Hanna Vollrath (Hg.): Der Weg in eine weitere Welt. Kommunikation und "Außenpolitik" im 12. Jahrhundert (= Neue Aspekte der europäischen Mittelalterforschung; Bd. 2), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2008, VIII + 115 S., ISBN 978-3-8258-6856-7, EUR 10,90
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Der von Hanna Vollrath herausgegebene, kleinere Sammelband "Der Weg in eine weitere Welt. Kommunikation und 'Außenpolitik' im 12. Jahrhundert" entsprang einer Sektion auf dem Historikertag in Halle/Saale im September 2002. Aufgrund der im Vorwort angesprochenen Verzögerungen kam es jedoch erst im Jahre 2008 zur Drucklegung.
In ihrer Einleitung (1-11) eröffnet Hanna Vollrath die Dimensionen der Thematik: die Vergrößerung der Erfahrungsräume im Bereich der lateinischen Christenheit, die quantitative Zunahme der Menschenströme und die Erfahrung der eigenen Fremdheit, deren Verstörungspotenzial durch Verwandtschaft und die Universalität kirchlicher Normen und Riten gemildert wurde. Hiermit leitet Vollrath zur Zielformulierung des Bandes über: nämlich verbindende Elemente zu finden, "durch die sich Menschen im Hochmittelalter bemühten, Distanz zu überwinden und Formen der Kommunikation zu finden, die auch außerhalb des je eigenen Lebenskreises verstanden wurden" (5). Ihren Kristallisationspunkt finden die Beiträge in der durchaus kritisch gestellten Frage nach der Sinnhaftigkeit der Kategorie "Außenpolitik" im Mittelalter.
Der erste Beitrag von Klaus van Eickels thematisiert in diesem Sinne "Gleichrangigkeit in der Unterordnung. Lehnsabhängigkeit und die Sprache der Freundschaft in den englisch-französischen Beziehungen des 12. Jahrhunderts" (13-34). Anhand der durchaus als Rangkonflikt zu verstehenden Auseinandersetzungen zwischen dem englischen König Heinrich I. und dem französischen König Ludwig VI. stellt van Eickels die Thematik erweiternd die Frage nach der Bedeutung, die der umstrittene Status des englischen Festlandbesitzes und die Lehnsbindung des englischen Königs für den Konfliktverlauf hatte. Über die Betrachtung von Traditionen und Funktionen des englischen homagium sowie die Analyse alternativer Diskurse und Deutungsmuster kommt van Eickels zu dem Schluss, dass man zum einen die reziproken Elementen der Lehnsbindung gegenüber Behauptungen einer einseitigen Unterordnung berücksichtigen und diese zum anderen auch um die Betrachtung des übergeordneten Konzeptes "Freundschaft" ergänzen müsse.
Knut Görich behandelt fragend "Eine 'internationale' Sprache der Ehre? Gesandte vor Friedrich Barbarossa" (35-58). Die demonstrativen Verhaltensweisen im Umgang mit Gesandten seien "immer auch politisch relevante Aussagen" (35) gewesen. Diese unterschieden sich je nach Situation und dem die Gesandtschaft entsendenden Machthaber - wie etwa Papst, Basileus, Sultan Saladin oder französischem und englischem König. Der Ehre sei im Kommunikationsprozess eine entscheidende Bedeutung zugekommen: "Rang und Ehre des eigenen Herrschers mussten demonstriert, die des fremden mussten geachtet werden" (39). In diesem ehrzentrierten Handeln spiegelten sich nicht nur zeitgenössische Ordnungsvorstellungen, einzelne politische Konflikte und Kommunikationsprobleme wider, zugleich werde durch die Analyse auch klarer, dass "Außenpolitik" keineswegs als Beziehung zwischen Staaten, sondern eher als Beziehung zwischen einzelnen Personen beschrieben werden müsse. Gerade der Blick auf die Herrerschertreffen vorbereitenden Kontakte zeigt allerdings auch die Probleme bzgl. Quellenlage und Forschungsstand, mit denen künftige Arbeiten bei der Analyse personeller Verbindungen zu kämpfen hätten.
