Uwe Glüsenkamp: Das Schicksal der Jesuiten aus der Oberdeutschen und den beiden Rheinischen Provinzen nach ihrer Vertreibung aus den Missionsgebieten des portugiesischen und spanischen Patronats (1755-1809) (= Spanische Forschungen der Görresgesellschaft; Bd. 40), Münster: Aschendorff 2008, 295 S., ISBN 978-3-402-14866-2, EUR 44,00
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Die Dissertation von Uwe Glüsenkamp entstand im Kontext eines Mainzer DFG-geförderten Forschungsprojekts unter Leitung von Johannes Meier, das sich den Jesuiten zentraleuropäischer Herkunft, die bei der Mission im kolonialen Portugiesisch- und Spanisch-Amerika zum Einsatz kamen, gewidmet hat. Die Ergebnisse der Forschungen sollen als Handbuch erscheinen, gegliedert nach den damaligen Ordensprovinzen Brasilien, Chile und Quito, Neu-Granada, Peru und Paraguay. Der Band über Brasilien liegt bereits vor. [1]
Die Arbeit von Glüsenkamp widmet sich nach der üblichen Darstellung der Quellensituation und Forschungslage kurz den Ursachen für die Vertreibung der Jesuiten. Die Ankunft der Jesuiten in Spanien und Portugal wird ausführlich behandelt; angesprochen werden ihre Haftbedingungen, die Haftorte, selbst die Reiserouten bei der Rückkehr der Jesuiten in ihre Heimatprovinzen, wobei die Heimreise für die in Spanien inhaftierten vom Staat bezahlt wurde und die aus Spanien selbst stammenden Jesuiten in den Kirchenstaat abgeschoben wurden, da der spanische Staat nicht dauerhaft für sie aufkommen wollte. Schlechter erging es einigen in Portugal gefangenen Jesuitenpatres, einige mussten oft eine langjährige Kerkerhaft erdulden, über die wir durch die späteren Werke von Anselm Eckart und Lorenz Kaulen gut informiert sind. Sie waren unter den fünf erst nach dem Tod von König José 1777 freigelassenen Jesuiten, Eckart konnte mit Hilfe von privaten Gönnern in seine Heimat zurückkehren, Lorenz Kaulen ließ sich auf eigenen Wunsch in Lissabon nieder.
Das folgende Kapitel von Glüsenkamp über die Tätigkeiten der Zurückgekehrten in den Ordenshäusern bis zur Aufhebung des Ordens 1773 zeigt, dass die Jesuiten durchaus in Vertrauensposten integriert wurden, z.B. als Consultores des Ordensoberen. Im geistlichen Bereich lag der Schwerpunkt eindeutig im Bereich der Seelsorge. Einzelne Geistliche waren auch im protestantischen Umfeld tätig, wie z.B. Julian Knogler in der Mission von Oettingen (Ried). Auch die Laienbrüder übten bisweilen Ämter in den Klöstern aus.
Das folgende Kapitel widmet sich der Aufhebung des Ordens und der regional unterschiedlichen Umsetzung des kirchenrechtlich verbindlichen Aufhebungs-Breve 'Dominus ac Redemptor Noster' von Clemens XIV. aus dem Jahr 1773. Die Ordensangehörigen wurden zu Weltgeistlichen, die Laienbrüder konnten ihre weitere Beschäftigung frei wählen, manche kehrten zu einem in der Jugend erlernten Beruf zurück. Ältere Ordensangehörige konnten entweder in den Ordenshäusern wohnen bleiben, in Bayern konnten sie sich in die Domus Emeritorum in Landsberg, ein Heim für alte und kranke Ex-Jesuiten, zurückziehen. Die regionalen Modelle der Versorgung werden durch die Quellenstudien des Autors in ihren Unterschieden deutlich fassbar. Zum Teil wurden bischöfliche Pensionen nur den zuerst angekommenen Patres zugesprochen, während sich später aus der portugiesischen Haft entlassene wie Anselm Eckart vergeblich darum bemühten. Während in den geistlichen Territorien West- und Norddeutschlands überwiegend Pensionen den Lebensunterhalt sicherstellten, wurde in der Oberdeutschen Provinz, den österreichischen Territorien und Schweizer Städten meist der Verbleib in den Ordenshäusern erlaubt, und es bestand durch die Weiterführung von Schulunterricht vor Ort ein Einkommen.
Das anschließende Kapitel widmet sich den Lebensläufen nach der Ordensaufhebung. Bekanntlich konnten die Jesuiten nur in einigen wenigen Ländern weiterarbeiten, in preußischem Territorium, wo sie für den Schuldienst unverzichtbar waren, und in Russland, wo für die besonders durch die erste polnische Teilung 1772 angewachsene katholische Bevölkerung der Schulunterricht sichergestellt werden musste. Anselm Eckart, der von der geduldeten Weiterexistenz des Ordens in Weißrussland erfahren hatte, begab sich schließlich dorthin.
