Rezension über:

Hildegard K. Vieregg: Geschichte des Museums. Eine Einführung, München: Wilhelm Fink 2008, 343 S., ISBN 978-3-7705-4623-7, EUR 39,90
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Bernd Blisch
Stadtmuseum Wiesbaden
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Bernd Blisch: Rezension von: Hildegard K. Vieregg: Geschichte des Museums. Eine Einführung, München: Wilhelm Fink 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 2 [15.02.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/02/16171.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Hildegard K. Vieregg: Geschichte des Museums

Textgröße: A A A

Das hier zu besprechende Werk möchte in die "Geschichte des Museums und seine Entwicklungsstufen bis zur Gegenwart" einführen, wenngleich die Autorin, die langjährige Mitarbeiterin der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und ehemalige Präsidentin des International Committee for Museology, Hildegard Vieregg, schon in der Einleitung ihr Vorhaben wieder relativiert, indem sie schreibt, es gehe nur "um einen ersten Überblick". Von einer "Einführung", noch dazu, wenn verfasst von einer ausgewiesenen Kennerin sowohl der Museumslandschaft als auch der Vermittlung der Museologie - Vieregg kann auf eine internationale Lehrtätigkeit verweisen -, darf der zu einer Einführung greifende Leser, also Studierende in den ersten Semestern oder auch der interessierte Laie, mit Fug einen Überblick über die zentralen Entwicklungen der Museumslandschaft sowie eine genaue Kenntnis der aktuellen Forschung erwarten, was ihn in den Stand zu setzen vermag, Wichtiges von Unwichtigem zu scheiden. Vor allem sollte man ihm eine ordnende Struktur anbieten, was eben mehr sein sollte, als sich lediglich in endlosen Auflistungen zu erschöpfen.

Betrachtet man das Inhaltsverzeichnis, so scheint auf den ersten Blick eine Struktur, wenn auch eine etwas simple, erkennbar: Ein erster Teil des rund 350 Seiten umfassenden Werkes verspricht einen weltweiten Überblick über die Museumsgeschichte, ein zweiter will sich mit der Museumstypologie befassen, Teil drei schließlich die kulturgeschichtlichen Museen und Kunstmuseen (wiederum unterteilt in historische Museen, kulturgeschichtliche Museen und Kunstmuseen), ein vierter Teil die Museen der Naturwissenschaften, Natur- und Technikgeschichte vorstellen. Teil fünf kündigt eine Übersicht über die Geschichte des Museums an, gefolgt von einer Literaturübersicht und einem Sach- und Personenregister.

Allein, was das Inhaltsverzeichnis verspricht, hält das Buch bei Weitem nicht. Der "weltweite" Überblick reduziert sich bei genauerem Hinsehen auf den Versuch einer europäischen Museumsgeschichte in neun Kapiteln und einen mehr oder weniger großen Appendix aus drei unterschiedlich langen (eher: kurzen) Artikeln zur Museumsgeschichte in den USA, Australien und Asien. Asien reduziert sich dabei auf die Beispiele "Indien, Südkorea und China", wobei auf den knapp fünf Seiten eigentlich nur Indien beschrieben wird. Die "Beispiele Südkorea und China" werden in 11 Zeilen (!) abgehandelt. Der Artikel über Amerika ist biografisch angelegt und schildert die Museumsgeschichte der USA am Beispiel von ausgewählten Museumspionieren bzw. -gründern: Ein Methodenwechsel, der grundsätzlich durchaus interessant erscheint, im Zusammenhang dieses Buches allerdings eher wie ein bereits an anderer Stelle geschriebener und nun hier übernommener Teil wirkt.

Der ganze erste Teil, auch die neun Abschnitte zur europäischen Museumsgeschichte, erweckt insgesamt den Eindruck von Uneinheitlichkeit und vor allem Beliebigkeit. Dass z.B. den "Persönlichkeiten des Jesuitenordens" ein eigenes Kapitel gewidmet ist, scheint eher der Lehrtätigkeit der Verfasserin an der Jesuitenhochschule in München geschuldet als deren Bedeutung (gemessen an dem Umfang von 50 Seiten für den Zeitraum von der Antike bis zur Gegenwart). Das Gleiche ließe sich für das 20. Jahrhundert sagen, in dem, wie auch schon andere Rezensenten vermerkten, auf mehreren Seiten die deutschen Museumsentwicklungspläne beschrieben werden - was nicht grundsätzlich falsch sein muss, allerdings hier unverhältnismäßig erscheint.

Die Verfasserin suggeriert zwar stets eine offenbar gewollte Beliebigkeit durch ein unverbindliches "Zur", das sie den Kapiteln jeweils voranstellt ("Zur Museumsgeschichte in Europa", "Zur Museumsgeschichte Asiens" usw.), doch widerspricht dies diametral der Intention des Buches, eine "Geschichte des Museums" zu sein und nicht nur Aspekte seiner Geschichte zu liefern.

