Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Liselotte Julius (= Beck'sche Reihe; 1572), München: C.H.Beck 2004, 216 S., 21 Abb., ISBN 978-3-406-51074-8, EUR 12,90
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Als Bernard Lewis im November 1981 Vorlesungen zu den Juden in der islamischen Welt am Hebrew Union College in Cincinnati, Ohio, gehalten hatte, wusste er vermutlich noch nicht, dass daraus eine ansprechende Monographie über das Verhalten muslimischer Herrscher den Juden gegenüber entstehen sollte. 1984 legte der Autor dann die überarbeiteten und erweiterten Vorlesungen in der englische Grundlage des hier zu besprechenden Werkes unter dem Titel "The Jews of Islam" (erschienen in London bei Routledge) vor. Neben einer französischen Übersetzung ("Juifs en terre d'Islam" erschienen in Paris bei Calmann-Lévy 1986) wurde das Werk auch von Liselotte Julius unter dem Titel "Die Juden in der islamischen Welt" ins Deutsche übersetzt. Diese Übersetzung ist 1987 in gebundener Form in München bei C.H. Beck erschienen. Der hier zu besprechende Band ist ein Nachdruck dieser ersten Auflage, der 2004 als Taschenbuch erneut herausgegeben wurde.
Bernard Lewis' Werk hat zwei Schwerpunkte: Die Situation der jüdischen Bevölkerung unter islamischer Herrschaft in klassischer Zeit, das heißt vom 7.-13. Jahrhundert, und deren Verhältnisse unter (früh-) osmanischer Herrschaft. Geographisch liegt der Fokus der Abhandlung auf den zentralen Ländern des Nahen Ostens, wobei Lewis gelegentlich auch Ausführungen zu Marokko und Iran macht. Das Buch besteht aus vier Kapiteln, 21 fotographischen Tafeln, einem ausführlichen Index und Endnoten zu jedem Kapitel, die der Verlag glücklicherweise nicht gestrichen hat. In dem ersten Kapitel ("Der Islam und andere Religionen", 13-66) spricht Lewis einige zentrale Punkte des Verhältnisses vom Islam zu anderen Religionen an. Dazu zählt, dass es eine dem westlichen, nach-aufklärerischen Verständnis entsprechende Toleranz nicht gab (13) und dass es zwar immer Diskriminierungen der Juden (und Christen) im Islam gab, höchst selten aber regelrechte Verfolgungen (17). Beide Umstände hängen mit dem Status von Juden (und Christen) im islamischen Recht als "Schutzbefohlene (ahl aḏ- ḏimma)" zusammen. Dieser Status sicherte den Menschen körperlichen Schutz, berufliche Freiheiten und religiöse Selbstverwaltung zu, gewährte ihnen aber nicht den gleichwertigen Rang eines freien männlichen Muslims. Lewis spricht außerdem über die steuerliche Abgabe der Nicht-Muslime, die ǧizya (23), einen Katalog von anti-jüdischen bzw. anti-christlichen Rechtsbestimmungen, der unter dem Namen "Omar-Pakt" bekannt geworden ist (32), besser aber mit "Die 'Umarʿschen Bedingungen" wiedergegeben werden sollte und die den Juden oft auferlegten Kleidervorschriften (40). Erst im 12. und 13. Jahrhundert begann sich Lewis zufolge die Lage der Juden deutlich zu verschlechtern (57). Im zweiten Kapitel ("Die jüdisch-islamische Tradition", 67-100) geht Lewis auf die vielen Bereiche ein, in denen sich jüdische und muslimische Gelehrte wechselseitig befruchtet haben. Dazu gehören Rechtskonzeptionen, theologische Konzepte, Speisegesetze, Übertritte von Juden zum Islam und gemeinsam ausgeübte Berufe. Das Zusammenleben von Juden und Muslimen schildert Lewis als "eine Art von Symbiose [...], die in der westlichen Welt