestellte Vorträge [2] und stellt diesen eine Einleitung voran. Ausgehend von der von Verena Epp formulierten Definition der frühmittelalterlichen amicitia [3] als "wechselseitige, wertbezogene und moralisch bindende Verpflichtung [...], die von zwei oder mehreren Partnern - Individuen oder Kollektiven - geschlossen wird, affektive und kontraktuelle Elemente enthält und sich in gegenseitigen Diensten äußert" (12), gehen die Autoren an die Überprüfung dieses Konzeptes für die Zeit um 1500. Dabei geht es zum einen darum nachzuprüfen, ob Freundschaft im Spätmittelalter und zum Beginn der Frühen Neuzeit überhaupt ein eigenständiges "Konzept personaler Bindung" (13) war oder ob es sich dabei nur "um eine 'Chiffre' handelt" (13), die Freundschaft eigentlich auf einen Teilaspekt von Herrschaft oder Verwandtschaft reduziert.
Geografisch konzentrieren sich die Beiträger - entsprechend ihrer Herkunft - auf Frankreich (Nicolas Offenstadt: Freundschaft, Liebe und Friede [Frankreich, 14.-15. Jahrhundert], 67-80; Klaus Oschema: Auf dem Weg zur Neutralität. Eine neue Kategorie politischen Handelns im spätmittelalterlichen Frankreich, 81-108; Jérémie Foa: Gebrauchsformen der Freundschaft. Freundschaftsverträge und Gehorsamseide zu Beginn der Religionskriege, 109-135), das Reich (Claudia Garnier: Politik und Freundschaft im spätmittelalterlichen Reich, 35-65) und dort ganz besonders auf die Schweiz (Michael Jucker: Und willst du nicht mein Bruder sein, so... - Freundschaft als politisches Medium in Bündnissen und Korrespondenzen der Eidgenossenschaft [1291-1501], 159-190; Andreas Würgler: Freunde, amis, amici. Freundschaft in Politik und Diplomatie der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft, 191-210). Zu diesen kommen noch zwei übergreifende Aufsätze von Klaus von Eickels (Freundschaft im [spät]mittelalterlichen Europa. Traditionen, Befunde und Perspektiven, 23-34) und Andrea Iseli (Freundschaft als konstitutives Element in der Theorie des frühneuzeitlichen Staates - Eine Spurensuche, 137-158), wobei letztere ihre aus der Staatsrechtsliteratur bezogenen Beispiele ebenfalls auf den deutschen und französischen Sprachraum begrenzt.
Die Beiträge leuchten in den genannten geografischen Räumen sowohl die soziale Dimension, als auch die semantischen Unterschiede und die politische Bedeutung von Freundschaft aus.
In ihrer sozialen Tragweite unterscheidet sich die spätmittelalterliche Freundschaft grundlegend von der heutigen. So war sie zunächst eng mit dem Begriff der Liebe, aber auch mit jenen der Ehe, der Verwandtschaft und der Lehenstreue verwoben (23-25), die alle dazu dienten, die verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft zusammenzuhalten. Freundschaft beruhte einerseits - im Gegensatz zur Liebe - auf Wechselseitigkeit und ermöglichte andererseits einen rangfreien Umgang miteinander, welche jedoch keinesfalls "eine tatsächliche Gleichheit der Freunde in allen Lebensbereichen" voraussetzte (26). Damit kann auch das Lehensverhältnis zwischen Herr und Vasall als Teilbereich der Freundschaft verstanden werden. Freundschaft diente somit vornehmlich dazu, "ein Netz überlebenswichtiger Beziehungen im öffentlichen Raum herzustellen" (32).
In der Diplomatie, wo Freundschaft als "politisch normierte Kooperationsbeziehung" auftrat (36), erfreute sich der Begriff seit dem Spätmittelalter einer immer größeren Beliebtheit. Zwar taucht der Terminus in eidgenössischen Verträgen erst 1351 auf (171), doch verbreitete er sich in der Abfolge im gesamten untersuchten Raum immer weiter (197), um dann in der Frühen Neuzeit allgegenwärtig zu werden (192). Der Begriff "Freund" konnte im diplomatischen Sprachgebrauch aber auch ganz einfach nur eine Kontaktperson oder einen Informanten bezeichnen (198-199).