Nicht weniger kritisch sind die weiteren Teile des Werkes zu sehen. Der zweite Hauptteil des Buches "Zur Museumstypologie" entpuppt sich weniger als eigenständiger Beitrag zum Buch als vielmehr als ein Einleitungskapitel zum dritten und vierten Hauptteil, der Beschreibung von kulturgeschichtlichen Museen, Kunstmuseen sowie Museen der Naturwissenschaften, Natur- und Technikgeschichte. Alle drei Teile wiederum in einer kaum zu überbietenden Beliebigkeit. Wie auch schon im ersten Hauptteil finden die "Leistungen" der Jesuiten in Südamerika über Gebühr Beachtung (10 Seiten und weitere 15 Seiten über die Bewahrung der katholischen Ordenskultur der Frühneuzeit in Südamerika). Zum Vergleich: Das Kapitel über "Klassische Historische Museen" umfasst eine volle Seite, wovon 5 Zeilen dem Deutschen Historischen Museum in Berlin, der Rest dem Stadtmuseum von Peking gewidmet sind. Apropos "Deutsches Historisches Museum": Wie viel hätte man dazu sagen können, vor allem auch Kritisches über die Dauerausstellung. [1] Wie gut könnte man exemplarisch an einem solchen Museum und seinem Versuch, die Geschichte der Nation aus- und darzustellen, zeigen, welche Entwicklungen der Typ "Historisches Museum" im 20. Jahrhundert genommen hat. Die Verfasserin verwendet eine Zeile, um es als "bedeutendstes" historisches Museum Deutschlands zu beschreiben (freilich ohne anzumerken, worin seine Bedeutung liegt), zwei Zeilen, um den Architekten des Anbaus zu beschreiben (Ieoh Ming Pei), und zwei weitere Zeilen, um aus dem Internetauftritt des Hauses zu zitieren, dass es "Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen" darstelle.

Der Gipfel der Unverfrorenheit ist die Übersicht über die Kunstmuseen. Das Kapitel umfasst 1,5 Seiten. Nach einer halbseitigen Auflistung der Kunstmuseen in Florenz und Rom folgt unter "Weitere Beispiele sind" eine Seite mit Aneinanderreihungen von Namen weiterer Kunstmuseen (mit der jeweiligen Nennung des Gründungsjahres in Klammern).

Auf weiteren 50 Seiten bringt dann der fünfte Hauptteil des Buches eine tabellarische Übersicht zu "Geschichte des Museums". In den Spalten "Jahresangaben", "Sammlungen", "Persönlichkeiten", "Werke" und "Weiteres" wird alles, was zwischen 1800 vor Christus und 2009 irgendwie mit Museum zu tun hatte, von der Verfasserin in ihr Schema gepresst. Als Beispiel die Spalte "Persönlichkeiten": Mal werden die Fürsten oder Mäzene genannt, die den Bau finanzierten oder angeregt haben, mal werden die Architekten genannt, mal stehen nur Namen - ohne jeden Hinweis auf die Beziehung zum unter "Sammlungen/Bezeichnungen" genannten Projekt. Beim Museum Brandhorst z.B. wird erwähnt, dass Udo und Anette Brandhorst Mäzene sind, der Name der Architekten fällt unter den Tisch. Beim Museum der Sammlung Würth in Erstein wird anscheinend vorausgesetzt, dass man den Sammler Reinhold Würth kennt, denn er findet keine Erwähnung. Dafür werden hier allerdings, quasi zum Ausgleich, die Architekten genannt.

Auch der Museumsbegriff der Verfasserin scheint ein sehr weiter zu sein. Für das Jahr 2007 taucht zwischen der Wiedereröffnung des Prado in Madrid, des Grassi Museums in Leipzig oder dem Jüdischen Museum in München (hier steht das Architektenteam auf einmal nicht unter "Persönlichkeiten", sondern unter "Werke") die Eröffnung des "Creation Museum" in Petersburg/Cincinnati auf, das die Erschaffung der Erde gemäß der biblischen Überlieferung anschaulich belegen will.

Noch nicht gesprochen wurde über die zahlreichen Fehler und Schlampigkeiten des Buches, wobei dem Rezensenten nicht klar ist, ob dies eher der Verfasserin oder dem Lektorat des Verlags angelastet werden sollte: Die falsche Bildunterschrift auf Seite 169 (der Poesie-Automat von Hans Magnus Enzensberger, Dauerleihgabe der Sammlung Würth an das Marbacher Literaturmuseum, ist ein interaktives (Kunst-)Objekt des Museums, aber beileibe keine interaktive Möglichkeit, das Museum zu erkunden) ist sicher eher der Autorin geschuldet, die Kapitelüberschrift "1.9. Wegweisende und Einflüsse im 20. Jahrhundert" geht sicher eher zu Lasten des Lektors (fehlt nun ein Wort oder ist ein "und" zu viel?) Beide haben sicher versagt, wenn man die Seiten 76f. und 259f. miteinander vergleicht. 14 Zeilen wortgleicher Text, hier wie da. Peinlich!

Alles in allem: Die Verfasserin, die wertvolle Verdienste um das Museumswesen in Deutschland und auch international besitzen mag, hat sich mit diesem Buch wahrlich keinen Gefallen getan. Als eine Einführung in die Geschichte des Museums taugt es schwerlich.


Anmerkung:

[1] Jürgen Kocka: Ein chronologischer Bandwurm. Die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums, in: Geschichte und Gesellschaft 32 (2006), 398-411.

Bernd Blisch