Hugh Kennedy: The Byzantine and Early Islamic Near East (= Variorum Collected Studies Series), Aldershot: Ashgate 2006, viii + 280 S., ISBN 978-0-7546-5909-9, GBP 57,50
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Die Herausgeber von Ashgate haben im Rahmen der Collected-Studies-Serie einen neuen Band vorgelegt, der die wichtigsten Aufsätze des britischen Historikers Hugh Nigel Kennedy beinhaltet. Kennedy, einer der großen Kenner der frühislamischen Zeit, war lange Professor am MECACS Institut der University of St. Andrews bevor er an die School of Oriental and African Studies (SOAS) in London wechselte, wo er zur Zeit lehrt und forscht.
Der hier vorgelegte Sammelband umfasst 14 Aufsätze, die zwischen 1980 und 2004 erschienen sind. Eine kurze Einleitung und ein fünfseitiger Index runden den Sammelband ab.
Thematisch sind die 14 Aufsätze in drei Bereiche untergliedert. Erstens, der Übergang von Städten und Landschaften vornehmlich im Nahen Osten von der Spätantike zum Islam. Zweitens, verschiedene Aspekte des Verhältnisses zwischen dem byzantinischen Reich und islamischen Ländern, und drittens, die Verwaltung als Teil islamischer Herrschaft (VII).
Da nicht alle Beiträge besprochen werden können, möchte ich aus jedem Bereich einen Aufsatz vorstellen, der für (europäische) Mittelalter- und Neuzeit-Historiker von Interesse sein könnte. Selbstredend ist diese Auswahl subjektiv. Sie soll aber Lust darauf machen, diese und weitere Beiträge des Sammelbandes zu lesen.
I. From Polis to Madina: Urban Change in Late Antique and Early Islamic Syria (1985)
In diesem Aufsatz argumentiert Hugh Kennedy, dass der Verfall der antiken Städte in Syrien nicht nach den islamischen Eroberungen des 7. Jahrhunderts sondern schon früher statt gefunden hat (8). Indizien für diesen Verfall sieht er darin, dass kleinere Räume und Häuser gebaut wurden (9), dass zum Beispiel in Gerasa und Apamea breite Straßen und öffentliche Plätze überbaut wurden (12) und dass es bei Neugründungen von Städten, beispielsweise von Umm al-Ǧimāl, im 5. und 6. Jahrhundert keine Stadtplanung mehr gab (14). Auch die funktionalen Teile der klassischen Städte, wie zum Beispiel die Theater, die Märkte oder die Agora, wurden mit Ausnahme der Bäder, die in die islamische Zeit übergingen (10), nicht weiter genutzt (12).
Über die Gründe dieses Verfalls macht der Autor folgende Angaben: Die Abnahme der Bevölkerungszahl führte zu einem Einkommensrückgang, der sich in einem Rückgang der staatlichen und privaten Baupatronage äußerte (19). Zudem flohen die griechischen Eliten der Städte nach den Eroberungen (24) und die umayyadische Verwaltung hatte nicht genug Kapital, um in Stadtgebäude zu investieren (20). Darüberhinaus förderten die Muslime den Handelscharakter einer Stadt (25), nicht deren monumentales Aussehen, das nach dem nun nicht mehr geltenden römischen Recht Aufgabe des Herrschers gewesen war. Auch die Veränderungen im Transportwesen - weg vom Wagen hin zum Kameltransport - trugen dazu bei, dass breite Straßen nicht mehr funktional waren (26).
Hugh Kennedys Argumentation, die sehr überzeugend ist, lässt doch eine Korrelation fragwürdig erscheinen: Der Rückgang der Bautätigkeit ist nicht zwingend auf einen Bevölkerungs- bzw. Einkommensrückgang zurückzuführen. In einer Stadt konnten nicht alle 50 Jahre funktionale Gebäude errichtet werden, da ein existierendes Gebäude über mehrere Jahrhunderte genutzt werden kann, solange es nur in Stand gehalten wird. Vielleicht lässt sich der Rückgang der Bautätigkeit einfach damit erklären, dass es keinen Bedarf für neue Gebäude gab, und nicht als Verfall interpretieren.
