Robert Verhoogt: Art in Reproduction. Nineteenth-Century Prints after Lawrence Alma-Tadema, Jozef Israëls and Ary Scheffer, Amsterdam: Amsterdam University Press 2007, 718 S., ISBN 978-90-5356-913-9, EUR 59,50
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Das hier angezeigte Buch, die im Jahre 2004 an der Universität von Amsterdam eingereichte Dissertation des Autors, ist eine Pflichtlektüre für alle an der Kunst des 19. Jahrhunderts interessierten Kunsthistoriker.
Die Studie ist in zwei Teile gegliedert. In den ersten vier Kapiteln setzt sich der Autor, angelehnt an Robert Darntons What is the History of Books? [1], mit den Beziehungen zwischen Original und Reproduktion in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden auseinander. Jedes der vier allgemeinen Kapitel ist durch ein informatives Fazit abgeschlossen. Verhoogt skizziert die Entwicklungen weg vom frühneuzeitlichen Privileg-Verfahren hin zur Etablierung des Copyrights seit dem Hogarth-Act 1735, zeichnet die Zusammenarbeit zwischen Maler und Grafiker bzw. Fotograf nach und beleuchtet die Veröffentlichung einer Reproduktion. Seine Feststellung, die Spannbreite der dabei zu konstatierenden Interaktionen sei auf die rasante technische Entwicklung und die Etablierung eines internationalen Kunstmarktes im 19. Jahrhundert zurückzuführen (9), ist ein überzeugender Leitfaden der gesamten Studie.
Ein immer wiederkehrendes Argument ist die Frage nach der "Originalität" und damit letztlich nach dem Kunstcharakter von Reproduktionsgrafik. Seit letztere gegenüber der Künstlergrafik abgewertet wurde, seien, so Verhoogt, die reproduzierenden Künste als rein mechanische Medien kontinuierlich gegenüber dem Original abgewertet worden. Diese Tendenz fand einen Höhepunkt in Walter Benjamins Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in welchem nur einem "Original" die Aura des Kunstwerks zugesprochen wurde - eine Ansicht, die bis heute in kunsthistorischen Untersuchungen nachwirke (17-20). Es ist vielleicht eines der größten Verdienste von Verhoogts Buch aufzuzeigen, wie sehr das Konzept von Originalität und Authentizität im 19. Jahrhundert von diesen Konzepten abweicht: "[...] use of the term 'original' does not imply something 'better' or 'higher' in a qualitative sense, but simply something that came 'first'." (35)
Verhoogts erstes Kapitel, Pinxit et Sculpsit, legt eine Reihe von zentralen Definitionen im Prozess vom Ausgangswerk hin zu seiner Reproduktion vor und scheidet diese beispielsweise von Kopien oder Repliken. Ein großer Teil dieses Kapitels setzt sich mit der Frage auseinander, wer als "Autor" einer Reproduktion firmiert (45-58).
Im folgenden Abschnitt, From Engraving to Photography, skizziert der Autor chronologisch die Etablierung neuer Reproduktionstechniken im 19. Jahrhundert und zeigt auf, wie tradierte Medien (Kupferstich, Holzschnitt) sukzessive durch "moderne" Methoden (Lithografie, Holz- und Stahlstich, Fotografie und -gravure) ersetzt wurden, bis zu einem Monopol der Fotografie um 1900 (130). Dabei verschob sich unter den Aspekten schneller Produktion und höherer Auflagen das Augenmerk von einer interpretierenden Grafik hin zu einem Faksimile des Ausgangswerks. Spannend ist, wie Verhoogt unterschiedliche Präferenzen in den betrachteten Ländern nachweist, z.B. für das Mezzotinto in England (71f.), und dass divergente Techniken für die Reproduktion unterschiedlicher Medien (Zeichnung, Gemälde, Buchmalerei) etc. gewählt wurden, um der Vorlage möglichst nahezukommen (79-81). Dabei wertet der Autor u.a. Verkaufskataloge der Kunsthändler aus und gelangt zu statistischen Angaben über Techniken und Sujets, Auflagen derselben Vorlagen in verschiedenen Medien, auf unterschiedlichen Papierqualitäten, in divergenten Größen und damit abweichende Preisstufen für mehr oder weniger solvente Käufer.
Das dritte Kapitel, From Original to Reproduction, beleuchtet den Weg von der Auftragsvergabe über die Interaktion verschiedener Parteien (Maler, Besitzer des "Originals", Kunsthändler, Grafiker oder Fotograf) bis hin zum Prozess der eigentlichen Erstellung der Reproduktion. Ein besonderes Augenmerk liegt einerseits auf der Einbindung der Maler in den Prozess und andererseits auf der sukzessive sich verstärkenden Bedeutung der Kunsthändler, allen voran Adolphe Goupil und Ernest Gambart. [2] Besondere Aufmerksamkeit widmet Verhoogt der Frage der Reproduktionsrechte, die bisweilen mehr Geld einbrachten als das Ursprungswerk, und weist nach, dass viele Künstler diese unabhängig vom Verkauf des Werkes einbehielten (161-179). Wie wichtig dies war, zeigt der Fall von John Everett Millais' Gemälde Bubbles, welches dieser mitsamt allen Rechten an die Illustrated London News veräußerte. Die Zeitschrift verkaufte es ihrerseits an einen Seifenproduzenten, der das Gemälde als Vorlage für ein Werbeplakat nutzte. Millais protestierte vergeblich (176). Verhoogt schlüsselt auf, welches Werk konkret als Vorlage für Reproduktionen diente, und weist nach, dass es nicht immer das ursprüngliche Gemälde war. Die Reprodukteure arbeiteten bisweilen nach Zeichnungen, eigens angefertigten Repliken oder Fotografien, manchmal sogar nach anderen Reproduktionen (188-191). Die dabei eingesetzten Techniken waren neben Papierqualität und Größe Ausgangspunkt für eine Preishierarchie bei Kunsthändlern (203-10).
