Bertrand Michael Buchmann: Österreicher in der deutschen Wehrmacht. Soldatenalltag im Zweiten Weltkrieg, Wien: Böhlau 2009, 319 S., ISBN 978-3-205-78444-9, EUR 24,90
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Die Erfolgsstory der Opferthese und nicht zuletzt deren Akzeptanz auf internationalem Parkett war eine grandiose Leistung österreichischer Nachkriegspolitik. Für das wiederentstandene Österreich war es eine äußerst günstige Lösung, und eine kritische Reflexion der eigenen Geschichte erschien lange Zeit wenig opportun. So verwundert es auch nicht, dass die wissenschaftliche Forschung über die Rolle von "Österreichern" in den deutschen Streitkräften noch in den Anfängen steckt.
Bertrand Michael Buchmann legte 2009 sein Buch Österreicher in der Deutschen Wehrmacht vor. In einem kurz gehaltenen Vorwort, das zugleich als Einleitung fungiert, gibt der Verfasser grob die Richtlinien seines Werks vor: Untersuchungsgegenstand ist der Alltag der "deutschen Landser" (7) unter Ausklammerung des Kampfgeschehens - will heißen, der Leser soll mit dem Umfeld des Krieges, mit den Gepflogenheiten beim Militär und mit der Denkweise der Soldaten vertraut gemacht werden. Damit hat Buchmann interessante Fragen aufgeworfen, die einen Beitrag zur Mentalitätsgeschichte von Wehrmachtsangehörigen österreichischer Herkunft erwarten lassen.
Das Inhaltsverzeichnis lässt auf den ersten Blick keine Schwerpunkte erkennen; die Gliederung der knapp 280 Textseiten in 33 Kapitel verwirrt eher, als dass sie die Orientierung erleichtert. Die ersten Kapitel widmen sich der Eingliederung der "Österreicher" in die Wehrmacht sowie der wehrpolitischen Neustrukturierung der "Ostmark" nach 1938 insgesamt. Wenngleich hier wenig Neues zu finden ist, bieten diese Ausführungen trotz kleinerer Unschärfen einen groben Überblick. Die Vorstellung der Teilstreitkräfte mündet in ein mageres Kapitel über die Luftwaffe, während der Marine ein eigener Abschnitt verwehrt bleibt. Dafür wird die Waffen-SS - bekanntlich keine Teilstreitkraft der Wehrmacht - mit einem sechsseitigen Kapitel bedacht. Danach wird der anfangs nachvollvollziehbare Aufbau des Buches unübersichtlich; stellenweise wirkt die Anordnung der zumeist nur kurzen Kapitel mehr oder weniger beliebig. Es wäre wünschenswert und auch möglich gewesen, thematisch ähnliche Abschnitte zu größeren Einheiten zusammenzufassen.
Eingangs stellt Buchmann fest: "Die Anzahl der ausgewerteten Quellen musste beschränkt bleiben, damit der Umfang des Buches nicht ausufert." (8) Von einer Überfülle an Quellen ist jedoch nur wenig zu spüren. Als Basis der Arbeit dienten vornehmlich Kriegstagebücher, Memoiren, Feldpostbriefe und Zeitzeugeninterviews von Kriegsteilnehmern österreichischer Provenienz. Im Anhang sind die biographischen Daten von rund 50 Zeitzeugen zu finden, deren Erinnerungen zu gut zwei Dritteln bereits publiziert wurden. Die von Buchmann geführten Interviews stellen eine Bereicherung dar (etwa das Interview mit Dr. Maio Duić von 2007). Die wichtigste deutschsprachige Literatur wird im Inhaltsverzeichnis genannt, während die englischsprachigen Publikationen trotz ihrer Bedeutung beinahe vollständig unerwähnt bleiben. Archive konsultierte Buchmann, um ein halbes Dutzend Typoskripte von Zeitzeugen auszuheben, nicht jedoch, um mit institutionellen Originaldokumenten (z.B. Militär-, Partei- oder Gerichtsakten) zu arbeiten.
