Averroes: Die entscheidende Abhandlung und die Urteilsfällung über das Verhältnis von Gesetz und Philosophie. Arabisch-Deutsch. Mit einer Einleitung und kommentierenden Anmerkungen, übersetzt von Franz Schupp, Hamburg: Felix Meiner Verlag 2009, CXXX + 338 S., ISBN 978-3-7873-1884-1, EUR 68,00
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Averroes, auf Arabisch Ibn Rushd, gilt in Fachkreisen als der bedeutendste und vielleicht wichtigste Philosoph des Islam, mit solider juristischer Ausbildung und Ausübung des Richteramts in Sevilla und Córdoba, dem islamischen "Westen". Zusätzlich umfasste seine Ausbildung das Studium der arabischen Grammatik, des islamischen Rechts, insbesondere der malikitischen Schule, der griechischen Philosophie (besonders Logik, die seinerzeit als die "Kunst der Künste" galt) und einschlägiger medizinischer Arbeiten der besten Ärzte Andalusiens, ohne selbst je praktizierender Arzt gewesen zu sein (seine Tätigkeit in der Nachfolge von Ibn Tufayl als Hofarzt unter almohadischer Herrschaft im Jahr 1182 beschränkte sich auf die Funktion eines Gesundheitsberaters). Seine Bedeutung liegt in der Rezeption und kritischen Auseinandersetzung mit dem Denken des antiken Empirikers Aristoteles, insbesondere dessen Schrift De Anima (Über die Seele). Jeder, der je versuchte, die Seele von Lebewesen zu erfassen und zu beschreiben, weiß darum: Es geht letztlich um die Frage nach dem Anfang und dem Ursprung allen Lebens, damit um die Frage nach Physik und Metaphysik, Endlichkeit und Unendlichkeit, Ideologie und Vernunft.
Franz Schupp unternahm das mühevolle Unterfangen einer bilingualen Ausgabe dieses gegenwärtig wichtigsten Textes der islamischen Welt (in der Auseinandersetzung mit fundamentalistisch-kreationistischen Auffassungen), der ein Rechtsgutachten über die Berechtigung der Ausübung der Philosophie durch einen Muslim vor dem Hintergrund der im Koran niedergeschriebenen Vorgaben ist. Dieser Text von Averroes - eine Verfechtung des Rationalismus - wurde erst im 20. Jahrhundert von Muslimen zur Kenntnis genommen. In sämtlichen Debatten der Gegenwart - seien es rechtsphilosophisch-theologische, naturwissenschaftliche, sozial- und kulturwissenschaftliche oder menschenrechts-politische - könnte eine erneute Rezeption von Averroes (nicht nur) in der islamisch-geprägten Welt zu Verschiebungen in den Auffassungen der Weltbilder führen, was insbesondere im Bereich der Grundlagenforschung Biologie (Genetik und Stammzellforschung), Medizinethik und dem gesamten Gender-Bereich zum Tragen käme. Dieser Denker stellte von traditioneller Theologie geprägte geschlossene Weltbilder in Frage, wenn nicht gar auf den Kopf. -
Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert: Nach einer umfang- und kenntnisreichen Einleitung folgt die zweisprachige Übersetzung des Textes, und darauf ein Anhang mit Personennamen und Sachbegriffen. Den Schluss bilden ein Abkürzungs- und Literaturverzeichnis, eines der Koranzitate im Averroes-Text, ein Arabisch-Deutsches Wörterverzeichnis, ein Namens- und ein Sachverzeichnis. Als Argumentationshilfe gegen fundamentalistische Positionen und Vereinnahmungen eignen sich besonders Stellen wie (9/12-15), ergänzt durch Anmerkung 71 im Kommentar, die auf den feststehenden apologetischen Topos der islamischen Philosophen hinweisen, dass unter der Bedingung des Gebrauches des Verstandes und der Vernunft klar ist, dass alles in der islamischen Kultur von anderen und früheren Völkern aufgenommen wurde. Einfache Aussagen von Averroes wie "Wenn Schlussfolgerungen im Bereich des Rechts keine unzulässige Neuerung sind, dann muss das gleiche auch für Schlussfolgerungen im Bereich der Vernunftüberlegungen gelten" (Anmerkung 50 im Kommentar, mit Bezug auf Nr. 4 und 5/6-8) erhalten vor dem Hintergrund seiner ausgezeichneten Kenntnis von Koran, Recht, Philosophie und Medizin und entsprechend reflektiver Argumentationsgewandtheit an der nebligen Grenze des Gottglaubens eine ungeheure Sprengkraft.
Jede/r, der/die um die Hintergründe der andauernden Debatten und Konflikte in der islamischen Welt weiß und sich den zu kurz gegriffenen Erklärungsmodellen der "kolonialen Vergangenheit" verweigert, wird sich über diese äußerst verdienstvolle Studie freuen. Man kann dem Herausgeber, Franz Schupp, nur unendlich dankbar sein, dass er sich dieser entsagungsvollen Arbeit von historischer Einleitung und kritisch-sprachwissenschaftlich aufgearbeiteter Übersetzung dieses zentralen philosophischen Textes des in mehrfacher Hinsicht "westlichsten" arabisch-muslimischen Denkers unter islamischer Herrschaft unterzogen hat. Die Sorgfalt und Akribie wird unterstrichen durch die Tatsache, dass Schupp den gesamten Text mit einem arabischen Linguisten, Herrn Abdu as-Sattar Kamaleddin Ahmed aus Ägypten, Wort für Wort in mehreren Wochen durchgearbeitet hat, um die gesamte Übersetzung, verbliebene Fragen des Satzbaus und der Bedeutung einzelner Fachbegriffe zu klären. Abgerundet wird das Werk durch den ergänzenden Anhang der Definitionen einschlägiger arabischer Sachbegriffe (in Umschrift), Literaturverzeichnis, einem äußerst hilfreichen Wörterverzeichnis und Namens- und Sachverzeichnis am Schluss. Aufgrund der Zweisprachigkeit und der ausführlichen historischen Einleitung ist diese Studie auch für Nichtarabisten und andere Wissenschaftler ein vorzüglich geeignetes Werk. Sie sollte in keiner wissenschaftlichen Bibliothek fehlen.
Assia Maria Harwazinski