Silvia Mostaccio: Early Modern Jesuits between Obedience and Conscience during the Generalate of Claudio Acquaviva (1581-1615), Aldershot: Ashgate 2014, XVII + 200 S., ISBN 978-1-4094-5706-0, GBP 70,00
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Silvia Mostaccio hat für ihre Untersuchung eine zentrale Phase in der frühen Geschichte der Jesuiten ausgewählt. Unter dem fünften General Claudio Acquaviva fielen entscheidende Weichenstellungen für die Konsolidierung des Ordens. In seinem 34-jährigen Generalat wuchs die Zahl der Provinzen von 21 auf 32, ebenso vermehrte sich die Zahl der Professhäuser und Kollegien erheblich. Die Zahl der Ordensmitglieder wuchs von 5165 auf 13112. Acquaviva regelte die Form der dritten Probatio und pochte auf die päpstlichen Privilegien der S.I. auch gegen die in manchen Ländern angestrebte bischöfliche Kontrolle der Jesuiten. Theologisch war er eher tolerant, verhinderte beispielsweise, dass in seiner Zeit Molinas De concordia auf den Index gesetzt wurde. Auch für das missionarische Wirken des Ordens fielen wichtige Entscheidungen. In den Missionsgebieten wurden neue Provinzen geschaffen und organisatorisch die Grundlagen der späteren Reduktionen in der Provinz Paraguay gelegt.
Die Historiografie der letzten Jahrzehnte zu den Jesuiten hat eher versucht, das Wirken des Ordens in einen größeren sozio-ökonomischen Kontext zu stellen. Die vorliegende Studie setzt den Schwerpunkt hingegen auf das für die Jesuiten zentrale Konzept des Gehorsams. Mostaccio rechtfertigt ihren Ansatz damit, dass sie entfernt von einer monolithischen Sicht auf den Orden die politischen und religiösen Implikationen des Gehorsamskonzepts im Spannungsbereich zwischen Individualität, Vergemeinschaftung und der Herausbildung des frühmodernen Staats in den Fokus nehmen will. Sie verweist darauf, dass auch die in der jesuitischen Literatur geäußerten Meinungen vieler Patres nicht immer uniform oder kohärent waren. Im Rahmen der Neudefinition des Katholizismus durch das Konzil von Trient und die Gegenreformation ergab sich auch für das damalige katholische Christentum eine Situation, die Elemente der Ambiguität aufwies, die auch in den Definitionen des Obödienz-Begriffs einen Ausdruck fand.
Die Studie beginnt mit einem einleitenden Kapitel zur Einordnung des Gehorsamskonzepts in den sozialen und politischen Kontext der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Es folgen drei mehr inhaltlich als chronologisch gegliederte Kapitel: Das zweite zu den Constitutiones im Vergleich mit der Konzeption von Ignatius von Loyola von den letzten Lebensjahren des Gründers bis in das Generalat von Acquaviva, das dritte zur indirekten Kritik des Heiligen Stuhls an den Constitutiones und dem dort zentralen Konzept des Gehorsams, das abschließende vierte Kapitel bietet eine Zusammenschau und einen Ausblick auch auf die spätere Zeit, bis hin zum Generalat Tirso Gonzáles de Santalla (gestorben 1705), der den gegen die Jesuiten vorgebrachten Vorwürfen durch den Verweis auf das Obödienzprinzip entgegentrat.
Kapitel Eins stellt eine materialreiche Analyse des aus heutiger Perspektive unflexiblen Gehorsamskonzepts im historischen Kontext der gewählten Zeit dar. Es gab eine rege theoretische Diskussion über die Frage unter welchen Bedingungen legitime Herrschaft ausgeübt werden durfte, was direkt auch die Rolle der Jesuiten als Beichtväter von Herrschern und Teil der ecclesia militans betraf. Als Beispiel für eine solche Thematisierung zitiert die Autorin Juan de Marianas Historia de rebus Hispaniae von 1592 über die Grenzen königlicher Macht, also den politischen Kontext des Gehorsams. Im historischen Kontext der Ermordung Henri IV. 1610 wurde das Buch De rege von Mariana ebenso verboten wie Roberto Bellarminos Tractatus de potestate summi pontifici und Francisco Suarez' Defensio fidei catholicae, wobei Acquaviva mit zwei Anordnungen von 1610 und 1614 die abstrakte Diskussion der Thematik des Königsmords verboten hat; sicher auch auf Wunsch seiner französischen Mitbrüder, die in Erklärungsnot gekommen waren.
Positiv zu sehen ist, dass auch andere Autoren, wie der Ex-Jesuit Giovanni Botero, bekannt vor allem wegen seiner Kompilation von Reiseberichten Relationi universali (1596) und Autor eines Traktats Della Ragion di Stato, in die Untersuchung einbezogen werden. Schließlich widmet sich Mostaccio drei "Bestsellern" (46) der Ordensliteratur, dem Libellus sodalitatis von François Coster und den jeweils in verschiedenen Formen erscheinenden Katechismen von Petrus Canisius (Maior, Minor, Minimus) und Roberto Bellarmino (Maior 1598, Minor 1597), die intensiv rezipiert wurden, ja das Genre des Katechismus erst durchsetzten. Anschließend setzt sie die Constitutiones von Ignatius in den Kontext der anderen damals neu etablierten Orden wie der Kapuziner oder der Barnabiten. Die ignatianischen Dokumente wurden nach der am Anfang der Ordensgeschichte erfolgten päpstlichen Erlaubnis einer Formula Instituti, die den Beginn der religiösen Arbeit ermöglichte, in einem langen Prozess zwischen 1547 und 1551 erstellt, die spanische Version durch die erste Generalkongregation 1558 gebilligt, aber erst 1581 die offizielle lateinische Übersetzung ediert. Dieser lange Prozess, der für die legalen Dokumente anderer Orden ähnlich war, zeigt die Schwierigkeiten einer eindeutigen Formulierung zentraler Konzepte und Normen. Für die Autorin liegt das Neue der jesuistischen Konstitutionen darin, dass in einer durchaus subjektivistischen Art durch die in ihnen bereits im Proemium festgeschriebene Inspiration durch den Heiligen Geist der Charakter der Ordensgrundsätze in neuer Weise im Vergleich zu den Regeln mittelalterlicher Orden definiert wurde.
