Klaus von Beyme: Die Faszination des Exotischen. Exotismus, Rassismus und Sexismus in der Kunst, München: Wilhelm Fink 2008, 209 S., ISBN 978-3-7705-4656-5, EUR 29,90
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In den letzten Jahren sind zahlreiche Publikationen erschienen, die sich mit visuellen Darstellungen des kulturell Fremden, mit Überschneidungen von Rassismus und Sexismus in abendländischen Bildern sowie mit interkulturellen Austauschprozessen beschäftigen. [1] Durch gegenwärtige Großausstellungen in Metropolen auf der ganzen Welt und durch Künstlerinnen und Künstler, die weltweit agieren, rücken Fragen nach der Übertragbarkeit von kulturell spezifischen Ästhetiken sowie der Umgang mit Stereotypen des Anderen in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit. Doch nicht nur gegenwärtige Phänomene, sondern auch historische Artefakte werden seit einiger Zeit verstärkt daraufhin untersucht, wie sie Fremdes und Eigenes konstruieren und wie Zirkulationen zwischen kulturellen Kontexten beschrieben werden können.
Der Titel von Klaus von Beymes Buch lässt eine ideologiekritische Analyse abendländischer Kunst vermuten, der es weniger um Transfers und Austauschprozesse geht als um das Konstatieren von Hierarchien und Machtverhältnissen. Um seine Ausführungen zu stützen, zieht von Beyme Grafiken, Skizzen, Gemälde und Skulpturen heran. Er untersucht ganz unterschiedliche Gattungen wie Porträts, beispielsweise Gentile Bellinis Doppelportrait mit Mehmet II., oder ethnografische Szenen, wie Albert Eckhouts Tapuya-Tanz. Darüber hinaus besteht das Materialkorpus aus Erdteil-Allegorien, wie Giambattista Tiepolos "Africa", und Aktmalereien, etwa Édouard Manets "Olympia".
Die Leitbegriffe Exotismus und Orientalismus versteht der Autor als generelle Haltungen gegenüber dem Fremden. Beide Begriffe werden nicht definiert, sondern lediglich für eine Unterteilung in historische Phasen genutzt: So findet von Beyme den Exotismus in der Prämoderne, im Zeitalter des Imperialismus, in der Klassischen Moderne und in der Postmoderne. Dabei differenziert von Beyme nach Intensitätsgraden der Faszination des Exotischen, die von Stereotypen in der antiken und christlichen Bildwelt ausgeht, bei Dürer, Velázquez, Rubens und Rembrandt in ein "echtes Interesse am Charakter des Andersartigen" (10) umschlägt und sich im Absolutismus in Teilbereichen des Lebens wie in Chinoiserien zeigt. Im Imperialismus des 19. Jahrhunderts nimmt die Faszination eine ideologisierte Form an. In dieser Phase besitzt sie einen Absatzmarkt und genießt staatliche Unterstützung. Der Orientalismus ist laut von Beyme Teil des Exotismus. Auch er lässt sich aber noch weiter in Zeitabschnitte einteilen. In der Zeit des Rokoko bilde er eine höfische, laszive Kontrastfolie zu Europa. In der Zeit nach Napoleons Ägyptenfeldzug habe dann ein wenig idyllisches Bild vom Orient vorgeherrscht, und in der Romantik sei es zu einer Verklärung des Orients gekommen.
Auch wenn von Beyme den Orientalismus mit dem Rokoko beginnen lässt, verwendet er den Begriff in seiner Anordnung des Materials verwirrenderweise auch für Mittelalter und Neuzeit (Kap. 2), ein Unterkapitel behandelt den "Exotismus in der frühen Neuzeit". Hier zeigt sich ein generelles Problem der Anlage des Überblicks. So erscheinen Exotismus und Orientalismus nicht nur als austauschbare Begriffe, sondern beide beschreiben auch ein allgemeines Phänomen, das eine historisch und räumlich nicht weiter differenzierte Haltung in Kunstwerken zum Ausdruck bringen soll. In der Moderne kommen noch Primitivismus, Archaismus, Folklorismus und Japonismus hinzu. Damit werden Besonderheiten der Begriffe für eine Interpretation negiert. Unterschiedliche Ebenen der jeweiligen Begriffe finden keine Beachtung, wie ihr Gebrauch als kritisches Analyseinstrument, als Beschreibung eines Verfahrens, fremde, pittoreske Sujets nachzuahmen oder als Bezeichnung für eine Ästhetik, mit der sich Künstler bestimmter Werte versichern wollen, wie dem Ursprünglichen und Elementaren als Abgrenzung zum bestehenden Zustand der eigenen Kultur. Darüber hinaus kommt es zu Begriffsverwirrungen, wie beispielsweise in der Beschreibung des Gemäldes "Floß der Medusa" von Théodore Géricault: "'Négritude' wurde vom träumerischen Orientalismus zur Heldensage in diesem Bild." (92) Mit der Bezeichnung der prominenten schwarzen Figur als "négritude" ergeben sich Probleme. Von Beyme übersieht damit zum einen die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs, einer Selbstbezeichnung afrikanischer Literaten und Philosophen in den 1930er Jahren mit dem politischen Ziel, die Eigenständigkeit afrikanischer Kultur zu behaupten und den europäischen Diskurs über Afrika zu thematisieren. Zum anderen übergeht er damit eine zentrale Fragestellung der postkolonialen Forschung, die um das Verständnis anderer kultureller Bewegungen und deren Anliegen, wie die der "négritude", bemüht ist. In einem Überblickswerk hätte man sich eine Erläuterung der aus postkolonialer Theorie übernommenen Begriffe gewünscht sowie deren historische und räumliche Differenzierung anhand des breiten Materials.