Joseph P. Huffmann betrachtet "Die sozialen Aspekte der Außenpolitik: Diplomatische Beziehungen zwischen englischen und deutschen Herrschern im 12. Jahrhundert" (59-84). Ob die deutschen Forschungen zum Thema bislang wirklich überwiegend "modernen Vorstellungen von nationaler Machtpolitik, geopolitischer Kriegslist und internationalen Allianzen" (59) folgten, sei dahingestellt; von der jüngeren Mediävistik werden diese Ansätze jedenfalls - wie ja auch in der entsprechenden Anmerkung 1 bemerkt wird - nicht mehr aufgenommen. Dennoch kann das Plädoyer Huffmans für eine stärker sozialgeschichtliche Betrachtung der englisch-deutschen Beziehungen - v.a. als Geschichte der Beziehungen zwischen Gemeinwesen verstanden - immer noch als sinnvoll betrachtet werden. Man kann sogar noch weiter gehen und fragen, ob es dann nicht sogar angemessener ist, von einer bestimmten (hoch)adligen oder (hoch)klerikalen Schicht als Gemeinschaft zu sprechen und das - gegenüber den geteilten "Standeswerten" weniger prägende - Kriterium der sprachlich-politischen Identität als eher sekundär zu betrachten. Der von Huffman schwerpunktmäßig betrachtete Otto IV. wäre dann weniger "Wanderer zwischen den Welten" als vielmehr Hochadliger, der sich an einem "europa"weit geteilten Wertekanon orientierte (und ihn mitunter verletzte). Dieses Phänomen eines überaus starken verbindenden gemeinsamen Hintergrunds - der sich auch in einer entsprechend dichten Kommunikation widerspiegelt - zeigt sich etwa auch bei einem Großteil des Episkopats im 12. und 13. Jahrhundert: sei es hinsichtlich des gemeinsamen Studiums in Frankreich, sei es hinsichtlich der bischöflichen Tätigkeit als Legaten im päpstlichen Dienst. Waren es die zunehmenden Territorialisierungstendenzen im Reich, der durch den Thronstreit ausgelöste Umbruch und/oder gar "protonationalistische" Tendenzen, die diese Gemeinsamkeiten zugunsten anderer Bindungen aus dem Aufmerksamkeitsfokus vielleicht weniger der Handelnden als vielmehr der Betrachtenden treten ließen? Diese Fragen stehen nicht im Mittelpunkt des Beitrags von Huffman, der in eher konventioneller Weise das politische Schicksal Ottos IV. analysiert.
Den Band beschließt der Beitrag von Hanna Vollrath, die "Kommunikation über große Entfernungen. Die Verbreitung von Nachrichten im Becket-Streit" (85-114) behandelt. Nach einer kurzen Zusammenfassung der Causa Becket widmet sich Vollrath ihrem eigentlichen Thema, das sie anhand des quellenmäßig gut erforschbaren Falls behandelt: Briefe, Boten, Gerüchte und Klatsch (88), in deren Zentrum der Erzbischof von Canterbury steht. Vollraths Blick in die Tiefe der vielschichtigen Überlieferung fördert einige bemerkenswerte Einsichten in das mittelalterliche Kommunikationswesen zutage. Insbesondere der sonst kaum zu erfassende Ursprung von Gerüchten, der irgendwo zwischen Sorglosigkeit, Neugier, Höflichkeit und böser Absicht lag und liegt, wird durch die Analyse der lange Zeit etwas stiefmütterlich behandelten Briefe klarer. Zugleich kann Vollrath auch anhand einer Untersuchung des Botenwesens Annäherungen an die Beantwortung der Frage liefern, was wer überhaupt (sicher) wissen konnte: Wenige Weniges.
Der Band eröffnet eine größere Bandbreite möglicher Ansatzpunkte künftiger Forschungen, die - wie gezeigt wird - nicht nur auf ein bereits gut ausgebautes "Wegenetz" zurückgreifen können, sondern auch gleichwohl abseits der Pfade Möglichkeiten ganz neuer Entdeckungen bieten.
Stefan Burkhardt