Klaus Oschema / Cristina Andenna / Gerd Melville u.a. (Hgg.): Die Performanz der Mächtigen. Rangordnung und Idoneität in höfischen Gesellschaften des späten Mittelalters (= RANK. Politisch-soziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa; Bd. 5), Ostfildern: Thorbecke 2015, 240 S., ISBN 978-3-7995-9125-6, EUR 39,00
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Torsten Hiltmann: Les >autres< rois. Études sur la royauté comme notion hiérarchique dans la société au bas Moyen Âge et au début de l'époque moderne, München: Oldenbourg 2010
John Watts: The Making of Polities. Europe, 1300-1500, Cambridge: Cambridge University Press 2009
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Klaus Oschema: Bilder von Europa im Mittelalter, Ostfildern: Thorbecke 2013
Dieser Sammelband, der Fallstudien zu performativen Akten und somit wirkungsvollen Handlungen weltlicher Herrscher bietet, ist aus zwei Treffen in der Villa Vigoni (2011) und in Dresden (2013) hervorgegangen.
Einleitend stellt Klaus Oschema detailliert die größtenteils deutschsprachige Forschung sowie bisherige thematische Schwerpunkte vor. Der gewählte Aufbau mit einer starken Akzentuierung der "Schulen" zeigt, wie eng in der deutschsprachigen Forschung punktuelle Forschungstendenzen an SFB und andere institutionalisierte Forschungsinitiativen gekoppelt sind. Wie jedoch hätte solch ein Forschungsüberblick ausgesehen, hätte man stärker die internationale Forschung (wie bspw. die englische mediävistische Literaturwissenschaft, die immens wertvolle Schnittstellen mit der Geschichte bietet) miteinbezogen, die anderen Spielregeln folgt? Das Ausrichten an institutionell regulierten Forschungstendenzen erlaubt es wiederum, unterschiedliche "Dimensionen" (17) und "Perspektivenverschiebungen" (23) zu identifizieren. In Abgrenzung etwa zur Ritualforschung, die stärker strukturelle und wiederholbare Aktionen untersucht, steht im Zentrum des vorliegenden Bandes ein Performanzbegriff, der auf die "individualisiert-konkrete Handlung" (20) und ein einmaliges Handeln abzielt, das wirklichkeitskonstitutiv und "unwiederbringliche[s] 'Realsubstrat' der historischen Ereignisebene" (20) ist. Selbst wenn der Autor feststellt, dass Performanz ein "umbrella turn" (20) geworden sei, unter dessen weit gespanntem Schirm sich viele unterschiedliche Ausprägungen tummelten, und man diese mangelnde Trennschärfe bedauern müsse, so zeigt dieser Band, wie sinnvoll es ist, einen weiten "Performanz"-Begriff zu wählen, um die unterschiedlichsten Dimensionen im Hinblick auf die "Macht der Herrschenden" (so der omnipräsente und vielzitierte Artikel von Christine Reinle [1]) neu zu betrachten.
Noch präsenter als der "performative turn" jedoch ist in den Beiträgen Austins Sprachakttheorie von 1962. Die Autoren setzen sich immer wieder mit "How To Do Things With Words" auseinander. [2] Entsprechend bildet auch die Untersuchung von Sprachakten und der historischen Bedeutung von wörtlichen Reden (der tatsächlichen wie der fiktiven) den ersten thematischen Schwerpunkt dieses Bandes.
Cristina Andenna untersucht vor diesem Hintergrund die Performanz des Wettkampfs Karls von Anjou um den sizilianischen Königsthron um 1260. Sie analysiert, wie der Chronist eines politischen Traktats dem Kapetinger gezielt Reden in den Mund legte, die seine Idoneität und Legitimation gegenüber dem Anspruch des Staufers sichern sollten. Dabei bedient sich die Schrift bekannter antistaufischer Propaganda und christologischer Narrative, in die Karls individuelles und performatives Handeln eingebettet werden, um ihn als den geeigneten (und letztendlich auch siegreichen) Kandidaten für den Thron darzustellen.
