Klaus-Dieter Herbst (Hg.): Mecklenburgischer Schreib-Calender für das Jahr 1685 verfaßt von Johann Moritz Poltz (= Acta Calendariographica. Kalenderreihen. Band 3: Einzelstücke aus verschiedenen Reihen; Heft 1), Jena: Verlag Historische Kalenderdrucke 2009, 102 S., ISBN 978-3-941563-00-1, EUR 38,00
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Gerade mal 15,8 cm breit und 19,5 cm hoch und damit kaum größer als die abgebildeten Kalenderblätter sind die Buchseiten, die den Nachdruck eines Schreibkalenders aus dem späten 17. Jahrhundert zeigen. Das (fast) originalgetreue Format betont die Intention des Herausgebers, nämlich den Kalender mit seinen 60 Seiten und zwei Kupferstichen als jüngst aufgefundene Quelle vorzustellen und damit das Interesse der Forschung für die Schreibkalender dieser Region zu wecken. Der randlose Druck und die leichte Unschärfe der Scans deuten auf eine geringfügige Vergrößerung hin: Im Original messen die Kalenderseiten nur etwa 14,9 x 18,9 cm. Satzspiegel und Papierfärbung seien für den Druck kaum verändert worden, so das Vorwort. Der in diesem Band reproduzierte Schreibkalender wurde von dem Pfarrer Johann Moritz Poltz (1638-1708) erstellt. Der Kalender ist gerade deshalb von besonderem Interesse, da er die sonst üblichen Angaben zu astrologischen Informationen im Prognostikum des Kalenders vermissen lässt und daher im Umfeld der (Früh-)Aufklärung zu verorten sei. Die Reproduktion des Kalenders wird thematisch ergänzt um zwei Aufsätze.
In seinem Beitrag "Die Bedeutung des Mecklenburgischen Schreib-Calenders für 1685 im Kontext der Forschung zur Frühaufklärung in Deutschland" (11-26) weist Klaus-Dieter Herbst anhand einer Liste von Druckorten und Kalendermachern auf die Fülle des überlieferten Materials hin. Einschränkend stellt er dagegen fest, es habe "um 1670 keinen eigens auf den mecklenburgischen Horizont gestellten Kalender" (12) gegeben. Damit ist der hier gezeigte Kalender für diese Region offenbar eine Neuerung. Zudem handele es sich um das älteste erhaltene Exemplar der Reihe. Warum Wunder und Sterndeutung in Poltz' Kalender keine Erwähnung finden, zeitgleich aber in anderen Gebieten weiterhin populär sind, sucht Herbst anhand zweier Thesen zu erklären: Zum einen referiert er vier Edikte (1682, 1683, 1684, 1690) Herzog Gustav Adolphs zu Mecklenburg-Güstrow gegen den Heydnischen Aberglauben, die solche Inhalte untersagen. Zum anderen vermutet er, Poltz habe "vielleicht [...] den übernatürlichen Wundern grundsätzlich kritisch" (26) gegenübergestanden und deshalb in seinem Kalender darauf verzichtet, diese zu referieren. Beide Thesen bedürfen allerdings einer hinreichenden Untermauerung.
Im zweiten Textbeitrag "Johann Moritz Poltz und die Verbannung der Astrologie aus den Mecklenburgischen Kalendern" (27-40) greift Jürgen Hamel dieses Thema auf. Er beschreibt kurz Gliederung und Inhalt des Kalenders von 1685 und weist explizit auf das Fehlen astrologischer Symbole hin. Dass Poltz die Vorgaben aus dem herzoglichen Edikt von 1682 (siehe bei Herbst, 18) zur Gänze bei der Erstellung des Kalenders berücksichtigt habe, könne auf Sympathien zwischen den Männern beruht haben: Wenn auch erst 1695, so sei Poltz von Herzog Gustav Adolph auf die Professur für Poesie der Universität Rostock berufen worden, was von beiderseitiger Wertschätzung zeuge. Als zweiten Grund führt Hamel die astronomischen Kenntnisse sowie Poltz' persönliche Abneigung gegen die Astrologie an. Dies werde in seinen ebenfalls überlieferten Kometenschriften aus den Jahren 1680 und 1682 deutlich. Bedauerlicherweise verzichtet der Autor hier auf einen evidenten Beleg; es bleiben bei aller Plausibilität lediglich Vermutungen.
