Jan Konst / Inger Leemans / Bettina Noak (Hgg.): Niederländisch-Deutsche Kulturbeziehungen 1600-1830 (= Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung; Bd. 7), Göttingen: V&R unipress 2009, 381 S., mit 7 Abbildungen, ISBN 978-3-89971-550-7, EUR 49,90
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Andreas Rutz (Hg.): Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568-1714, Göttingen: V&R unipress 2015
Der Sammelband basiert auf einer Tagung über "Niederländisch-deutsche Literaturbeziehungen" vom Mai 2007 in Berlin, zwecks Erweiterung der Leserschaft ersetzten die Herausgeber dann das Substantiv im Titel durch "Kulturbeziehungen". Die deutsch-niederländischen Literaturbeziehungen seien bislang wenig erforscht, so hatte Seymour Flaxman 1970 verlautbart, das Desiderat bestehe fort - so die Herausgeber - bis auf das 17. Jahrhundert, das seitdem intensiver untersucht worden sei. Der vorliegende Band sollte denn auch dieses "goldene" Zeitalter der Niederlande zum vorrangigen Gegenstand haben, doch dominieren Betrachtungen zum anschließenden Aufklärungssäkulum.
Im ersten von vier Hauptteilen, "Selbstbild und das Bild des Anderen", konstatiert Guillaume van Gemert, dass das Bild, das sich die Deutschen von den Niederländern im 17. und 18. Jahrhundert machten, bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts eine negativere Eintrübung erhielt, nicht erst um 1750, wie der Topos vom "imagologischen Wendepunkt" bislang nahegelegt hatte. Dieter Heimböckel fragt, auf welche Weise das negative Niederlandebild um 1800 mit Nicht-Wissen und Nicht-Wissen-Wollen der Deutschen zusammenhängt. Arie Jan Gelderblom stellt anhand der 1808 unternommenen Reise eines friesischen Pfarrers in die Niederlande fest, dass dieser sich kaum für die damaligen Landesverhältnisse interessiert, sondern vor allem für aufklärerische Idealvorstellungen über den historischen Zusammenhang zwischen Friesen und Ostfriesen. Lotte Jensen richtet den Blick von den Niederlanden auf die "Deutschen" und arbeitet heraus, dass die Westfalen als angrenzende Bevölkerungsgruppe mit dem übermäßigen Genuss von Alkohol, Wurst sowie mit geringer Intelligenz in Verbindung gebracht wurden. Jan Oosterholt legt dar, dass im 19. Jahrhundert das Fremdbild vom saufenden Deutschen teilweise ersetzt wurde durch den schwärmerischen und düsteren Mystiker, wie er sich in zahlreichen Werken der deutschen Dichtkunst inszenierte.
Der zweite Hauptteil handelt von "Wechselwirkungen in Literatur und Literaturbetrieb". Kai Bremer problematisiert Begriffe wie "Rezeption" und "Einfluss" und betont am Beispiel der Rezeption der niederländischen Hohelied-Kontroverse, dass regionale, soziale und religiöse Verortungen innerhalb der eigenen Gesellschaft im 17. Jahrhundert wichtiger waren als die Dichotomie "niederländisch" oder "deutsch", die der späteren Rezeptionsforschung unterlegt wurden. Jörg Jungmayr kann ein fortdauerndes Interesse an deutschen Übersetzungen von Werken Jacob Cats' noch im 18. Jahrhundert nachweisen, was gegen durchgängige Ignoranz der deutschen Leserschaft gegenüber den Niederlanden spricht. Dirk Niefanger untersucht die Bedeutung einer "niederländischen" Theaterspielweise für die deutschen Bühnen des Aufklärungsjahrhunderts am Beispiel der Theatergruppe des Jan Baptist van Fornenbergh, der in Johann Rists "Monatsunterredungen" 1666 wegen der beeindruckenden Körperpräsenz und des gemütsbewegenden Spiels gepriesen wurde. Kornee van der Haven beobachtet ein wechselseitiges Nichtinteresse des Theaterschaffens in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wofür die gleichmäßige Orientierung in Deutschland und den Niederlanden an Frankreich und Italien verantwortlich zu machen sei. Einzelne aktive Vermittler wie der Diplomat Johan Jacob Mauritius konnten daran wenig ändern. Maria-Theresia Leuker analysiert anhand von zwei Romanen von Elisabeth Maria Post und Sophie von la Roche die zeitgleichen Debatten in beiden Ländern zur "Empfindsamkeit".
