Tobias Burg: Die Signatur. Formen und Funktionen vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert (= Kunstgeschichte; Bd. 80), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2007, 664 S., ISBN 978-3-8258-9859-5, EUR 57,90
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So zahlreich Künstler seit der Antike auch signierten, so selten gerieten Signaturen ins Blickfeld der Kunsthistoriker, deren von Boschini bis Morelli implizit formuliertes Berufsethos gebot, die wahre auktoriale 'Handschrift' im Pinselduktus und im Individualstil zu suchen und zu finden. Die Signatur fristete mithin lange Zeit das Schattendasein der Randerscheinung, nützlich als - wenngleich nicht unbedingt zuverlässiges - Zuschreibungskriterium vornehmlich des Kunsthandels oder - bei stilistischem Wandel des Schriftbilds - als Datierungshilfe. Das kunsthistorische Interesse richtete sich weiterhin auf die Erarbeitung von Signatur- und Monogrammkatalogen, in denen die reproduzierten, von ihren ursprünglichen Zusammenhängen isolierten Schriftzüge als meisterliche Signifikanten fachspezifischen Usancen folgend nach Schulen, Epochen oder schlicht alphabethisch in eine Ordnung zu bringen waren. Unter diesen Prämissen geriet die Signatur zur Metonymie des Autors schlechthin und damit zur Exponentin jener Kategorie, die das Fach seit seinen Anfängen in der Vitenliteratur bestimmt.
Der schriftliche Autorschaftsnachweis bot sich als Referent des Standesbewusstseins ebenso an wie - damit einhergehend - als Siegel künstlerischer Originalität. Diese Funktionen werden bereits in der kunsthistoriografischen Literatur des 16. Jahrhunderts aufgerufen, wenn etwa Felipe de Guevara zu berichten weiß, dass Nachahmer den Namen des Hieronymus Bosch auf ihre Werke setzten, oder Vasari den ersten, 1506 zwischen Albrecht Dürer und Marcantonio Raimondi in Venedig ausgetragenen Copyright-Streit der Kunstgeschichte überliefert. Daran anknüpfend richtete sich ein Interesse der in den 1970er Jahren erstmals verstärkt auftretenden kunsthistorischen Signaturenforschung nachhaltig auf künstler- und kunstsoziologische Fragen. Die auktoriale Inschrift galt als Signum eines sich selbst bewussten Produzenten einer zunehmend autonomen Kunst, ihr Wortlaut als autoreferentieller Gradmesser, ihr Schriftbild als 'trademark' im Wettbewerb des Kunstmarkts.
In dieser Forschungstradition steht die schon im Umfang imposante Studie von Tobias Burg, die auf einer 2003 an der Technischen Universität Dresden angenommenen Dissertation beruht. Auf über 500 Textseiten verfolgt der Autor die Frage nach Funktionen der Künstlersignatur vom Hochmittelalter bis ins 17. Jahrhundert anhand zahlreicher Beispiele, wobei der Fokus auf Werken des Mittelalters liegt. Wohl nicht von ungefähr - haben doch bereits die wegweisenden Arbeiten von Peter Cornelius Claussen und Albert Dietl gezeigt, dass die mittelalterlichen Künstler mitnichten ihr Heil darin fanden, hinter ihren Werken in der Anonymität zu versinken und die elaboriertesten Formulierungen von Künstlerinschriften just aus dieser Epoche stammen. Burgs Interesse gilt hauptsächlich den unterschiedlichen Beweggründen signierender Künstler, wobei er im Wesentlichen drei Motive herausarbeitet: eine religiös determinierte devotionale Praxis, den Stolz des schaffenden Subjekts oder ganz pragmatisch ökonomische Überlegungen.
Eindrucksvoll ist die materielle Vielfalt des vorliegenden Buches: Der Text ist nach Gattungen in drei Teile gegliedert, in denen Signaturen in Handschriften, in Skulptur und Architektur sowie in der Malerei untersucht werden. Regionale Schwerpunkte liegen - auch hier eine beachtliche Breite - auf der italienischen, niederländischen und deutschen Kunst. Der umfangreiche, manche Seite dominierende Anmerkungsapparat zeugt von der Akribie des Autors. Ergänzt wird der Haupttext neben Bibliografie, Register und Abbildungsteil durch zahlreiche Statistiken und Tabellen - allein im Anhang auf über 70 Seiten, zusätzlich zu jenen, die dem Fließtext inseriert sind. Sie dienen der Erhebung von Anzahl, Inhalt und Herkunft der Künstlerinschriften in bestimmten Zeiträumen.