Auf anthropologische Forschungen zu hierarchischen Strukturen und zur unterschiedlichen "Herrschaftsidoneität" in Ozeanien nimmt Jörg Pelzer Bezug, um seinen Beitrag über den Thronstreit zwischen dem (unterlegenen) böhmischen König Ottokar und dem Grafen Rudolf von Habsburg im Jahr 1276 einzuleiten. Die analysierten Chroniken stellen deutlich heraus, wie unangemessene Handlungen (im Kampf, bei der Wahl der Kleidung sowie bei der Inszenierung von Machtverhältnissen) als performative Akte politische Auswirkung für und wider einen Kandidaten haben konnten.
Klaus Oschemas Blick gilt wiederum den Feldherrenreden zwischen individueller Performanz und literarischen Narrativen sowie der Frage nach der schriftlichen Überlieferung der mündlichen Ansprachen. Selbst wenn so manche angeblich wirkungsvolle und handlungsleitende Rede als eine reine Stilkonstruktion entlarvt wird, wirft der Beitrag gleichwohl Licht auf den Stellenwert, welcher der Inszenierung sowohl durch das Wort als auch durch wortlose Kommunikation für die Bewertung der Herrschaft beigemessen wurde, und er erhellt die Frage, warum diese Inszenierung ein wichtiges Element für die Konstruktion des Idealbilds eines Herrschers war. Die Rede konnte als Waffe eingesetzt werden (man denke etwa an Schlachtansprachen), ebenso das Schweigen (man denke an die englischen Könige in ihren Parlamenten), und der Rezensentin fallen mehrere andere Beispiele ein, in denen der Rede einer Person für den Ablauf der Ereignisse eine elementare Bedeutung zukam. Auf das Problem, das damit einherging - nämlich historisch zu erfassen, "wie es wirklich gewesen war", gerade wenn Chroniken oder Quellen erst Jahre später eine wörtliche Rede wiedergeben -, gehen nur wenige Beiträge ein (Andenna, Oschema...), und sie stellen den topischen Zusammenhang zwischen "individueller" Rede und literarischer Vorlage her. Die Rede wird in diesem Kontext zu einem Platzhalter für intendierte und sich realisierende Handlungsmöglichkeiten.
Der zweite Themenkomplex nimmt die Rolle der physischen Handlungen für die Affirmation herrschaftlicher Aktionen und Legitimationen in den Blick. So betrachtet Jörg Feuchter die Wirkung von Stimmkraft und Oration bei öffentlichen Reden durch royale Personen. All diese Reden waren jedoch eher Ausnahmen, die die Würde des Herrschenden festigen sollten; entsprechend wurden sie mit Spannung erwartet und rezipiert.
Die Präsenz des Herrschers als Symbol und seine körperliche Physis als Handlung stehen im Mittelpunkt von Torsten Hiltmanns Beitrag über die Teilnahme der Fürsten bei Turnieren und Zweikämpfen. Zwar waren die physische Eignung im Krieg und im Turnier durchaus gewünschte Herrscherqualitäten, doch standen der Teilnahme der Herrscher an potentiell (lebens-)gefährlichen Aktivitäten gleich mehrere Hindernisse im Wege. Der Beitrag geht systematisch den Handlungsoptionen der in Burgund, in Frankreich und im Heiligen Römischen Reich Herrschenden nach und kommt zu dem Schluss, dass zumindest in diesen öffentlichen und weit rezipierten Turnieren der Herrschende immer gewann, obgleich man ihm nicht unbedingt herausragende körperliche Qualitäten, sondern vor allem eine große Begeisterung für Turniere nachsagen kann, die als Bühne für die Inszenierung der eigenen Person und der eigenen Fähigkeiten genutzt wurden.
Karl-Heinz Spieß nimmt neben den körperlichen und rednerischen Fähigkeiten auch das angemessene herrschaftliche Benehmen als performativen Ausdruck in den Blick. Dazu gehörte das stilsichere Auftreten auf dem höfischen Parkett ebenso wie die Manifestation von mentaler Beherrschtheit. Der Autor betrachtet ebenfalls das Auftreten von Fürstinnen und Königinnen, deren Körper und Anstand damals noch viel stärker unter Beobachtung gestanden haben dürften als bei ihren Männern und die häufig nur ebendiese Mittel besaßen, um ihre politische Macht zu inszenieren.
