Rezension über:

Jörg Klinger: Die Hethiter (= C.H. Beck Wissen; Nr. 2425), München: C.H.Beck 2007, 128 S., 7 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-53625-0, EUR 7,90
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Rezension von:
Karl-Wilhelm Welwei
Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Karl-Wilhelm Welwei: Rezension von: Jörg Klinger: Die Hethiter, München: C.H.Beck 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 11 [15.11.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/11/15565.html


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Jörg Klinger: Die Hethiter

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Unser Bild von der Entstehung und vom Ende des Hethiterreiches ist nach wie vor sehr lückenhaft. Immerhin haben aber sprachgeschichtliche Forschungen ergeben, dass in Anatolien eine Zuwanderung von Bevölkerungsgruppen, die ein "Ur-Hethitisch" gesprochen haben, bereits im späten 3. Jahrtausend v. Chr. stattgefunden hat. Daher bietet Klinger einen Überblick über die Geschichte der Hethiter in einem relativ weiten Rahmen.

Im einleitenden Kapitel erörtert er die Wiederentdeckung der hethitischen Kultur, die geographischen Verhältnisse im Gebiet der Ruinen von Hattusa, die Entschlüsselung der Sprache der Hethiter und die Quellen zu ihrer Geschichte (7-30).

Es folgen ein Überblick über Entwicklungen in Kleinasien bis zur Entstehung des Hethiterreiches sowie Erläuterungen zum Wandel der politischen Konfiguration im Vorderen Orient nach der Zerstörung Babylons durch den Kriegszug des Hethiterkönigs Mursili I. 1531 v. Chr. Die Ermordung Mursilis kurz nach seinem größten militärischen Erfolg leitete freilich auch eine Phase von dynastischen Machtkämpfen im Hethiterreich ein. Bemerkenswert sind in diesem Kontext Klingers Ausführungen zur Regelung der Thronfolge bei den Hethitern. Er widerspricht einer älteren Forschungsthese, wonach unter Telipinu I. nach 1500 v. Chr. die Tradition einer angeblich matrilinearen Erbfolge durch das patrilineare Prinzip abgelöst wurde. Da die Vater-Sohn-Erbfolge bereits um 1500 die Regel war, weist Klinger mit Recht darauf hin, dass Telipinus Thronfolgebestimmung "genau auf ihn selbst zutraf" (43). Es kann natürlich keine Rede davon sein, dass der sogenannte Telipinu-Erlass "die erste Verfassung der Welt war". [1]

Relativ ausführlich behandelt Klinger die Zeit vom Ende der Herrschaft Telipinus bis zum Großreich Suppiluliumas I. unter Berücksichtigung der Entwicklung im gesamten vorderasiatischen Raum. Suppiluliuma war offenbar durch ein Verbrechen an die Macht gelangt, die er in den ersten Jahren seiner Herrschaft stabilisierte. Die Prinzipien seiner Expansionspolitik in der Folgezeit bringt Klinger auf den Punkt, indem er charakteristische Prinzipien des politischen Denkens hethitischer Dynastien aufzeigt, die bestrebt waren, Kriege möglichst nicht als erste zu eröffnen, sondern den Anschein zu erwecken, dass sie auf Aggressionen reagieren oder anderen Herrschern zu Hilfe kommen. Die faktischen Konsequenzen seien aber nicht anders gewesen als die Ergebnisse des unverbrämten Herrschaftsanspruchs assyrischer Könige (56). Vielleicht lässt sich die hethitische Praxis damit erklären, dass mögliche Verstöße gegen religiöse Tabus und damit auch der Zorn der Götter vermieden werden sollten, während die assyrische Expansion mit der Berufung auf den Hauptgott des assyrischen Pantheons gerechtfertigt wurde. Die Hethiter glaubten freilich auch, auf andere Weise ihren Feinden schaden zu können. Aus den "Pest-Gebeten" des Mursili II. geht hervor, dass der König selbst im Verlauf einer langen Seuche die Götter bat, nicht mehr den Hethitern Verderben zu bringen, sondern "Böses" in die Gebiete der Mitanni und in das Arzawa-Land zu schicken.

Die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen erörtert Klinger im 3. Kapitel (62-94). Im Mittelpunkt steht hier die Position des Königs, der seine Herrschaft direkt von den Göttern ableitete und sich ihnen gegenüber verantwortlich fühlte, aber auch infolge der Expansion der Hethiter immer mehr kultische Pflichten für das überaus umfangreiche Pantheon zu erfüllen hatte.

In einer kurzen Analyse der Literatur der Hethiter warnt Klinger vor einer Überschätzung ihrer Historiographie, da Darstellungen vermeintlich konkreter Details auch erzählerische Topoi enthalten (78). In der Skizze der hethitischen Götterwelt betont Klinger den immensen Aufwand für den täglichen Kult. Dieser Aspekt ist für die Diskussion über den Untergang des Hethiterreiches zweifellos ebenso bedeutsam wie die hohe Zahl der Funktionäre und Militärs, auf die Klinger mit Nachdruck hinweist (87). Ihre Versorgung wurde im Laufe der Zeit zweifellos zu einer schweren Belastung für das Reich, die auch durch das von Mursili II. etablierte System abhängiger Königtümer nicht abgefedert werden konnte. Allerdings scheiterte in der Schlacht bei Qadesch der Versuch des ägyptischen Herrschers Ramses II., dieses System aufzubrechen, wie Klinger in einem Überblick über die Zeit der hethitischen Großmachtpolitik von etwa 1320 bis 1270 zeigt (95-124). Fraglich ist allerdings Klingers Annahme, dass der luwische Siedlungsname Wilusa mit dem griechischen Toponym Ilios/Ilion identisch ist. [2]

Abschließend zeigt Klinger, dass das Hethiterreich keineswegs - wie man gemeint hat - "implosionsartig von der Bildfläche verschwunden" ist. [3] Zu vermuten ist vielmehr ein allmählicher Rückgang der Bevölkerung in Hattusa, dessen Ursache wohl "der Verlust der Funktion als Hauptstadt eines großes Reiches" war (118).

Der schmale Band ist historisch interessierten Lesern sehr zu empfehlen.


Anmerkungen:

[1] Dies behaupten Birgit Brandau/Hartmut Schickert: Hethiter, München 20042, 99.

[2] Vgl. Dieter Hertel: Das frühe Ilion, München 2008, 182, 186 und 225.

[3] Vgl. Michael Sommer: Der Untergang des hethitischen Reiches: Anatolien und der östliche Mittelmeerraum um 1200 v. Chr., in: Saeculum 52 (2001) 157-176, hier 175.

Karl-Wilhelm Welwei