Susanne Hehenberger: Unkeusch wider die Natur. Sodomieprozesse im frühneuzeitlichen Österreich, Wien: Löcker 2006, 280 S., ISBN 978-3-85409-430-2, EUR 22,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Martin Kintzinger / Frank Rexroth / Jörg Rogge (Hgg.): Gewalt und Widerstand in der politischen Kultur des späten Mittelalters, Ostfildern: Thorbecke 2015
Johannes Giessauf / Andrea Penz / Peter Wiesflecker (Hgg.): Im Bett mit der Macht. Kulturgeschichtliche Blicke in die Schlafzimmer der Herrschenden, Wien: Böhlau 2011
Katherine O'Donnell / Michael O'Rourke (eds.): Love, Sex, Intimacy and Friendship between Men, 1550-1800, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2007
Mit der vorliegenden Arbeit über Sodomieprozesse im frühneuzeitlichen Österreich ist Susanne Hehenberger 2003 an der Universität Wien promoviert worden. Der Verfasserin wurde dafür der Michael-Mitterauer-Förderpreis 2004 ihrer Alma mater verliehen. Sie hat es sich in ihrer Studie zum Ziel gesetzt, dem Verhältnis zwischen diskursiv konstruiertem Delikt und praktischer Strafverfolgung nachzugehen.
Nach einigen eher allgemein gehaltenen Bemerkungen zur theoretischen und methodischen Verortung und einem bündigen strafrechtshistorischen Abriss, der reichs- und landesherrliche Gesetzgebungen ebenso wie den zeitgenössischen juristischen Diskurs zu erfassen sucht, folgt als eigentlicher Hauptteil der Arbeit eine Reihe von Einzelstudien, die unter thematischen Fragestellungen gebündelt werden. Insgesamt werden 53 Sodomieprozesse der Jahre zwischen 1581 und 1780 betrachtet, die in einer Kurzübersicht im Anhang der Arbeit (214-217) nochmals übersichtlich zusammengestellt sind.
Zunächst werden die drei unterschiedlichen Konstellationen von Sexualpartnern untersucht, die das Delikt der Sodomie berücksichtigte. Kaum ein Beitrag kann dabei das von Hehenberger untersuchte Material zur Bewertung und Verfolgung heterosexueller Sodomie, also als widernatürlich empfundener Sexualpraktiken beim Verkehr zwischen Mann und Frau, wie Anal- oder Oralverkehr, beitragen; nur zwei der untersuchten Prozesse betrafen solche Formen sexueller Devianz. Dieser Befund dürfte auf einer Linie mit anderen Regionen des Alten Reiches liegen - zumal, wenn, wie hier, lediglich die weltliche Gerichtsbarkeit untersucht wird. Denn trotz vehementer Strafandrohung scheinen widernatürliche sexuelle Praktiken innerhalb ansonsten akzeptierter Sexualbeziehungen eher selten den Weg vor ein Strafgericht gefunden zu haben, sondern finden sich häufiger in der Überlieferung von Ehegerichten oder aber gänzlich außerhalb der Gerichtsakten, beispielsweise im Umfeld der Beichte. Bezeichnenderweise sind die Delinquenten der beiden von Hehenberger nachgewiesenen Prozesse dann auch nicht bloß im Hinblick auf ihre Sexualpraktiken, sondern auch anderweitig als sexuell widernatürlich gebrandmarkt: Bei dem einen, nur spärlich belegten Fall handelt es sich um einen wohl eigentlich im Vordergrund stehenden Inzestvorwurf, bei dem anderen um die Verbindung eines jüdischen Hausierers mit einer katholischen Magd. Dennoch ist gerade dieser letztgenannte, ausgesprochen umfangreich dokumentierte Fall, den die Verfasserin bereits an anderer Stelle vorgestellt hat [1], ein ausgesprochen interessantes Stück frühneuzeitlicher Sexualitätsgeschichte.