Doch ob im zwischenmenschlichen oder zwischenstaatlichen Bereich, das Mittelalter operierte noch mit einem binären Freund-Feind-System (18). Durch eine dritte Kategorie ergänzte sich dieses erst zum Ende des 15. Jahrhunderts. Begünstigt durch die "Ausbildung moderner staatlicher Strukturen in Westeuropa" (31), trat nun die Neutralität auf den Plan. Obwohl zunächst - zumindest im Adel - noch stark negativ belegt (97), gewann das Konzept in der Abfolge immer klarere politische Kontur (100), um den Akteuren am Ende als vollwertige dritte Option neben Freundschaft und Feindschaft zur Verfügung zu stehen.
Freundschaft war somit eine inhaltlich schwankende Kategorie (208), die beim Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit eine grundlegende Wandlung durchmachte. Neben dem eben erwähnten Aufkommen der Neutralität war dies vor allem die seit der Renaissance schleichend voranschreitende Privatisierung der Freundschaft (32).
Klaus Oschema wird seinem erklärten Ziel, in dem von ihm herausgegeben Sammelband "dem diskursiven Gebrauch der Freundschaftsterminologie und den damit verbundenen Praktiken nachzugehen" (11), auf ganzer Linie gerecht. Kritik verdient der Band allenfalls wegen seines schlecht gewählten Titels. Denn dieser kündigt eine Fokussierung auf die Zeit vom 15. bis zum 17. Jahrhundert an, obwohl sich ein guter Teil der Beiträge mit der Zeit vor 1400 beschäftigt. Völlig unklar bleibt auch, was es mit der auf dem Umschlag gestellten Frage nach "amitié" oder "Freundschaft" auf sich hat. Nicht nur, dass diese ohnehin naturgemäß unbeantwortet bleiben muss, es wird nirgends auch nur der Versuch unternommen, einer hypothetischen Lösung nachzugehen. Hier wäre Lesern und Bibliothekaren mit einem präziser formulierten und zutreffenden Titel zweifelsohne geholfen worden.
Wie bei Sammelbänden üblich und nicht anders zu erwarten, ist auch die Qualität der Beiträge nicht immer ausgewogen. Sehr gelungenen Aufsätzen, wie jenen von Klaus von Eickels, Klaus Oschema oder Andreas Würgler stehen andere, methodisch wenig überzeugende oder sprachlich schwache gegenüber. Und doch ergibt sich ein umfassendes, facettenreiches und lehrreiches Bild des Phänomens Freundschaft, das ältere Unternehmungen ähnlicher Art, etwa den Tagungsband von Luigi Cotteri [4] oder die einschlägigen Monografien zum Thema [5] substanziell ergänzt.
Anmerkungen:
[1] Gerd Althoff: Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen Stellenwert der Gruppenbindungen im frühen Mittelalter, Darmstadt 1990.
[2] Siehe den Tagungsbericht in: http://www.ahf-muenchen.de/Tagungsberichte/Berichte/pdf/2005/063-05.pdf (PDF-Dokument; eingesehen am 8.10.2008).
[3] Verena Epp: Amicitia. Zur Geschichte personaler, sozialer und geistlicher Beziehungen im frühen Mittelalter (= Monografien zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 44), Stuttgart 1999, 299.
[4] Luigi Cotteri (Hg.): Il concetto di amicizia nella storia della cultura europea - Der Begriff Freundschaft in der Geschichte der Europäischen Kultur. Storia, glottologia, filologia, filosofia, pedagogia, letteratura. Atti del XXII convegno internazionale di studi italo-tedeschi, Merano, 9-11 maggio 1994, Meran 1995.
[5] Claudia Garnier: Amicus amicis, inimicus inimicis. Politische Freundschaft und fürstliche Netzwerke im 13. Jahrhundert, Stuttgart 2000; Klaus Oschema: Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund. Studien zum Spannungsfeld von Emotion und Institution, Köln 2006.
Jörg Ulbert