Michael Bischoff / Hillert Ibbeken (Hgg.): Schlösser der Weserrenaissance. Castles of the Weser Renaissance, Fellbach: Edition Axel Menges 2008, 264 S., ISBN 978-3-936681-23-9, EUR 98,00
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Der Stilbegriff "Weserrenaissance" kann auf eine beachtliche Erfolgsgeschichte zurückblicken: Eher beiläufig 1912 von Richard Klapheck und Engelbert Kerckerinck zur Borg verwendet, wurde er rasch für die Baukunst des 16. und frühen 17. Jahrhunderts im Weserraum populär. Vor allem das in sechs Auflagen erschienene Werk von Herbert Kreft und Jürgen Soenke "Die Weserrenaissance" hatte hier großen Einfluss (zuletzt Hameln 1986). Wenngleich dieses Buch für das Erschließen von Objekten von großem Wert war, hatte es den Makel, dass die Autoren die Weserrenaissance als eine Volkskunst begriffen. Für sie waren die Bauten der Fürsten, Niederadeligen, Bürger und Bauern das Ergebnis landschaftsgebundenen Bauens. Diese Sichtweise verstellte den Blick auf zwei wichtige Aspekte: Zum einen den internationalen Rahmen, in dem sich die fürstliche Architektur des Weserraums bewegte, und zum anderen den überdurchschnittlich guten Erhaltungszustand der renaissancezeitlichen Bauten rechts und links der Weser, der dem wirtschaftlichen Niedergang in Folge des Dreißigjährigen Krieges geschuldet war.
Als 1986 das Weserrenaissance-Museum Schloss Brake in Lemgo gegründet wurde, ging damit ein groß angelegtes Forschungsprojekt einher, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten unsere Kenntnis der Baukunst der Renaissance im Weserraum auf ein abgesicherteres wissenschaftliches Fundament gestellt hat. Wenn nun in einem großformatigen Bild- und Textband, der sich mit der Dreiteilung: einführende Beiträge, Tafelteil und Katalog der Bauten an das Standardwerk von Kreft und Soenke anlehnt, der Schlossbau im Weserraum behandelt wird, wird man erwarten können, dass die Texte den aktuellen Forschungsstand berücksichtigen, ja ihn teilweise sogar weiterentwickeln. Um es vorweg zu sagen, die Publikation enttäuscht die in sie gesteckten Erwartungen nicht.
Hillert Ibbeken war Professor für Geologie in Berlin. Ihn fasziniert seit langem der in Obernkirchen an der Weser gebrochene Sandstein. Aus diesem Material sind zu einem großen Teil die Bauten der Weserrenaissance errichtet. So hat er sich mit der Kamera bewaffnet den Schlossbauten der Weserrenaissance genähert. Entstanden sind beeindruckende Aufnahmen, überwiegend in Schwarz-Weiß, die in ihrem unbestechlichen und unprätentiösen Blick an die Fotokunst des Ehepaars Bernd und Hilla Becher erinnern. Diese zeitlos wirkenden Aufnahmen stehen im Zentrum des Bandes (64-241). Zu begrüßen sind die eingestreuten Farbaufnahmen, meist von Baudetails und Innenräumen, die weit über das von Kreft und Soenke vorgelegte Bildmaterial hinausgehen. Die Beschränkung auf den Schlossbau ist dabei nur folgerichtig. Die Bauten des hohen und niederen Adels waren die seinerzeitige Avantgarde, während die Verwendung ähnlicher Schmuckformen in der bürgerlichen und bäuerlichen Architektur als herabgesunkenes Kulturgut zu verstehen sind.
Der Band beginnt mit einer Überblickskarte des Weserraums, der im Hinblick auf die behandelten Orte im Süden begrenzt wird von Eschwege, im Westen von der Schelenburg, im Norden von Thedinghausen und im Osten von Wolfsburg. Die meisten Bauten konzentrieren sich bezogen auf den Flusslauf der Weser zwischen Hannoversch Münden im Süden und Petershagen im Norden.
Nach dem gemeinsamen Vorwort der Herausgeber, das kurz die Konzeption des Bandes vorstellt, wirft Michael Bischoff die Frage auf "Weserrenaissance - was ist das?". Er umschreibt das Gebiet und gibt einen kurzen historischen Abriss. Ausgehend von der Begriffsgeschichte erläutert er die aktuelle Sichtweise auf die Renaissancearchitektur des Weserraums und ihr charakteristisches Erscheinungsbild, das u.a. von Rund- und Schweifgiebeln geprägt wird. In bewusster Abgrenzung zu Kreft und Soenke betont Bischoff, der wissenschaftlicher Mitarbeiter am Weserrenaissance-Museum Schloß Brake ist, "den Blick für die überregionalen Bezüge" der frühneuzeitlichen Architektur des Weserraums (12).