II. The Melkite Church from the Islamic Conquest to the Crusades: Continuity and Adaption in the Byzantine Legacy (1986)
In diesem Artikel stellt Hugh Kennedy die Entwicklung der griechisch-orthodoxen (byzantinischen) Staatskirche in Syrien vom Anfang des 6. Jahrhunderts bis zum 10. Jahrhundert dar, in einer Zeit, in der der (römische) Teil der Kirche in Westeuropa noch im Aufbau befindlich war. Zu den wichtigsten Zentren der Melkiten (von malka, syrisch für "König") in Syrien gehörte Jerusalem, der Sitz des Patriarchen, und Damaskus, wo es einen Metropoliten gab, der die Marienkirche benutzte (331). Zwar wurde die melkitische Kirche am Ende des 6. Jahrhunderts stark dezimiert (327), doch gab es nach den islamischen Eroberungen, zum Teil bedingt durch die Förderung der Melkiten von Seiten des Kaisers Heraklius, im 8. Jahrhundert wieder zahlreiche Bischofssitze, wie zum Beispiel in Amman oder Hisban. Die Quellen des 10. bzw. 11. Jahrhunderts zeichnen erneut ein schwaches Bild der melkitischen Kirche. An der Mittelmeerküste und in Palästina stießen die Kreuzfahrer auf keine konkurrierenden Melkiten, die es aber noch in Nordsyrien und vor allem in Antiochia, dem neuen Sitz des Patriarchen, gab (333).
Nach der Einflussnahme von Kaiser Heraklius auf die melkitische Kirche und dessen Versuch den monotheletischen Glauben durchzusetzen, dessen Hauptmerkmal es ist, dass Christus zwar zwei Naturen hatte aber nur einen Willen, gelang es den byzantinischen Kaisern bis zur Rückeroberung von Antiochia 969 nach Christus nicht, direkten Einfluss auf die Kirchenverwaltung zu nehmen (339). Die meisten melkitischen Patriarchen entstammten seit dem 7. Jahrhundert der lokalen Bevölkerung, das heißt, sie sprachen Syrisch oder Arabisch, nicht Griechisch. Mit anderen Worten argumentiert Hugh Kennedy, dass die melkitische Kirche in Syrien vom 7. bis zum 10. Jahrhundert relativ unabhängig vom byzantinischen Kaiser, ihrem nominellen Oberhaupt, agierte und es lange gedauert hat, bis die Kaiser wieder Einfluss auf die Vergabe von Ämtern und auf theologische Fragen genommen haben.
Auch dieser Aufsatz des Autors ist quellenfundiert, thematisiert wichtige Aspekte der nahöstlichen (christlichen) Welt und ist argumentativ überzeugend.
III. Central Government and Provincial Élites in the Early 'Abbāsid Caliphate (1981)
In einem weiteren Aufsatz vergleicht Hugh Kennedy die politischen Eliten von Mossul und von Kairo in der Abbasidenzeit und deren Verhältnis zur Zentralgewalt des Kalifen. Dabei will er vornehmlich folgende Fragen beantworten: Wer ernannte die Eliten? Wieviel Einfluss hatte der Kalif auf seine Provinzen?
In Bezug auf Mossul findet der Autor heraus, dass der Gouverneur (wālī) vom Kalifen ernannt wurde und meist zu seiner engeren Familie gehörte (28). Der Richter (qāḍī) wurde ebenfalls vom Kalifen ernannt, stammte aber aus der Gruppe der örtlichen Gelehrten (30). Anfänglich gab es eine kalifale Garnision in der Stadt, die aber mehr und mehr von lokalen Führern mit ihren Armeen abgelöst wurde. Mit anderen Worten beherrschte die lokale Elite die Stadt und der von Bagdad ernannte Gouverneur musste sich auf diese Strukturen stützen, da er sonst machtlos war (31).
Auch in Ägypten waren die Gouverneure Ortsfremde, die vom Kalifen ernannt wurden und generell kurze Amtszeiten aufwiesen (32). Das heißt, dass ein Gouverneur bei der Steuereintreibung völlig von der lokalen Beamtenschaft abhängig war. Gelegentlich ernannte der Kalif sogar einen unabhängigen Steuerverwalter, der die Macht des Gouverneurs noch weiter einschränkte (33). Ebenso wie in Mossul war erstens der Gouverneur von lokal geführten Polizei- und Heerestruppen abhängig (35), deren Führung von dynastischer Kontinuität geprägt war, und zweitens ernannte der Kalif den Richter. Mit anderen Worten waren die Gouverneure in beiden Provinzen sehr schwach, da sie von den lokalen (militärischen) Eliten abhängig waren und das Justizwesen, gelegentlich auch die Steuereintreibung, dem Kalifen unterstand. Die Zentralgewalt in Bagdad beherrschte demnach ihre Provinzen nur mittelbar, und zwar durch die lokalen Eliten.
Auch dieser Aufsatz stellt einen wichtigen Beitrag zur Verwaltungsgeschichte des Abbasidenreiches dar, so wie man abschließend sagen kann, dass ausnahmslos alle Artikel dieses Bandes lesenswert und sehr lehrreich sind. Durch diese Zusammenstellung der Aufsätze in einem Band ist dem Leser viel Recherchetätigkeit erspart geblieben. Den Herausgebern sei dafür herzlich gedankt!
Jens Scheiner