Rezension über:

David Knight: The Making of Modern Science. Science, Technology, Medicine and Modernity 1789-1914, Cambridge: polity 2009, XII + 370 S., ISBN 978-0-7456-3676-4, GBP 17,99
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Rezension von:
Jürgen Schmidt
Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Schmidt: Rezension von: David Knight: The Making of Modern Science. Science, Technology, Medicine and Modernity 1789-1914, Cambridge: polity 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 2 [15.02.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/02/17250.html


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David Knight: The Making of Modern Science

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In seiner zu knapp geratenen Einleitung listet David Knight, einer der wichtigsten Vertreter der britischen Wissenschaftsgeschichte, in Form eines Literaturberichts die Fallen auf, in die Wissenschaftsgeschichte tappen kann und getappt ist. Sie verstrickte sich in endlosen Debatten darüber, ob wissenschaftlicher Fortschritt auf endogenen oder exogenen Faktoren beruhte: Brachten Wissenschaftler, basierend und aufbauend auf den Erfahrungen (und Fehlern) ihrer Vorgänger, ihre Disziplinen voran oder waren es nicht vielmehr ökonomische, politische und gesellschaftliche Faktoren, die zur Weiterentwicklung des Faches beitrugen?

Wissenschaftsgeschichte konnte zu einer bloßen "Whig"-Geschichte verkommen, einer Geschichte des ewigen Erfolgs, getragen von dem festen Glauben "that things are getting better and better, and the past is viewed through the eyes of the present" (2). Wissenschaftsgeschichte konzentrierte sich auf die großen Erfinder und vergaß die Bedeutung von Strukturen und Institutionen. Andererseits konnte eine Wissenschaftsgeschichte, die sich auf die Popularisierung der Disziplinen konzentrierte, die Bedeutung der Protagonisten der jeweiligen Fachrichtung aus den Augen verlieren.

Knight nennt aber auch die weiterführenden Ansätze und anregenden Seiten der Wissenschaftsgeschichte. Thomas Kuhns Paradigma-Ansatz gab einen neuen Blick auf die Wissenschaften frei mit ihren Institutionen, Akteuren, Publikationen und Aktivitäten. Anregungen holte sich die Wissenschaftsgeschichte von Philosophen wie Karl Popper, indem sie wissenschaftliche Prozesse als Weiterentwicklung im Diskurs zwischen Argument und Gegenargument, Vermutung und Beleg/Widerlegung verstand. Arbeiten zur Wissenschaftspopularisierung konnten sich zu einer Sozialgeschichte ihres Faches entwickeln. Biographien über Wissenschaftler, die den Kontext und das Umfeld der Person mit den Inhalten ihrer jeweiligen Forschungen in Verbindungen brachten, erwiesen sich als Meilensteine der Wissenschaftsgeschichte.

Knight gibt sich bescheiden (und selbstkritisch zugleich) und beschreibt sich als "Opportunist", der für die Form der Darstellung sowohl zum dicken Pinsel greift, "picking and choosing among these historigraphic traditions to suit the subject matter and context", als auch für einzelne Themen die feine Feder zur Hand nimmt, um Sachverhalte auszumalen, die das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Kultur beleuchten (10). Eine Definition von Wissenschaft gibt Knight in der Einleitung nicht. Nur knapp formuliert er im ersten Kapitel: "Science is an abstraction: it is something carried on by scientists." (14) Lässt diese apodiktische Formulierung den Leser etwas unbefriedigt zurück, entschädigt dafür das zweite Kapitel über die Wissenschaft und ihre Sprachen. Hier gibt Knight einen Überblick vom Lateinischen als Universalsprache der Wissenschaften bis zum Einzug der Bilder, Illustrationen, Tabellen und Modelle in die Naturwissenschaften.