Der Einsatz solcher Mittel der Auswertung und Veranschaulichung bedeutet eine methodische Grundsatzentscheidung: Burgs Arbeit ist geprägt von einem empirischen Anspruch, der sich im Sammeln einer enormen Menge an Beispielen realisiert, bei dem tiefer reichende formalästhetische Analysen von Fallstudien jedoch auf der Strecke bleiben, wohl bleiben müssen, selbst dann, wenn mit Lorenzo Ghiberti, Jan van Eyck oder Michelangelo einzelnen Künstlern eigene Unterkapitel gewidmet sind. Ihr Augenmerk liegt eindeutig auf der Rekonstruktion großer Zusammenhänge. Diese erfolgt zum Beispiel in der Darlegung künstlerischer Rekurse, in denen durch bestimmte Formulierungen oder Schriftmodi intertextuelle Bezüge hergestellt und dadurch Inschriften (und mithin Werk und Künstler) entsprechend semantisiert wurden, etwa in Verweisen auf die Antike, die Gelehrtheit veranschaulichen sollten. Oder sie basiert auf der Auseinandersetzung mit Werkstattzusammenhängen, für deren Klärung der historische Umgang mit der Signatur wesentliche Aufschlüsse bieten kann, wenn man die Frage stellt, wer auf welche Weise und wessen Werk zu unterzeichnen autorisiert war. Der Blick von Tobias Burg verfängt sich nicht, wie es sein Untersuchungsgegenstand nahelegen würde, im Detail, sondern sucht, wofür auch die Tabellen sprechen, auf der Grundlage der herangezogenen Inschriften ein Regelwerk der Signierpraxis zu ergründen.
Die vorliegende Studie ist ein beachtliches Unterfangen, die Geschichte der Künstlersignatur im großen Rahmen unter soziologischen und funktionalen Gesichtspunkten zu erfassen. Unbestritten ist sie daher ein essentieller Beitrag zu einem in der Kunstgeschichte bislang wenig erforschten Gebiet, für das nur partiell Untersuchungen im größeren Umfang vorliegen, verwiesen sei neben den bereits genannten hier exemplarisch auf die magistralen Aufsätze von Louisa C. Matthew und Rona Goffen zur Signierpraxis in der italienischen Renaissancemalerei. Burgs Arbeit liefert weitere Erkenntnisse zu einer Vorgeschichte des Künstlers, der auch solcherart über sich in seinem Werk spricht. Die Künstlersignatur gerät unter dieser Perspektive allerdings zuvorderst zum Mittel auktorialer Selbststilisierung. In ihrer ästhetischen Eigenwertigkeit innerhalb eines Werks, in ihrer Rolle als Agentin zwischen Werk- und Betrachterrealität, die aufgrund dieses Zwischenstatus ein durchaus subversives Potential entwickelt, indem sie etwa in die Bilderzählung eingreift oder im Spiel mit den unterschiedlichen Realitäten Grenzen und Möglichkeiten künstlerischer Darstellung aufzeigt, wird sie wenig fassbar. Bei der Gründlichkeit der Recherche, die das Buch auszeichnet, dürfte daher das Fehlen jeglicher Hinweise auf systematische Forschungen zur Signaturenfrage, seien es semiotisch argumentierende Studien von Kunsthistorikern wie etwa Claude Gandelman, philosophische Analysen wie die von Jacques Derrida oder interdisziplinäre Studien zur Schriftbildlichkeit, wie sie seit einigen Jahren Konjunktur haben, als programmatisch aufzufassen sein. Dennoch: Den selbst formulierten Anspruch, eine Funktionsgeschichte der Signatur darzulegen, die sich am Wandel künstlerischen Selbstverständnisses orientiert, erfüllt das Buch allemal und unter diesem Gesichtspunkt wird man es mit Gewinn konsultieren.
Karin Gludovatz