Es entsteht wiederholt der Eindruck, als wolle der Autor einer Forschung Vorwürfe machen, die Gender-spezifische und postkoloniale Fragestellungen zum Ausgangspunkt hat. Die Vorbehalte beiden Forschungsrichtungen gegenüber werden aber nicht ausgeführt und auch nicht begründet. So stellt der Autor beispielsweise fest, dass der "postkoloniale Diskurs die 'Differenz' zum Grundprinzip erhob" und "[die Differenz] nicht so weit essentialisiert werden sollte, dass eine vergleichende Kulturanalyse keinerlei 'Ähnlichkeiten' mehr feststellen darf" (180). Verallgemeinernd lässt sich entgegnen, dass ein Erkenntnisinteresse postkolonialer Forschung nicht nur darin besteht, Differenzen anzuerkennen, sondern auch Austauschprozesse sichtbar zu machen und die Dichotomisierung zwischen herrschendem westlichen Subjekt und unsichtbarem, kolonialisiertem Objekt aufzuweichen. An anderer Stelle bemerkt von Beyme, dass "die feministische Kunstgeschichte in ihrer Kritik auch vor Delacroix' 'Tod des Sardanapalus' im Louvre nicht halt gemacht hat", und das, "obwohl der geschlagene Herrscher ja gerade allem Prunk und aller Wollust entsage" (12). Deutlich wird, wie wenig es dem Autor um die Analyse der Repräsentationen in Delacroix' Gemälde geht, das weibliche Aktdarstellungen, schwarze Sklaven und einen Herrscher zeigt, der der Tötung seiner Frauen zusieht. Stattdessen sind von Beymes Ausführungen zu den Bildern hier wie an anderen Stellen seines Buches von Bewertungen historischer Fakten dominiert.
Abschließend lässt sich festhalten, dass das kritische Vokabular, das der Titel ankündigt und dessen sich von Beyme in der Gliederung bedient, sowie sein Anspruch "der Faszination des Exotischen in der europäischen Kunstgeschichte nachzugehen" (11) nicht auf die Repräsentationsebene der Bilder, auf die Analyse tradierter Figuren wie den Mohrenpagen, den edlen Wilden oder die hellhäutige Orientalin angewendet werden, sondern lediglich auf allgemeine politische Hintergründe und Anekdoten aus der Rezeption der Werke. Damit wirken die Abbildungen leider nur wie Illustrationen der politikwissenschaftlichen Thesen und nicht wie Material, anhand dessen das jeweils unterschiedliche historische Verständnis von Exotismus und Orientalismus sowie deren Relationen zueinander herausgearbeitet werden. Aufgrund der begrifflichen Unschärfen eignet sich das Buch trotz seiner Konzeption als Überblickswerk nicht zur Einführung in die Auseinandersetzung mit Darstellungen des kulturell Fremden.
Anmerkung:
[1] Hier nur eine Auswahl der Literatur zum Thema: Hildegard Frübis: Die Wirklichkeit des Fremden. Die Darstellung der Neuen Welt im 16. Jahrhundert, Berlin 1995; Petra Bopp: Ferngesehen. Französische Bildexpeditionen in den Orient 1865-1893, Marburg 1996; Annegret Friedrich / Birgit Hähnel / Viktoria Schmidt-Linsenhoff / Christina Threuter (Hgg.): Rassismus und Sexismus in der Visuellen Kultur, Marburg 1997; Peter Weibel (Hg.): Inklusion / Exklusion. Versuch einer neuen Kartografie im Zeitalter von Postkolonialismus und globaler Migration, Köln 1997; Irene Below / Beatrice von Bismarck (Hgg.): Globalisierung Hierarchisierung. Kulturelle Dominanzen in Kunst und Kunstgeschichte, Marburg 2005; Melanie Ulz: Auf dem Schlachtfeld des Empire. Männlichkeitskonzepte in der Bildproduktion zu Napoleons Ägyptenfeldzug, Marburg 2008.
Silke Förschler