Mit diesem Kapitel löst sich Knight von einer chronologischen Ordnung seines Stoffs. Hatte er sich im ersten Kapitel noch den Wissenschaften um 1789 zugewandt und Paris als Zentrum eines modernen Wissenschaftsverständnisses porträtiert, folgen themen- und sachorientierte Kapitel. Das Buch gewinnt dadurch an Struktur: Wer sich kompetent über Zusammenhänge informieren will, kann sich schnell einen Überblick verschaffen. Der Leser, der sich auf das Werk umfassend einlassen möchte, profitiert von Knights Methode und Fähigkeit, die vielfältigsten Perspektiven zu einem Thema zusammenzuführen und gut lesbar darzustellen.

Das Spektrum der in den Kapiteln abgehandelten Themen ist breit. Es reicht von der Darstellung der Entwicklung der angewandten Wissenschaften, über die Beschreibung der Laboratorien bis hin zur Schilderung über die Diskurse und die Ausbildung von Methoden in den einzelnen Fächern. Neben diesen dezidiert wissenschaftsgeschichtlichen Themen wendet sich Knight aber auch Fragen zu, die die Wissenschaften in Beziehung zu ihrer Umgebung setzen. Im Kapitel über Wissenschaften und nationale Identitäten spürt Knight transnationalen Beziehungen im Wissensaustausch nach und zeichnet unterschiedliche Modelle der Wissenschaftsförderung in den Staaten nach (eine eingehende Analyse wie Wissenschaft in den jeweiligen Nationen verstanden wurde und wie man sich gegenüber anderen Staaten abgrenzte - abgesehen von der Betonung des nationalen Prestiges und nationaler Ehre - unterbleibt allerdings). Das Kapitel über "Healthy Lives" lässt sich durchaus als knappe Sozialgeschichte der Medizin (hier vor allem Großbritanniens) lesen. Der Abschnitt über "Cultural Leadership" integriert Aspekte der Wissenschaftspopularisierung ebenso wie die Ausbildung eines Wissenschaftssystems, das Frauen ausschloss und sich als Leitdisziplin gegenüber anderen Weltdeutungen (etwa der Religion) durchsetzte.

Insgesamt beschreibt Knight den Aufstieg und Professionalisierungsprozess der Wissenschaftler. Um 1800 galten sie noch als "absent-minded virtuoso or dilettante" (IX), an der Wende zum 20. Jahrhundert wurden sie als hoch geschätzte und einflussreiche Experten wahrgenommen. Obwohl Knight es versteht, die Fehler, Schwächen und das Versagen der Wissenschaften in seine Darstellung zu integrieren, kommt hier doch stark die Tradition der "Whig-Geschichte" zum Ausdruck. Die "Ambivalenzen der Moderne" (Zygmunt Bauman), wie sie sich etwa in der Kriegstechnologie unverkennbar abzeichneten und von Knight erwähnt werden, drängt Knight in den Hintergrund: "It would be wrong to end our story on that melancholy note". Die Geschichte der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert ist und bleibt in den Augen Knights eine "success story" (281).

Trotz des breiten Horizonts und der gelungenen Strukturierung des Stoffes sind abschließend drei Einschränkungen zu erwähnen. Zum einen kommt der für die (Natur)-Wissenschaften wichtige Aspekt des Ordnens, Sammelns und Archivierens in Knights Wissenschaftsgeschichte zu kurz. Zum anderen wird "Science" wie selbstverständlich mit Naturwissenschaften gleichgesetzt. Wer ein Buch von David Knight kauft oder liest wird auch kaum etwas anderes erwarten. Aber der Aufstieg "moderner Wissenschaften" schließt auch den Aufstieg der Sozialwissenschaften und der Geschichtswissenschaften (worauf Knight sogar einmal knapp hinweist) ein. Über mögliche Wechselwirkungen und/oder Abgrenzungen aber erfährt man fast nichts. Schließlich ist Knights Buch ein umfassendes Kompendium englischsprachiger Wissenschaftsgeschichtsschreibung. Obwohl Knight immer wieder auf Entwicklungen in Deutschland und Frankreich zu sprechen kommt, wird ausschließlich englischsprachige Literatur zitiert und verwendet. Diese aber wird dem Leser in beeindruckender Breite und größter Aktualität vorgeführt und durch ein ausführliches Register erschlossen.

Jürgen Schmidt