Sarah Neumann: Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil - Wettstreit - Ehrensache (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 31), Ostfildern: Thorbecke 2010, 268 S., ISBN 978-3-7995-4284-5, EUR 49,00
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Der Zweikampf wandelte seinen Charakter von einem allgemein akzeptierten Beweismittel im magisch-religiösen Ordal des Gerichtskampfes während des früheren zu einem organisierten Spektakel der Fechtschulen in den Städten des späteren Mittelalters und ging schließlich in der Neuzeit im Duell, der Mensur oder dem Sportfechten auf. Diese überaus wandlungsfähige kulturelle Praktik wird in der vorliegenden Oldenburger Dissertation von 2008 für den langen Zeitraum des Hoch- und Spätmittelalters in Bezug auf den gerichtlichen Zweikampf untersucht, wobei zu Recht davor gewarnt wird, die Wandlungen in einem Entwicklungs- oder Rationalisierungsmodell verstehen zu wollen (17, 217).
Sarah Neumann gliedert ihre Arbeit nach vier W-Fragen: Wo?, Wie?, Warum?, Wer?, die einen sinnvollen Zugriff auf wesentliche Aspekte ermöglichen: Auf die Schauplätze, die Regelwerke, die Konflikte und die Kombattanten der kämpflichen Auseinandersetzung. Als Untersuchungsraum werden das nordalpine Reich und Frankreich gewählt, mit Ausblicken nach England und Skandinavien - das heißt Süd- und Osteuropa werden vollkommen ausgeklammert, was nicht besonders begründet wird, obwohl das "duellum ... mit geringer zeitlicher und räumlicher Varianz als gesamteuropäisches Element des mittelalterlichen Rechts" betrachtet wird (11). Gerade in Traktaten italienischer Juristen werden allerdings wesentliche theoretische Grundlagen formuliert, die die Wandlungen des Gerichtskampfs als Beweismittel zum Ehrenzweikampf erst verständlich machen.
Die Arbeit ist gründlich und quellennah gearbeitet, was die etwa 300 Titel der zitierten, zumeist erzählenden Quellen eindrucksvoll unterstreichen (219-230). Rechtsgeschichtliche Quellen werden vornehmlich aus der Sekundärliteratur herangezogen, was sich durch den diesbezüglich verhältnismäßig guten Forschungsstand begründen lässt (29). Eine Stärke der Arbeit liegt in der Berücksichtigung literarischer Quellen, die die breit herangezogenen Chroniken sinnvoll ergänzen. So bei der Beantwortung der klug gestellten sozialgeschichtlichen Fragen, etwa wie mittels Zweikampf Standesgrenzen definiert wurden (163), so bei der überzeugenden Deutung des Zweikampfs als Deeskalationsinstrument zur Stabilisierung von Herrschaftsordnungen (55, 176). An einigen Stellen wünscht man sich eingehendere quellenkritische Überlegungen, so in den drei interessanten "Fallstudien" aus der Chronik des Schotten John Fordun, aus den Chroniques de Normandie und aus Galberts von Brügge Werk (92-105).
Verzichtet wurde im Wesentlichen auf die Heranziehung urkundlicher und bildlicher Überlieferung (die fünf Abbildungen in bescheidener Wiedergabequalität stammen zumeist aus der Neuzeit und dienen lediglich der Illustration). Gerade mit Hilfe solcher Quellen aber könnte der Platz des Gerichtskampfs in der mittelalterlichen Streitkultur zwischen agonalen, gewaltsamen und magischen Erscheinungsformen (Duell, Fechten, Fehde, Gottesurteil, Krieg, regelloser Kampf, Turnier) näher bestimmt werden. Darauf wird aber nur am Rande eingegangen. Ebenso wie auf die Stellung zwischen Recht und Ritual oder in der symbolischen Kommunikation - allerdings ist eine Beschränkung auf die behandelten Fragen durchaus vernünftig, "soll die Beschäftigung mit dem gerichtlichen Zweikampf nicht zur Lebensaufgabe geraten" (29).
Die hervorragend geschriebene Monographie über den mittelalterlichen Gerichtskampf gibt einen guten Einstieg in ein überaus komplexes und variantenreiches Langzeitphänomen mit europaweiter Relevanz, dessen Betrachtung geeignet ist, nicht nur rechtliche, sondern sozialgeschichtliche, kulturelle und symbolische Wandlungsprozesse besser zu verstehen. Die Ziele der Arbeit, "eine Bestandsaufnahme der Bedeutungsvarianten des gerichtlichen Zweikampfs" wie eine "Re-Interpretation des duellum unter kulturwissenschaftlichen Vorzeichen" (30), wurden mit den genannten Abstrichen erreicht.
Uwe Israel