Sebastian Egenhofer: Abstraktion-Kapitalismus-Subjektivität. Die Wahrheitsfunktion des Werkes in der Moderne, München: Wilhelm Fink 2008, 441 S., ISBN 978-3-7705-4397-7, EUR 49,90
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Sebastian Egenhofers "Abstraktion - Kapitalismus - Subjektivität. Die Wahrheitsfunktion des Werks in der Moderne" ist ungewöhnlich in mehrfacher Hinsicht. Seinem Hauptgegenstand, den specific objects von Donald Judd entsprechend, ist das Format des Buches selbst im gewissen Sinne spezifisch, d.h. mit den geläufigen Genres der kunstgeschichtlichen Literatur inkommensurabel. Nicht nur entfaltet die hoch komplexe Sprache Egenhofers zuweilen eine poetische, suggestiv-hermetische Dichte, der Autor propagiert auch Qualitätsurteile (31) und spricht solche gleich mehrmals aus (50; 239; 342). Das eigentlich Besondere ist aber, dass hier eine kenntnis- und detailreiche, methodisch reflektierte historische und hermeneutische Arbeit mit der Entwicklung einer Ontologie des Werkes verbunden wird, die der modernen Ablehnung der Repräsentation und des organischen Werkbegriffs adäquat wäre. Egenhofers Untersuchung ist daher kein kunsthistorisches Buch im engeren Sinne, sondern eine wohl ausgewogene Durchdringung der Kunstgeschichte und der philosophischen Ästhetik.
Der Titel gibt schon den ersten Hinweis darauf, in welche Richtung Egenhofers Argumentation zielt. Die angestrebte Ontologie des Werkbegriffs verbindet er mit der Annahme einer "Analogie" zwischen der Abstraktion (hier weit gefasst als moderne Repräsentationskritik insgesamt, also beispielsweise auch die Strategie des Ready-made) und dem Kapitalismus: "Der Ikonoklasmus des modernen Werks, das sich für den Blick der Betrachter nicht mehr auf einen gegenständlich-figurativen Sinn öffnet, trägt dieser Verfassung der Welt Rechnung, in der die Einzeldinge wie die individuellen Subjekte in die Glieder eines anonymen Geschichtsprozesses verwandelt sind" (29). Damit bindet der Autor die hochgradig selbstreferentielle Kunst an die Welt zurück, genauer: Er betraut die Kunst mit der nicht erst seit Heidegger vertrauten 'Aufgabe' der Wahrheitsproduktion. Das Bedürfnis einer Neubestimmung des Werkbegriffs entzünden sich für Egenhofer an Judds Objekten, in denen eine vollkommene Präsenz und damit das von Frank Stella ererbte tautologische Credo des Minimalismus - das berühmte "what you see is what you see" - realisiert zu sein scheinen. Egenhofer will "[...] einen Werkbegriff entwickeln, der sich mit der Affirmation einer historisch weit gefassten Moderne gerade in ihren progressiven und transgressiven Zügen nicht nur verbinden lässt, sondern sich mit ihr zwingend verschränkt. Die Krise des Werkbegriffs in der Moderne bezeichnet nicht die Nivellierung des autonomen Bezirks der Kunst im Feld der schon existierenden Welt, sie ist eine Neubestimmung des Weltverhältnisses des Werks, in deren Vollzug der ästhetische Schein, der den Schutzraum des repräsentationalen Bildes verlassen muss, in ein neues Verhältnis zu seinen wirklichen Existenzbedingungen tritt" (19).