Auf der konzeptionellen Ebene wählte der Autor einen ähnlichen Ansatz wie Stephen G. Fritz [1] und lässt fast ausschließlich Zeitzeugen im Originalton zu Wort kommen. Positiv hervorzuheben ist, dass Buchmann gerade die österreichspezifischen Forschungsergebnisse von Rüdiger Overmans [2] als roten Faden durch sein Buch gelegt hat, das er so auf ein solides Fundament an Zahlen stellt. Über weite Strecken beschränkt sich Buchmann jedoch auf Überleitungen zwischen den Zitaten, die sich oftmals über halbe oder sogar ganze Seiten erstrecken. Diese Form der Darstellung lässt die Wahrnehmungsgrenzen, ob nun der Autor schreibt oder ein Zeitzeuge zu Wort kommt, vielfach verschwimmen; zudem birgt sie die Gefahr induktiver Schlüsse.
Dass sich Buchmann bei manchen Argumentationsketten zu unkritisch auf zeitgenössische Darstellungen stützt, macht sich gerade bei den Ausführungen zum Kommissarbefehl nachteilig bemerkbar. So nimmt er entsprechende Passagen aus den Memoiren des in Wiener Neustadt geborenen Generalobersts der Wehrmacht, Lothar Rendulic [3], um darzustellen, dass dieser - wegen illegaler NS-Mitgliedschaft aus dem Österreichischen Bundesheer entfernt - in seiner 52. Infanteriedivision keinen Wert auf die Durchführung dieses Befehls gelegt habe (186 f.). Tatsächlich wurden in der 52. Infanteriedivision nachweisbar 49 Kommissare exekutiert. In nur sechs Divisionen der Wehrmacht war die Zahl der Erschossenen höher. [4]
Die für die "österreichische Frage" zentrale Primärgruppenthese wird in Kapitel 14 "Kameradschaft und Du-Wort" kurz angeschnitten (119 f.), ohne dass Buchmann jedoch auf die Forschungsergebnisse von Edward Shils und Morris Janowitz, Omer Bartov oder Christoph Rass eingegangen wäre, die die wissenschaftliche Grundlage für diesen Diskurs bilden. Auch bleibt wichtiges Zahlenmaterial stellenweise ohne Quellenangabe (z.B. 15, 19, 62, 87, 226), während die Ausführung, dass insgesamt 326 Soldaten österreichischer Provenienz Ritterkreuzträger waren, mit nicht weniger als sechs Belegen abgesichert wird (27, 290). Wie wenig vertraut Buchmann schlussendlich mit dem Forschungsfeld ist, zeigen auch zahlreiche Fehler in der militärischen Terminologie.
Interessante Einblicke ergeben sich im letzten Kapitel "Heimkehr". Hier beschäftigt sich Buchmann mit der Entfremdung der ehemaligen Soldaten von ihren Familien, dem Zerbrechen von Partnerschaften und der verschiedenen Wahrnehmung des Krieges durch Frauen und eingezogene Männer. In diesem Abschnitt gibt der Autor seinen eigenen Ausführungen mehr Raum, was erahnen lässt, welches Potential dieses Buch hätte haben können. Die Zusammenführung von vielfach im Eigenverlag publizierten Memoiren bildet sicherlich die Stärke der Arbeit. Als Ergebnis bleibt aber festzuhalten, dass Buchmann zu sehr der narrativen Ebene verhaftet bleibt und kaum eine eigene Analyse wagt. Insgesamt vermag dieses Buch aufgrund seiner Quellenarmut und seiner unzureichenden inhaltlichen Tiefe wenig neues Licht in das Dunkel des Themas "Österreicher" in der deutschen Wehrmacht zu bringen.
Anmerkungen:
[1] Stephen G. Fritz: Hitlers Frontsoldaten. Der erzählte Krieg, Berlin 1998.
[2] Rüdiger Overmans: Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg, München 32004.
[3] Lothar Rendulic: Soldat in stürzenden Reichen, München 1965.
[4] Felix Römer: Der Kommissarbefehl. Wehrmacht und NS-Verbrechen an der Ostfront 1941/42, Paderborn 2008, S. 584 (Tabelle 9).
Richard Germann