Uwe Albrecht gibt einen konzisen Überblick zur "Frühneuzeitliche[n] Residenzarchitektur zwischen Weser und Elbe" (14-21). Die Begriffe "Erscheinungsbild, Geschichte, Funktion" im Untertitel seines Beitrags geben an, dass es hier nicht um die Genese von Form und Stil geht, sondern darum, wie sich durch wandelnde Anforderungen an die Funktion die Struktur und das Erscheinungsbild von Architektur ändern. So ist es der Ausdifferenzierung des fürstlichen Hofes geschuldet, dass sich das Raumprogramm der Schlossbauten immer stärker binnendifferenzierte. Gerade der dem Weserraum benachbarte mitteldeutsche Raum war diesbezüglich ein Innovationsgebiet, das durch neuere Forschungen genauer zu fassen ist.
Hieran knüpft Julian Jachmann an, der die "Schlossbauten des Niederadels" unter den Schlagworten "Söldnerführer und Agrarunternehmer" vorstellt (22-27). Er geht einerseits darauf ein, wie der Niederadel in den kriegerischen Auseinandersetzungen der Jahrzehnte um 1600 erfolgreich als Söldnerführer agierte und andererseits von dem Getreideüberschuss des Weserraums profitierte. Es war deshalb nur folgerichtig, dass der Niederadel sich bei seinen Bauten an den fürstlichen Residenzen orientierte.
Einen anderen Ansatz in der Analyse der fürstlichen Architektur verfolgt Heiner Borggrefe, indem er sich der Ornamentik der frühen Renaissanceschlösser zuwendet (28-35). Er sieht eine enge Verknüpfung von bestimmten Ornamentformen und dem Hofzeremoniell als gegeben an. Zudem wendet er sich der Frage zu, woher sich die charakteristischen Rundgiebel der frühen Weserrenaissance herleiten. Mit den Bauten der Grafen von Mansfeld kann er einen interessanten Fingerzeig geben.
G. Ulrich Großmann wendet sich "Architektur und Ornamentik zwischen 1550 und 1620" zu (36-41). Durch die Verbreitung druckgrafischer Vorlagen, beispielsweise von Hans Vredeman de Vries, normierte sich in gewisser Weise die nordeuropäische Renaissancearchitektur, wobei sich vor allem niederländische Architekturvorstellungen verbreiteten.
Den Blick hinter die Schlossfassaden wirft Thomas Fusenig. Er stellt "Kunst und Bildung an den Höfen im Weserraum" vor (42-51). Besondere Strahlkraft für die Höfe hatte dabei die rudolfinische Hofkunst in Prag. Herausragende Beispiele sind hier die Arbeiten des Hofbildhauers Kaiser Rudolfs II., Adriaen de Vries, für Fürst Ernst von Schaumburg-Lippe in Bückeburg und Stadthagen.
Neben den landwirtschaftlichen Produkten war der Handel mit Obernkirchener Sandstein für den Weserraum wichtig, wie Rolf Schönlau mit seiner "kleine[n] Wirtschaftsgeschichte" zeigt (52-57). Ganze Fassaden wurden in Obernkirchen geschaffen und über die Weser nach Bremen und dann über die Nordsee in die Niederlande geliefert.
Den Schlusspunkt des Reigens der einführenden Beiträge setzt Hillert Ibbeken, der die Entstehung und Beschaffenheit des Obernkirchener Sandsteins beschreibt (58-63). Der Text ist nicht ganz frei von Pathos und macht deutlich, dass der Zugang für Ibbeken über das Steinmaterial zu den Bauten ein durchaus emotionaler ist. Seine nachvollziehbare Begeisterung hat uns hervorragende Architekturfotografien beschert.
Der Band wird abgerundet durch den von Katja Schoene und Michael Bischoff bearbeiteten Katalog der Schlossbauten (242-257) sowie ein ausführliches Literaturverzeichnis, das den Weg zu einer vertiefenden Beschäftigung mit dem Thema weist. Die fotografisch dokumentierten und beschriebenen Schlösser sind im einzelnen: Barntrup, Baum (Portale aus Bückeburg im Schlosspark), Bevern, Brake (Lemgo), Bückeburg, Celle, Detmold, Eschwege, Hämelschenburg, Hannoversch Münden, Hehlen, Neuhaus, Neustadt am Rübenberge ("Landestrost"), Petershagen, Schelenburg, Schwöbber, Stadthagen, Thedinghausen (sogenannter Erbhof), Thienhausen, Uslar ("Freudenthal", Ruine), Varenholz, Wendlinghausen, Wewelsburg, Wolfenbüttel und Wolfsburg.
Die konsequente Zweisprachigkeit des Buches (deutsch - englisch) lässt auf eine internationale Rezeption der gediegenen Darstellung hoffen. Ein Wermutstropfen aus architekturhistorischer Sicht ist, dass im Katalog der Bauten die grafisch einheitlich gestalteten Grundrisse ohne Maßstab auskommen müssen.
Guido von Büren