Das Fehlen der astrologischen Weissagungen scheint allerdings auch ein temporäres Phänomen zu sein, so Hamel weiter: In den Ausgaben des "Verbesserten Mecklenburgischen Hauß- und Historien-Calenders" der Jahre 1716 bis 1719 finden sich erneut Hinweise auf die jeweiligen Sternkonstellationen zum Haareschneiden, Schröpfen und Aderlassen, in der Ausgabe von 1736 wieder nicht. Nachweisbare Regelmäßigkeiten für diese Nennungen gibt es bislang nicht. Abschließend folgt eine Bibliographie der Schriften von Poltz.
Diese Buchausgabe wirft ein Schlaglicht auf das Quellencorpus, das von Klaus-Dieter Herbst zusammengestellt worden ist. Man kann anerkennend von einer Passion, von Faszination am Untersuchungsgegenstand sprechen, wenn man die Entstehungsgeschichte der von Herbst bereits publizierten Monographien bzw. Editionen von Kalenderreihen [1] betrachtet: Im Rahmen eines DFG-Projekts hat der Autor - in einer Person Bearbeiter, Herausgeber und Inhaber des hier publizierenden Verlags Historische Kalenderdrucke - rund 6000 Schreibkalender des 17. Jahrhunderts in deutschen Archiven zusammengetragen.
Das qualitätvoll reproduzierte Bildmaterial kann nicht über das Fehlen einer analytisch-kritischen Betrachtung im Rahmen des knappen Textteils hinwegtäuschen: Die Forschungsproblematik, andernorts vor allem im Umgang mit Schreibkalendern als Selbstzeugnis [2] thematisiert, und ein Überblick über den Forschungsstand (auch außerhalb Mecklenburgs) sind zugunsten des Forschungsinteresses der beiden Autoren in den Hintergrund gerückt. Dies ist umso bedauerlicher, da sie damit die Quelle in den Forschungskontext eingeordnet hätten, was hier nicht geschehen ist. [3] Eine Gegenüberstellung mit vergleichbaren Exponaten wäre für den wissenschaftlichen Leser von Interesse. Derlei hätte einer Verabsolutierung der Quelle entgegengewirkt. Auch eine Einführung zum Kalender als populärem Medium der Frühen Neuzeit fehlt leider.
Wiederholt werden im Text Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnis aufgezeigt und Vermutungen geäußert, so dass deutlich wird, dass noch große Forschungslücken in der regionalen wie auch der überregionalen Kalenderforschung bestehen. Gleichwohl macht auch diese Edition deutlich, wie faszinierend das Genre der Schreibkalender eigentlich ist.
Anmerkungen:
[1] http://www.gottfried-kirch-edition.de/public/14/3/1/1 (1.8.2010).
[2] Zuletzt mit österreichischem Schwerpunkt: Harald Tersch: Schreibkalender und Schreibkultur. Zur Rezeptionsgeschichte eines frühen Massenmediums, Graz-Feldkirch 2008. Siehe auch Helga Meise: Das archivierte Ich. Schreibkalender und höfische Repräsentation in Hessen-Darmstadt 1624-1790, Darmstadt 2002.
[3] Hingewiesen wird, dass die "Existenz eines solchen Kalenders Ende des 17. Jahrhunderts [...] in der Forschung zur Frühaufklärung noch nicht wahrgenommen" worden sei; 9, 26.
Kristine Greßhöner