Virginie Spenlé: Die Dresdner Gemäldegalerie und Frankreich. Der "bon goût" im Sachsen des 18. Jahrhunderts, Beucha: Sax-Verlag 2008, 344 S., ISBN 978-3-86729-028-9, EUR 38,00
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Konstanze Krüger (Hg.): Dresdener Kunstblätter 52 (2009), Nr. 1. Über die Geschichte der Dresdner Gemäldegalerie im Stallgebäude im 18. Jahrhundert, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2009, 100 S., ISSN 0418-0615, EUR 5,00
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Es gibt Veröffentlichungen, die unerwartet Freude bereiten. Mit ihrer im Sax Verlag publizierten Dissertation Die Dresdner Gemäldegalerie und Frankreich setzt sich Virginie Spenlé mit der transnationalen Entstehungsgeschichte einer der bedeutendsten musealen Institutionen Europas im 18. Jahrhundert auseinander: der kurfürstlichen Gemäldegalerie in Dresden. Dort wurden nicht nur hervorragende, in ganz Europa durch ein internationales Netzwerk von Agenten angekaufte Gemälde der italienischen und niederländischen Schule bzw. geerbte Sammlungen aus Wien und Prag versammelt und öffentlich ausgestellt. Die Galerie war auch in theoretischer und konzeptueller Hinsicht, so Spenlés These, das Produkt eines höchst intensiven Kulturtransfers zwischen Frankreich und Sachsen.
Bei der jüngsten Ausgabe der Vierteljahresschrift der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden geht es ebenfalls um die frühe Geschichte der prominenten Institution. Hier signalisieren bereits die Abbildungen auf dem Cover und der Rückseite des schmalen Heftes, warum es so außergewöhnlich und begeisternd ist. Zu sehen ist ein Holzmodell auf der Titelseite, wunderbar detailliert: die wohlbekannte Fassade der Gemäldegalerie mit ihrem charakteristischen Tympanonrelief, den hohen Fenstern und der großzügigen Freitreppe, wie sie aus Gemälden und Stichen des 18. Jahrhunderts bekannt ist; auf der Rückseite: eine durch die Fenster durch gesehene, grünbespannte Gemäldewand, wie man sie (gleichsam als Fassadenkletterer der 1760er-Jahre) hätte erblicken können. Eine voyeuristische Freude in gulliverischem Sinne, die sich im Inneren des Heftes übrigens fortsetzt: die Gemäldegalerie ist hier (2, 42) auch ohne Dach zu sehen, so dass man aus der Höhe hinein in die ineinander verschränkten Säle schauen kann, in jene Galerien also, die von so ungezählten Reisenden des 18. und frühen 19. Jahrhunderts beschrieben wurden, von denen es aber so gut wie keine bildliche Darstellung gibt.
Für die europäischen Gelehrtenkreise des 18. Jahrhunderts war die deutsche Museumslandschaft ebenbürtig mit der italienischen. Neben Düsseldorf, Mannheim und Wien spielte Dresden eine zentrale Rolle. Hier schrieb der große französische Kunstmäzen Pierre Bergeret 1774: "Man muss jeden Morgen ab 8 Uhr immer wieder die Galerien besichtigen [...]. Sie sind eine unerschöpfliche Quelle für die Künstler und Liebhaber, die ja viel Zeit in Italien verlieren - natürlich muss man dieses Land gesehen haben, aber mit mehr Leichtigkeit, um sich dann in die schönen Galerien von Dresden, Düsseldorf und Mannheim zu stürzen". [1] Es mag paradox klingen: Der hohe Bekanntheitsgrad der Dresdner Gemäldegalerie im 18. Jahrhundert steht in krassem umgekehrtem Verhältnis zu unserer gegenwärtigen Kenntnis ihrer Räumlichkeiten, der kunsthistorischen Prinzipien, die ihr zugrunde lagen und der Soziologie ihrer Besucher. Umso erfreulicher sind also die vorliegenden Publikationen.
Spenlés Studie verfolgt folgende Fragen: Waren französische Kunstsammlungen bei der Präsentation und Funktionszuweisung der Dresdner Gemäldegalerie vorbildlich? Spielte Versailles für Dresden überhaupt eine Rolle? Reagierte man in Dresden mit der Eröffnung der Gemäldegalerie auf museumstheoretische Debatten in Frankreich? Welche war die Bedeutung des Pariser Kunstmarkts für den Ausbau der kurfürstlichen Sammlungen? Die Antworten sind in drei thematisch angelegte Teile geordnet: Im ersten Block ("'Eine nötig schöne Hofzirde' oder die fürstliche Gemäldegalerie: ein französisches Modell", 20-108) analysiert die Verfasserin in vergleichender Perspektive die typologische und funktionsgeschichtliche Stellung der Dresdner Gemäldesammlung und der damit zusammenhängenden Publikationen im europäischen Kontext des 17. und 18. Jahrhunderts. Der zweite Abschnitt ("Von der Kunsthandlung zur öffentlichen Versteigerung. Die Bilderkäufe der Wettiner auf dem Pariser Kunstmarkt", 109-204) baut auf die Ergebnisse einer 2001 in Dijon gezeigten Ausstellung, Dresde ou le Rêve des Princes, [2] auf, an der die Autorin intensiv beteiligt war. Er bringt vor allem neue Erkenntnisse zum Erwerb französischer Kunst in Paris, zu den grenzüberschreitenden Marktmechanismen des 18. Jahrhunderts und zu den wichtigen Kunstagenten (Raymond Leplat, Karl Heinrich von Hoym, Samuel de Brais, Hyacinthe Rigaud), die zwischen Paris und Dresden sowohl mit Nachrichten als auch mit Objekten handelten. Der dritte und letzte Teil ("Von der fürstlichen Gemäldegalerie zum öffentlichen Museum: die Kunstkennerkreise in Paris und in Dresden", 205-279) widmet sich der in Dresden frühzeitig und rege erfolgten Rezeption der französischen Debatten um die Öffentlichkeit der Kunst. Auch wenn die These der vorbildlichen Funktion Frankreichs für Dresden nicht durchgehend zu überzeugen vermag - schließlich brillierte Frankreich bis 1793, ja bis zur Eröffnung der Grande Galerie (1799) und des Musée des Antiques (1801) im Louvre, vor allem durch die totale Rückständigkeit seiner Museumslandschaft - liefert Spenlés Studie einen wichtigen Beitrag zur "entangled history", zur transnationalen Geschichte von Museen, die sonst immer noch zu oft als nationale Angelegenheit behandelt werden.