Ein Kapitel widmet sich den Missions- und Vertreibungsberichten, die natürlich auch den Vorwürfen gegen die Jesuiten entgegentreten sollten, wie Kaulens 'Relação abbreviada da republica jesuitica' oder Eckarts 'Historia persecutionis'. Die als literarische Form zweithäufigste Gattung der Briefe wird ebenfalls kursorisch untersucht, und schließlich werden einige literarische Sonderformen, darunter die Missionspredigten von Bernhard Havestadt oder wissenschaftliche Publikationen, erwähnt. Hierzu zählen Anselm Eckarts Berichte, die von dem protestantischen Nürnberger Publizisten Christoph Gottlieb von Murr veröffentlicht wurden, etwa die 'Zusätze zu Pedro Cudenas Beschreibung der Länder Brasiliens', der hier ergänzend kommentierte Text wurde erstmals nach einem Manuskript in Wolfenbüttel 1780 von Lessing herausgegeben. Besonders deutlich sind die Angriffe von Laurenz Kaulen in seiner 'Reposta apologetica' gegen den aus Brasilien stammenden Ex-Jesuiten José Basílio da Gama, der mit dem Werk 'O Uraguay' ein von Pombals in der brasilianischen Administration tätigen Bruder gefördertes, wichtiges episches Werk mit antijesuitischer Tendenz verfasst hatte. Leider erfährt man wenig dazu, wie die katholische Publizistik in Deutschland selbst die Vertreibung der Jesuiten und Aufhebung des Ordens behandelte. Die Arbeit von Glüsenkamp schließt mit umfangreichen Anhängen, wo die wichtigsten behandelten Themen der Lebenswege und späteren Tätigkeiten der Jesuiten noch einmal zusammengefasst werden.
Glüsenkamp kann auf einer sehr breiten Quellenbasis das gegebene Thema angemessen behandeln. Dennoch wäre eine umfangreichere Bewertung der kulturellen Bedeutung der Arbeit der Ex-Jesuiten (z.B. wird der wichtige Beitrag einiger Jesuiten zur Ethnolinguistik nur ganz kurz gestreift) wohl interessanter gewesen, als die im Wesentlichen biographischen und in vielen Fällen kontingenten Details der einzelnen Biographien, die vor allem in den ersten Kapiteln der Arbeit zu extensiv gebracht werden. In einem Ausblick skizziert Glüsenkamp, dass es wünschenswert wäre, seine Befunde mit dem Schicksal der etwa gleich großen Gruppe von Jesuiten aus der Österreichischen und Böhmischen Provinz zu vergleichen, wobei ihm zuzustimmen ist. Auch wenn angesichts des umfangreichen Quellenmaterials eine Beschränkung seines Untersuchungsgegenstands sicher sinnvoll war, liegt hierin doch eine Crux der Arbeit. Es fehlt ein exemplarisch durchaus möglicher Vergleich der behandelten Lebensläufe und literarischen Werke etwa mit dem Schicksal und den Werken der Jesuiten, die aus den Missionsgebieten in den Kirchenstaat abgeschoben wurden. Insbesondere deren bedeutender kultureller Beitrag findet in der Forschung immer mehr Beachtung. [2] Angeführt sei hier nur Lorenzo Hervás y Panduro, der mit seinem zwischen 1800 und 1805 in Madrid erschienenem 'Catálogo de las lenguas de las naciones conocidas' ein wichtiges linguistisches Werk schrieb, das man etwa bei Eckarts linguistischen Arbeiten hätte erwähnen können.
So bleibt die Arbeit von Glüsenkamp zwar zu einem begrenzten Thema grundlegend, hat aber einige sich bietende Möglichkeiten nicht genutzt.
Anmerkungen:
[1] Jesuiten aus Zentraleuropa in Portugiesisch- und Spanisch-Amerika. Ein biobibliographisches Handbuch mit einem Überblick über das außereuropäische Wirken der Gesellschaft Jesu in der frühen Neuzeit, hrsg. v. Johannes Meier, Band 1: Brasilien (1618-1760), bearbeitet von Fernando Amado Aymoré, Münster 2005.
[2] Erwähnt sei hier der Kongressband Los jesuitas españoles expulsos, su imagen y su contribución al saber sobre el mundo hispánico en la Europa del siglo XVIII, hrsg. von Manfred Tietz, Frankfurt 2001, zu einem Kongress 1999 in Berlin oder die Arbeit von Niccolò Guasti, L'esilio italiano dei gesuiti spagnoli, Rom 2006.
Franz Obermeier