Im vierten Teil, For Connoisseurs and Amateurs, untersucht der Autor den Weg der fertigen Reproduktion an die Öffentlichkeit über Ausstellungen, Kunsthandlungen, die neuen illustrierten Kunstzeitschriften, Monografien zu Künstlern etc. Verhoogt verfolgt die Werbung für eine neue Reproduktion, z.B. durch Vorabpublikation von Details oder Rezensionen in Zeitschriften (223-240). Dieser Abschnitt schließt mit einer Darstellung der Rezeption der Reproduktionen in Kunstkritik, bei den Sammlern und im Publikum, das im Verlauf des Jahrhunderts immer größere Schichten der Gesellschaft umfasste. Auch Künstler als Käufer von Reproduktionen werden dabei untersucht, ebenso die programmatischen Ankäufe durch Bibliotheken, Akademien oder Museen.
In drei Einzelstudien analysiert Verhoogt diese Fragen anhand der aus den Niederlanden stammenden Maler Ary Scheffer, Jozef Israëls und Lawrence Alma-Tadema. Dabei überträgt der Autor die in der ersten Hälfte dieses über 700 Seiten starken Werks gemachten Beobachtungen auf den konkreten Einzelfall, beleuchtet die Beziehung der Maler zu ihren Reprodukteuren, ihre Einbindung in den Reproduktions- und Vertriebsprozess, ihre Reaktionen auf die Reproduktionen und die bereits im 19. Jahrhundert kritisch gestellte Frage: "Did artists intentionally paint 'art for reproduction'?" (29), die zumindest teilweise positiv beschieden wird. Während Israëls in den Niederlanden blieb, machte Scheffer in Frankreich und Alma-Tadema in England Karriere, durch die Arbeit mit international tätigen Kunsthändlern gelangten diese beiden zu Weltruhm, während Israëls eine eher nationale Größe war. Der Autor fragt nach der Beziehung des jeweiligen Künstlers zum Copyright, scheidet eigenständige von Reproduktionen für Kunstzeitschriften und andere Publikationen, untersucht das spezifische Publikum der drei Maler und stellt abschließend Vorlage und Reproduktion einander gegenüber. Neben Scheffer, Israëls und Alma-Tadema begegnen dem Leser immer wieder Maler, Reprodukteure, Kunsthändler und Kritiker, die bereits im allgemeinen Teil charakterisiert worden sind, so dass sich die beiden Hälften der Untersuchung zu einem beeindruckenden Ganzen schließen.
Es kann hier nicht weiter auf die Einzelstudien eingegangen werden, die informative Schlaglichter auf den Umgang der Maler mit den Nachschöpfungen ihrer Werke werfen, ein Aspekt sei jedoch hervorgehoben: Programmatisch setzten alle drei Reproduktionen ihrer Werke nicht nur für eine Propagierung ihrer Gemälde ein, sondern diese dienten einem "Self-Fashioning" in der Öffentlichkeit, wurden zu Aushängeschildern, die ihrerseits den Marktwert anderer Kunsterzeugnisse zu steigern vermochten. Diese Interdependenz zwischen divergenten künstlerischen Medien aufzuzeigen, ist ein weiterer Höhepunkt von Verhoogts Studie.
Eine umfassende Zusammenfassung, Endnoten, Farbtafeln Quellen- und Literaturverzeichnisse sowie ein benutzerfreundlicher Index schließen Verhoogts Werk ab. Einige Marginalia kann man kritisieren, so hätte das Lektorat bisweilen präziser sein können, um zu vermeiden, dass beispielsweise das Gemälde Voeu de Louis XIII. einmal Horace Vernet (139) und später dann korrekt Ingres zugeschrieben wird (183), Eigennamen punktuell in mehreren Schreibweisen auftauchen, etc. Da sich die weitestgehend hervorragend übersetzte Studie in erster Linie an ein Fachpublikum richtet, wären Fußnoten den am Ende des Buches nach Kapiteln zusammengefassten Endnoten deutlich vorzuziehen gewesen. So wird die Aufschlüsselung so manch spannenden Zitates unnötig erschwert.
Dennoch: Verhoogt legt nichts Geringeres vor als eine übergreifende Studie von Reproduktionen und ihrer Interaktion mit zugrundeliegenden Originalen, Fertigung, Vertrieb, Publizität und Rezeption. Er verknüpft dabei kunst-, kultur- und wissenschaftshistorische mit juristischen und merkantilen Aspekten zu einer eindrücklichen Abhandlung, an deren Ende der Leser einen tiefen Einblick in das "System" Kunst des vorletzten Jahrhunderts und - wichtiger noch - inspirierende Denkanstöße für weitergehende Untersuchungen erhalten hat.
Anmerkungen:
[1] Robert Darnton: What is the History of Books?, in: ders.: The Kiss of Lamourette. Reflections in Cultural History, New York / London 1990, 107-35 (Original 1983).
[2] Vgl. dazu Jeremy Maas: Gambart. Prince of the Victorian Art World, London 1975; Ausst.-Kat. Gérôme & Goupil. Art and enterprise, Bordeaux, Musée Goupil, 2000-01; New York, Dahesh Museum of Art, 2001 ; Pittsburgh, The Frick Art & Historical Center, 2001.
Ekaterini Kepetzis