Im Mittelpunkt der neuen Ausgabe der Dresdner Kunstblätter - als Themenheft hätte sie vielleicht einen eigenen Titel verdient - steht das eingangs erwähnte Holzmodell der Dresdener Gemäldegalerie im Maßstab 1:50 mit der wunderbaren Rekonstruktion der Gemäldehängung von 1765. Geschaffen 2008 auf Martin Schusters Initiative als Abschiedsgeschenk für Harald Marx, dem langjährigen Direktor der Gemäldegalerie, ist dieses Modell nicht nur das hervorragende Ergebnis der fruchtbaren wissenschaftlichen Zusammenarbeit einer geschickten Architektin (Grit Mußack) mit Architektur- und Sammlungshistorikern. Es ermöglicht darüber hinaus das Museum, wenn auch in verjüngtem Maßstab, als genuin räumliches rezeptionsgeschichtliches Phänomen erfahrbar zu machen: Ästhetische Emotionen und kunsthistorische Narrationen entstehen ja und entstanden erst recht im 18. Jahrhundert nicht in abstrakten Räumen sondern in jenen literarisch so oft besungenen "Tempeln der Kunst", von denen wir uns heute in den meisten Fällen (Düsseldorf, Wien, Mannheim, München - aber auch Louvre etc.) kaum einen räumlichen Begriff machen können, so spärlich, verstreut und "flach" sind die Quellen (Grundrisse, Hängepläne, Verzeichnisse), die für diese vorfotografische Zeit eine Rekonstruktion ermöglichen. Man kann also die eindrucksvolle Arbeit von Tristan Weddigen nicht genug rühmen, der mit akribischer Genauigkeit und wissenschaftsgeschichtlichem Scharfblick die Dresdner Gemäldehängungen rekonstruiert und mit Hilfe einer 3D-Software sowie (noch überzeugender) des sinnlichen Holzmodells erfahrbar gemacht hat. Ein weiteres Verdienst des vorliegenden Heftes ist es, auf engstem Raum eine beeindruckende Summe neuer Erkenntnisse und z.T. unveröffentlichter Quellen zum engen Verhältnis zwischen dem historischen Gebäude und den Sammlungen, die er seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert sukzessive beheimatete, nicht nur exzellent zu erörtern (vgl. die Aufsätze von Esther Münzberg, Gernot Klatte und Marc Rohrmüller zur Bau- und Funktionsgeschichte des Gebäudes im 16., 17. und 18. Jahrhundert), sondern auch in Zusammenhang mit der Frage des Publikumsverkehrs (Virginie Spenlé, Matthias Dämmig) und der kunstwissenschaftlichen, "papierenen" Präsenz der Sammlung im internationalen Bewusstsein (Martin Schuster) zu bringen.
Wie und mit welchen Folgen wurden in der Vergangenheit (und übrigens heute noch) kunsthistorische Narrationen und ästhetische Kanons museal konstruiert, transformiert und rezipiert? Beide - das große Modell samt Begleitheft und die Monografie von Virginie Spenlé - liefern kostbare Hinweise zur Beantwortung der Frage. Sie weisen (Spenlé) auf die Notwendigkeit einer transnationalen Sicht auf die Institution Museum als privilegiertem Ort komplexer grenzüberschreitender Befruchtungen. Sie laden uns auf wunderbar sinnliche Weise ein (Martin Schuster und Team), das Museum mit seinem genuin räumlichen Bezug zu authentischen Werken als Labor einer ganz spezifischen Wissensgenerierung über Kunst und Kunstwerke zu verstehen.
Anmerkungen:
[1] Pierre-Jacques-Onésyme Bergeret de Grancourt: Bergeret et Fragonard. Journal inédit d'un voyage en Italie, 1773-1774, Paris 1895, 410.
[2] Harald Marx (éd.): Dresde ou le Rêve des Princes. La galerie de peinture au XVIIIe siècle, Ausstellungskat., Dijon 2001.
Bénédicte Savoy