Das folgende Kapitel zeigt ausführlich, warum das Obödienzkonzept im Pontifikat von Sixtus V. (1585-1590) zwischen dem Orden und dem Heiligen Stuhl zu einem Konflikt führte. Hintergrund war eine von dem französischen Jesuiten Vincent Julien beim Heiligen Stuhl eingereichte formale censura, in der er um Prüfung des berühmtesten Briefs von Ignatius über die Obödienz bat. Natürlich konnte dieser Konflikt nur deshalb prinzipiell werden, weil damit auch ein zentraler Punkt in dem Verhalten des Ordens problematisiert wurde. Politischer Hintergrund sind die Konflikte zwischen dem Unabhängigkeitsstrebens des Ordens und der Zuständigkeit insbesondere der Inquisition, die sich insbesondere in Spanien perfektioniert hatte. Als 1587 der Papst das Privileg des Jesuitenordens zu einer Absolution von Häretikern in foro conscientiae widerrufen hatte, stand dieses Recht wieder allein dem Papst und der Congregatione per la dottrina della fede zu, wie die Institution heute heißt. Dieser gelang es zu der Zeit die Inquisition in Italien unter päpstliche Kontrolle zu stellen. Papst Sixtus V. ließ in dem Konflikt eine spezielle Congregation die Ordensregeln untersuchen, Roberto Bellarmino verteidigte publizistisch dessen Position des Ordens. Mostaccio spricht in diesem Zusammenhang von der Entwicklung einer "dynamic hierarchy" innerhalb der Societas Jesu.
Im 4. Kapitel folgen schließlich drei Fallstudien zur Debatte über die Aneignung des ignatianischen Modells der Exerzitien durch Frauen an der Wende vom 16. zum 17 Jahrhundert als Teil der Wirkungsgeschichte der Exercitia spiritualia von Ignatius. Mostaccio untersucht zunächst die Notizie memorabili degli esercizi spirituali di Sant'Ignazio fondatore della Compagnia di Giesu, von Carlo Rosignoli in der 2. Ausgabe erschienen Bologna 1699. In ihr erscheinen die Exerzitien als ein effektives Mittel der Spiritualität auch für Frauen. Das Buch berichtet über Marina d'Escobar, der eine Erscheinung des Erzengels Gabriel die Ausübung der Exerzitien befohlen habe, weitere ähnliche Fälle werden hinzugefügt. Im Gefolge von Michel de Certeau sieht die Autorin dies als einen Versuch an, eine jesuitisch geprägte Literatur an die Stelle der rheinländischen mystischen Literatur in der Tradition der Devotio moderna und ähnlicher italienischer mystischer Autorinnen besonders aus dem Karmeliterorden zu bringen. Der zweite Fall ist derjenige von Isabella Berinzaga, die ihr Beichtvater, der Mystiker und Mitglied der S.I. Achille Gagliardi ab 1584 zu den Exerzitien angeleitet hat. Im Jahr 1599 sah schließlich Maria Maddalena de Pazzi 1599 den Ordensgründer der Jesuiten in himmlischer Glorie und bat ihren Beichtvater Virgilio Cepari darum, die Exerzitien ausführen zu dürfen, der kirchenhistorische Kontext waren die beginnenden Aktivitäten für die Kanonisierung des Ordensgründers, in dem solche wunderbaren Erscheinungen genau dokumentiert werden sollten.
Mostaccio behandelt ein für das Verständnis der Ordensgeschichte und seiner Konstituierungsphase zentrales Konzept. Es gelingt ihr aber nicht immer, die eigenen Ansprüche einer Kontextualisierung ganz einzulösen. Die zeitliche Beschränkung auf das Generalat von Acquaviva scheint hier wie ein übergreifender Titel, der die thematisch etwas disparaten Kapitel unter einem zeitlichen Rahmen und dem Gehorsamskonzept zusammenhalten soll. Dabei ist es weniger problematisch, dass etwa die Beispiele in dem Kapitel über die Anwendung der Exerzitien durch Frauen über diesen chronologischen Rahmen hinausgehen. Schwerer ins Gewicht fällt, dass die verschiedenen Fragestellungen und Blickweisen auf das Problem nicht immer eine Verknüpfung in einer umfassenden Zusammenschau mit dem Konzept des Gehorsams erhalten. Auch die Conclusion am Ende kann dies in ihrer Knappheit nicht wettmachen. Am Ende steht der Eindruck, dass separate Arbeiten hier einfach als Buch veröffentlicht wurden.
Insgesamt ist die Arbeit aber für einen wichtigen Aspekt der Forschung zu den frühen Jesuiten sicher anregend und enthält interessante Blicke auf ein zentrales Konzept jesuitischen Denkens in einer wesentlichen Phase der Konstituierung des Ordens.
Franz Obermeier