In genauen Analysen einzelner Arbeiten, größerer Werkgruppen und kunstkritischer Texte Judds wird im ersten Teil des Buches zunächst die Stellung der specific objects "Zwischen Ready-made und Monochrom" (33-88) herausgearbeitet, um dann im zweiten Teil, "Im Licht des Ready-made. Präsenz und Zeitigung des Werks" (91-218), die Indexikalität als eine zur Ikonizität/zum Bild komplementäre Weise des Weltbezugs stark zu machen. Auch die Indexikalität, wie vorher schon die Abstraktion, ist hier aber weit gefasst: "Nicht nur der umgrenzte Abdruck, sondern auch die glatte Oberfläche seines Trägers, nicht nur der Fingerabdruck auf einer Metallplatte muss als Spur gedacht werden. Jede gegenwärtige Form ist als Stockung eines vielschichtigen, gewesenen Prozesses der In-Formation bestimmt [...]" (114). Duchamps Ready-mades, die hier vor allem thematisch sind, gehören aber nicht der so verstandenen Indexikalität bloß nur an, wie jedes andere Ding auch, sondern explizieren die eigene Zeitlichkeit auf exemplarische Art, als Projektionen vierdimensionaler Gegenstände in der Dreidimensionalität. Wie das Bild dreidimensionale Objekte auf der zweidimensionalen Fläche fixiert, so fixieren die durch ihre déclaration im Werk 'still gestellten' Dinge ihre vierdimensionale, raum-zeitliche Kontinuität und machen diese zugleich bewusst. Mit dieser Analyse der indexikalischen Zeitstruktur des Werkes entwirft Egenhofer einen Begriff der Geschichtlichkeit der Kunst, der diese nicht auf ein Zeitdokument reduziert und dennoch den Präsenzanspruch der minimalistischen Objekte unterläuft. Der dritte Teil des Buches, "Abstraktion und Deterritorialisierung. Von der Bildepistemologie zur Produktionslogik" (221-323) kann sich auf dieser Grundlage im wiederholten Anlauf der Werke Judds annehmen. Der Autor zeichnet hier die Genealogie der Minimal Art aus Jackson Pollocks drip paintings und aus deren Abgrenzung zu Clement Greenbergs Darstellung der Teleologie abstrakter Kunst. Anders als beim letzteren, der das Telos moderner Kunst in der Optizität sieht, führt die immanente Entwicklungslogik des Mediums laut Judd zur "Materialpräsenz" im real space. Den Juddschen Realraum deutet Egenhofer bezeichnenderweise als einen synchronisierten Raum, der in dieser Hinsicht dem Bildraum ähnlich ist, auch wenn er nicht nur den Bildrahmen, sondern selbst die vier Wände der Galerie hinter sich lässt und in die Landschaft hinausgreift: "In Marfa in Texas hat er [Judd - M.N.] den hundert Aluboxen, die in zwei ehemaligen Artilleriehallen installiert sind, den Landschaftshorizont als Parergon gegeben und sie durch die kreisförmige Zeit der Natur von der Zeit der Geschichte abgeschirmt." Egenhofer konstatiert aber nicht einfach nur die Blindheit Judds für die gespaltene Zeitstruktur des Werks. Da die "Heterochronie" zuvor als der irreduzible Kern eines nach-repräsentationalen Werkbegriffs ausgemacht wurde, ist die anschließende Kritik an Judds Idealvorstellung ungeteilter Werkpräsenz nur folgerichtig: "Diese Geste des Ausschlusses, der Versuch einer Absolution des Bildes, die unmöglich bleibt, begrenzt die historische Geltung und die künstlerische Tragkraft von Judds Werk" (342).
Was diese auf das Skelett reduzierte Darstellung von "Abstraktion - Kapitalismus - Subjektivität" unter anderem auslässt, sind die vielen differenzierten Einzelbetrachtungen, die in den Argumentationsgang verwoben sind. Die Ausführungen zum objet trouvé, zu Robert Morris, zu der sogenannten Neo-Avantgarde, zu Barnett Newman, Ad Reinhardt, Andy Warhol, Carl Andre, Claes Oldenburg, Mondrian und zum russischen Konstruktivismus - um nur einige zu nennen - wären eine eigene Besprechung wert und lohnen die Lektüre auch für philosophieresistente Leser.
Magdalena Nieslony