Erstaunlicher als der quantitativ magere Befund hinsichtlich Verfahren wegen heterosexueller sodomitischer Praktiken ist die gleichsam spärliche Ausbeute von Anklagen wegen gleichgeschlechtlicher Sodomie, scheint die Verfolgung gleichgeschlechtlicher (das heißt in der Regel mann-männlicher) Sexualität im Lichte der Publikationsflut der letzten Jahrzehnte doch auf den ersten Blick geradezu der eigentliche Begriffsinhalt des Delinquenzkonzepts "Sodomie" zu sein. In der Tat zeigt sich hier eine bemerkenswerte Kluft zwischen normativem, das heißt juristischem ebenso wie theologischem, Diskurs und historischer Strafverfolgungspraxis. Nur einen einzigen, darüber hinaus sehr späten Fall einer Anklage wegen mann-männlicher Sodomie hat Hehenberger nachweisen können.
Die ganz überwiegende Zahl der von ihr untersuchten Gerichtsakten betrifft also - zumindest unter anderem - Fälle von menschlich-tierischem Sexualverkehr, von Bestialität. Das ist ein Kapitel in der Geschichte sexueller Devianzen, das noch kaum geschrieben ist, und hier ist der große Mehrwert dieser Studie, auch für übergreifendere Fragen, zu verorten. Mit Blick auf die schiere Masse der Überlieferung werden in diesem Kapitel erst gegen Ende zwei umfänglichere Fallerzählungen eingeflochten, während die Prozesse in den Herrschaften Wartenburg und Spital am Pyhrn summarisch behandelt werden.
Den Falluntersuchungen schließen sich ziemlich naht- und leider auch übergangslos quantitative Betrachtungen des gesamten Untersuchungsmaterials von recht unterschiedlichem Aussagewert an. Die Feststellung beispielsweise, dass in der Tat in ganz überwiegender Zahl Kühe sodomisiert wurden (160 f.), scheint doch bestenfalls zur Auseinandersetzung mit den aber ohnehin ausgesprochen seltsam anmutenden Thesen Midas Dekkers über die "wiegenden Hüften und die in einladender Höhe ausgeprägte Vulva" von Kühen und Eselinnen geeignet, die "manch einen Mann in Versuchung" geführt haben sollen.[2] Interessanter sind da schon die Auswertungen zur Zahl der rechtsrituell getöteten Tiere, besonders aber die trotz der quantitativ ja verhältnismäßig schmalen Basis auffällige Häufigkeit, mit der Sodomieanschuldigungen zusammen mit anderen, zum Teil schwerwiegenden Vorwürfen vorgebracht wurden. Hier kann Hehenberger einen eindeutigen Wandel vom späten 16. bis zum späten 18. Jahrhundert aufzeigen (164), der für die allgemeinere Frage nach der Konstruktion von Devianz und Devianten ausgesprochen interessant ist. Ebenfalls für weiter greifende Forschung fruchtbar zu machen wären die daran anschließenden Kapitel über "Motive und Kontexte" und "Sprache - Macht - Gericht", die gute Vergleichsmöglichkeiten zu Studien anderer regionaler oder deliktthematischer Schwerpunktsetzung eröffnen.
Zweierlei hätte der Rezensent dieser aufschlussreichen Studie noch gewünscht: Das eine ist eine etwas pointiertere Zusammenfassung, die weniger versucht, sich in allgemeine, längst bekannte Meistererzählungen frühneuzeitlicher Sexualitäts- und Kriminalitätsgeschichte einzuschreiben, sondern das Besondere der eigenen Arbeiten mehr herauszustreichen. Denn diese besonderen Befunde, das ist oben angedeutet worden, hat Hehenberger durchaus zu bieten. Das zweite wäre - gerade weil die Fallerzählungen immer wieder zu Re-Lektüren einladen - eine bessere Bindung.
Anmerkungen:
[1] Susanne Hehenberger: "Die Löbl Isaackische Liebesgöttin und ihr hebräischer Ritter." Ein Sodomieprozess (Freistadt 1779/08), in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 4 (2002), 38-56.
[2] Midas Dekkers: Geliebtes Tier. Die Geschichte einer innigen Beziehung, München u.a. 1994, 84.
Hiram Kümper