zwischen hellenistischer und Neuzeit nicht ihresgleichen hatte" (85). Unter dem Titel "Spätes Mittelalter und frühe Neuzeit", eine Periodisierung die Lewis mit der Zeit zwischen der türkischen Einwanderung in Anatolien und der europäischen Expansion auf dem Balkan und dem Nahen Osten in einen islamischen Kontext übersetzt (103), schildert das dritte Kapitel die Situation der Juden im Osmanischen Reich (101-139). Wichtige Impulse setzten dabei in den ersten Jahrhunderten die aus Europa (z.B. nach ihrer Vertreibung aus Spanien) eingewanderten Juden, die Bildung und Know-how ins Osmanische Reich mitbrachten. Lewis macht aber auch auf die osmanische Umsiedlungspolitik (sürgün) aufmerksam, die regelmäßig auch Juden betraf. Im 19. Jahrhundert verloren die Juden ihre Stellung dann zunehmend an die griechischen und armenischen Gruppen im Osmanischen Reich. Im vierten Kapitel "Das Ende der Tradition" (140-170) beleuchtet Lewis die Faktoren, die zum Ende der jüdisch-islamischen Tradition beigetragen haben, wie zum Beispiel das Aufkommen des Antisemitismus im Nahen Osten eingeführt durch die europäischen Kolonialmächte. Während sich die Lage für die Juden in Iran dramatisch verschlechtert hatte, beteiligten sich auch die Juden in arabischen Ländern im 19. und 20. Jahrhundert kaum noch am kulturellen Leben. Beinahe wehmütig beklagt Lewis: "Die jüdisch-islamische Symbiose war eine [...] schöpferische Periode, ein [...] lebensvolles Kapitel in der jüdischen Geschichte. Es ist nun zu Ende gegangen" (170). Die Herausarbeitung dieser "jüdisch-islamischen Tradition" gehört zu den argumentativen Stärken dieses für die Darstellung der Juden unter islamischer Herrschaft grundlegenden Buches. Bernard Lewis hat viele wichtige Quellen, die er in diesem Werk auch genauer vorstellt, ausgewertet (Chroniken, Geniza-Dokumente, siǧill-Werke, Defter-i Hakani, Berichte der Alliance Israélite Universelle) und argumentiert in meinen Augen sehr überzeugend für eine jüdisch-islamische Symbiose. Dass Lewis diese Quellen regelmäßig wörtlich zitiert, verleiht der Monographie eine historische Offenheit, die es dem fachnahen und -fernen Leser erlaubt, die Schlüsse des Autors nachzuvollziehen und zu teilen. Darüberhinaus macht Lewis sehr deutlich, dass die Menschen jüdischen Glaubens unter arabischer Herrschaft ein deutlich geschützteres und freieres Leben führen konnten als ihre Glaubensgenossen zur gleichen Zeit im christlichen Europa.
Im Rahmen einer solch kurzen Überblicksdarstellung kann der Autor viele Themen nur anreißen. So sind in der Zwischenzeit einige Themenfelder deutlich intensiver untersucht worden als noch bei Erscheinen dieser Monographie. Beispielhaft sei auf die Stigmatisierung der Juden durch gelbe Abzeichen hingewiesen, die unter dem Kalifen al-Mutawakkil im Jahr 849 n. Chr. erstmals eingeführt wurden und sich in einer historischen Linie bis in die Zeit des Dritten Reiches verfolgen lassen.[1] Dennoch bleibt dieses Büchlein eine sehr gute Überblicksdarstellung zum Verhältnis von Muslimen und Juden unter islamischer Herrschaft und ist damit Studenten und Einsteigern in diese Thematik als Erstlektüre wärmstens zu empfehlen.
Anmerkung:
[1] Siehe dazu: Jens J. Scheiner: Vom Gelben Flicken zum Judenstern? Genese und Applikation von Judenabzeichen im Islam und christlichen Europa (849-1941), Frankfurt 2004.
Jens Scheiner