Der dritte Hauptteil untersucht "Wissensvermittlung und Ideentransfer" und korrigiert die bisherige Vermutung, Deutschland habe sich von dahingehenden Prozessen der Niederländer im 18. Jahrhundert völlig abgewandt. Viktoria Franke stellt im Spiegel der "Allgemeinen Literatur-Zeitung" in Jena (ab 1785) die Entstehung der niederländischen Presseöffentlichkeit im 18. Jahrhundert mit der zeittypischen Schwerpunktsetzung auf politische, religiöse und moralische Aufklärung vor. Auch macht sie einige Vermittler zwischen dem deutschen und niederländischen Pressewesen namhaft. Annemarie Nooijen rückt die "Betoverde Weereld" von Balthasar Bekker (erstmals 1691-93, neu ins Deutsch übersetzt 1781/82) in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen, um dadurch die gleichzeitigen Bemühungen in beiden Ländern zur Bekämpfung des Aberglaubens aus der Sicht des neologischen Protestantismus zu dokumentieren. Astrid Ackermann wendet sich einer anderen Paralleldebatte zu: die Diskussion über den Geschmack. In zahlreichen Medien wurde hierüber diskutiert, wobei eine nationale Ausrichtung mit Abgrenzungsbestrebungen insbesondere über den andersartigen Geschmack in Frankreich und England zu beobachten ist. Annemieke Kouwenberg wendet sich der Aufklärungsgesellschaft "Maatschappij tot Nut van 't Algemeen" zu, die an der praktischen Umsetzung philanthropischer Erziehungskonzepte arbeitete und auch in Deutschland rege rezipiert wurde. Matthias Luserke-Jaqui zeigt anhand von Friedrich Schillers Monografie zum niederländischen Aufstand, wie aus einem Thema der Nationalgeschichte eines zum weltweiten Kampf zwischen Freiheit und Despotie wurde, ohne allerdings in den Niederlanden breite Rezeption zu erfahren. Stefan Goldmann arbeitet den Spätaufklärer Rijklof Michael van Goens auf, der nicht nur Moses Mendelssohn ins Niederländische übersetzte, sondern auch naturwissenschaftliche Publikationen vorlegte, die heute in die fachliche Zuständigkeit der Psychologie fielen. Goens betrieb dabei ein europaweites Korrespondenznetzwerk.
Im vierten Hauptteil wird die "Übersetzung als Vermittlungsinstanz" ins Zentrum gerückt. Dabei dominierten erwartungsgemäß städtische und protestantische Zentren, insbesondere Universitäts- oder Verlagsstädte. Nach 1750 trat eine zunehmende Professionalisierung der Übersetzungstätigkeit ein. André Hanou demonstriert am Beispiel des unitaristischen Romans "The Life of John Buncle" von Thomas Amory, dass eine kontroverse Debatte zwischen Theologen und Verlegern in Deutschland und den Niederlanden um die Übersetzung des Werkes ausgetragen wurde. Am Ende setzten sich die Orthodoxen in beiden Ländern durch und erreichten ein Verbot. Jeroen Salman untersucht niederländische Kinderliteratur und verortet sie im Spannungsfeld nationaler, religiöser und pädagogischer Grundorientierungen, was die Produzenten stets dazu zwang, zu lavieren. Inger Leemans stellt den Professionalisierungsprozess der Übersetzertätigkeit ab ca. 1750 vor, wobei die Verleger die Literaten mehrheitlich aus diesem Markt verdrängten. Dabei wurde seriell vom Deutschen ins Niederländische übersetzt, wohingegen deutsche Übersetzungen aus dem Niederländischen meistens von individuellen Initiativen abhängig blieben. Lothar Jordan erklärt die Standardvorstellung vom vermeintlichen deutschen Desinteresse an den Niederlanden im 19. Jahrhundert für überholt. Mehrere deutsche Sammelbände niederländischer Poesie aus dem 17. und 18. Jahrhundert beweisen im Gegenteil fortdauernde Beachtung. Mittler und Verleger in den Grenzregionen waren für dieses Interesse verantwortlich, besonders dann, wenn sie persönliche Beziehungen in beide Länder unterhielten.
In zahlreichen Beiträgen wird deutlich, dass eine Fixierung auf "nationale" Kulturen und ihre geschlossenen Wahrnehmungen überholt ist. Stattdessen betonen die Teilnehmenden, wie notwendig die vergleichende Untersuchung ähnlich gelagerter kultureller Prozesse in mehreren Ländern des 18. und 19. Jahrhunderts ist. Dazu sollte der Literaturbegriff ausgedehnt werden von poetischen und fiktionalen Texten auf politische, theologische und naturwissenschaftliche Werke. Weiterhin sollten Untersuchungen zum wechselseitigen Wissens- und Kulturtransfer erfolgen, insbesondere zu bislang noch unbekannten oder unbeachteten Herausgebern, Übersetzern und anderen Vermittlern. Auch Personen, die nicht zur ersten Garde der Kulturträger gehörten, verdienen unter dieser Perspektive Beachtung. Bei der Vielzahl der genannten Personen wäre ein Namensregister wünschenswert gewesen.
Johannes Arndt