Der Beitrag von Stéphane Péquignot, dem zwei Editionen beigefügt sind, führt die Leser nach Spanien, wo die Selbstkrönungen der aragonesischen Könige untersucht werden. Auch hier besteht der Spannungsbogen zwischen der ritualisierten Inszenierung eines eigentlich durchchoreografierten Ereignisses und der jeweiligen Einzigartigkeit der Fallbeispiele, deren Spielraum entsprechend gering gewesen zu sein scheint.
Krönungen, ihr liturgisch-ritualisierter Charakter sowie die Notwendigkeit einer individuellen Ausprägung stehen auch bei Matthias Standke im Mittelpunkt. In seinen Ausführungen zur Ausrichtung der Krönung Friedrich Barbarossas an derjenigen Karls des Großen gehen performative Akte nicht nur von Friedrich aus, sondern vielmehr von der "Heiligkeit" Karls, die von Friedrich für seine eigene Idoneität genutzt wurde.
Den Abschluss des Bandes bilden einige Überlegungen von Gert Melville, der hervorhebt, wie stark Inszenierungen eine "wirklichkeitskonstitutive[n]" (217; im Original mit Anführungszeichen) Wirkung haben, ergo performativ sein können. Dabei schlägt er den Bogen von der heutigen Zeit zurück ins Mittelalter und stellt heraus, dass die Grenzen zwischen Performanz und Ritual eben da überschritten werden, wo es nicht mehr nur darum geht, dass etwas geschieht, sondern auch darum, wie und auf welche Weise es durch eine singuläre und individuelle Handlung vollzogen wird.
Fast alle Beiträge nehmen einzelne Personen, Individuen mit ihren körperlichen Eigenschaften, singulären Handlungen und persönlichen Reden in den Fokus. Sicher, einzelne Individuen und ihre Sprach- und Körperhandlungen bringen gut das Wirklichkeitskonstitutive der Situation zur Geltung, auch wenn - wie Oschema betont -, wohl kaum jemand zeitgleich die Handlungen mitschrieb, und somit - wie mehrere Beiträger anmerken - literarische Topoi diesen "machenden" Charakter der beschriebenen Situation durch ihre ritualisierte symbolische Kraft bestimmten. Es ist gerade das - nämlich die geplante, auf eine Wirkung hin abzielende Aktion -, was als "performativ" im Mittelpunkt dieses Bandes steht. Man mag einwenden, dass die hier behandelten Akteure (Fürsten, Könige, Kaiser...) eben auch jene mit der größten agency und somit dem größten performativen Potential waren - der Titel des Bandes lautet nicht ohne Grund "Performanz der Mächtigen". Hätte man diese performative (Ohn-)Macht der korrekten Handlung am rechten Ort und in einem wohlausgesuchten symbolisch aufgeladenen Kontext aber nicht auch stärker an anderen Akteuren - etwa an Aufständischen oder Frauen - durchspielen können (wie es zumindest Spieß ansatzweise tut)?
Für die Herrschenden in den höfischen Gesellschaften im westeuropäischen (Spät-)mittelalter jedoch, das zeigen die Fallbeispiele in diesem Band mustergültig, waren Rangordnung und Idoneität in vielerlei Hinsicht bedeutsam. Die nuancierten Wertungen der Beiträgerin und der Beiträger, die die Singularität ihrer Quellen - und sowohl die historisch individuellen Figuren als auch die Überlieferungstraditionen und die literarisch-topischen Narrative - hinterfragen, beweisen, dass eine differenzierte Herangehensweise an individualisierte oder zumindest isolierte Sujets durchaus für die Forschung gewinnbringend fruchtbar gemacht werden kann, und sie liefern wertvolle Anstöße für weitere Diskussionen.
Anmerkungen:
[1] Christine Reinle: Herrschaft durch Performanz? Zum Einsatz und zur Beurteilung performativer Akte im Verhältnis zwischen Fürsten und Untertanen im Spätmittelalter, in: Historisches Jahrbuch 126 (2006), 25-64.
[2] John L. Austin: How to Do Things with Words. The William James Lectures delivered at Harvard University in 1955, Cambridge, Mass. 1962.
Vanina Kopp