Peter Broucek (Hg.): Ein österreichischer General gegen Hitler. Feldmarschalleutnant Alfred Jansa Erinnerungen, Wien: Böhlau 2011, 830 S., 27 s/w-Abb., ISBN 978-3-205-78148-6, EUR 69,00
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Alfred Jansa beeindruckte als österreichischer Generalstabschef Freund und Feind durch seine strikte Feindschaft gegen den Nationalsozialismus, die ihm ab 1938 den Verlust aller militärischen Funktionen und eine Zwangsinternierung im "Altreich" (Erfurt) einbrachte. Peter Broucek, Historiker und Archivar im Österreichischen Staatsarchiv/Kriegsarchiv (Wien), erklärt einleitend über seine Motivation zur Herausgabe der über 800 Seiten starken Lebenserinnerungen Jansas, dass es die Aufgabe des Archivars sei, "Quellen praktizierter Ethik" (11) ganz besonders zu sammeln, zu inventarisieren und diese, idealerweise editorisch bearbeitet, der Forschung bereitzustellen. Die Lebenserinnerungen Jansas sind in zwölf chronologisch aufeinanderfolgende Kapitel gegliedert, die einen kürzeren Block der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg und zwei umfassendere Blöcke zum Ersten Weltkrieg und zur Zwischenkriegszeit beinhalten. Dem zuvor gestellt ist eine von Broucek verfasste 80-seitige Einführung in die militärisch-politische Lage Österreichs. Obwohl und gerade weil diese sehr detailreich ausfällt, gelingt es Broucek, dem nichtfachkundigen Leser einen geeigneten Überblick zu geben, um Jansas Memoiren in den Kontext gerade der Zwischenkriegszeit (wo zeitweilig paramilitärische Parteiorganisationen dem Bundesheer personell fünffach überlegen waren; 58) stellen zu können.
Alfred Jansa entdeckte bereits in seiner Kindheit und frühen Jugend den Facettenreichtum der österreichisch-ungarischen Monarchie. Geboren 1884 in Stanislau (heute Iwano-Frankiwsk, Ukraine), wechselte seine Familie (der Vater war Offizier der Landesgendarmerie) bis zu seiner frühen Jugend regelmäßig den Aufenthaltsort (1888-1892 Wien, 1892-1894 Lemberg, 1894-1896 Prag und danach wieder Wien). Der Großvater mütterlicherseits stammte aus Hessen, dessen Söhne erwarben die ungarische Staatsbürgerschaft. In der Großfamilie fanden sich tiefgläubige Lutheraner und Katholiken, während der Vater von Alfred Jansa nur "nominell Katholik" (116) war. In der Schule lernte Jansa - neben Deutsch als Muttersprache - Polnisch, Böhmisch und Französisch, später beim Regiment kamen noch Slowakisch und Ungarisch hinzu. Nicht zuletzt dieser multikulturelle und multikonfessionelle Alltag (in der österreichisch-ungarischen Armee waren auch Juden und Muslime als Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere(!) eingezogen) wird hier sehr lebendig, widmet doch Jansa in seinen Lebenserinnerungen dem Nichtmilitärischem einen breiten Raum. Wenngleich mit dem Militär ein grundverschiedenes Betätigungsfeld Gegenstand der Darstellung ist, so fühlt man sich bei der Lektüre immer wieder an den Duktus von Stefan Zweig [1] erinnert.
Für die Erste-Weltkriegs-Forschung ergeben sich neue und ungewöhnliche tiefe Einblicke in die persönlichen Befindlichkeiten und Netzwerke der militärischen Spitzenorganisation in Bosnien während des Sommers 1914. Jansa, von 1910 bis 1914 als Generalstabsoffizier in Sarajevo tätig, schildert eingehend, wie er Feldzeugmeister Oskar Potiorek - als Armeeinspektor und Landeschef von Bosnien-Herzegowina in einer militärischen und zivilen Doppelfunktion - und dessen Flügel- und Personaladjutanten Erich von Merizzi wahrgenommen hat. Potiorek, mehr Politiker als General (194), soll sich demnach im Konak (der ehemalige Pascha-Wohnsitz) völlig von seiner Umwelt abgeschlossen haben (201). Dort versuchte er in einem schwierigen diplomatischen Spagat dem Kaiser und dem Thronfolger gleichermaßen zu gefallen und behinderte aufgrund von persönlichem Geltungsbedürfnis die Arbeit von Franz Conrad (von Hötzendorf), der 1906 anstatt Potiorek Chef des Generalstabes für die gesamte bewaffnete Macht Österreich-Ungarns wurde. Merizzi, Potioreks Intimus, hingegen nahm Jansa als pragmatischen Karrieristen wahr, der erfolgreich versuchte, seinen Chef von seinem eigenen Stab abzuschirmen, um sich so eine selbstständige Stellung mit großem Einfluss zu schaffen. Gegen Merizzi, der im Laufe der Juni-Attentate 1914 selbst verletzt wurde, erhebt Jansa schwerste Vorwürfe: So soll er sich, obwohl seine Verletzung überschaubar gewesen sein soll, nicht zum Dienst zurückgemeldet und die Dienststellen und Vertretungen unzureichend über die im Frieden ersonnenen Aufmarschpläne informiert haben, was nach Jansa hauptsächlich zum Scheitern des ersten und zweiten österreichisch-ungarischen Feldzuges gegen Serbien führte (225). Hier muss allerdings auf Jansas Ressentiments gegen Italien verwiesen werden ("italienisches Intrigantentum" (218), "Infamie Italiens" (231)), welche in der Spätmonarchie en vogue waren.
Paradoxerweise war es in der ersten Hälfte der 1930er Jahre maßgeblich Italien, welches die österreichische Souveränität garantierte. Jansa äußerte sich über Mussolini bemerkenswert offen und günstig: "Mussolini war der einzige Freund des 'selbständigen, unabhängigen' Österreich, der durch die Tat des Aufmarsches seiner Divisionen am Brenner nach der infamen Ermordung unseres Bundeskanzlers [1934] den Wert seiner Freundschaft unter Beweis gestellt hatte" (590). Jansa, der ab 1935 in Österreich die Aufgaben des Chefs des Generalstabes übernahm, erblickte im nationalsozialistischen Deutschland den Feind.
Mit dem zunehmenden Wegfall Italiens als Schutzmacht nach dem Abessinienkrieg 1935/36 verschlechterte sich naturgemäß die strategische Lage. Im Österreichischen Bundesheer hatten sich im illegalen Nationalsozialistischen Soldatenring (NSR) subversive Zellen gebildet, denen teilweise auch Generalstabsoffiziere in zentralen Positionen angehörten. Wie sich jene Zellen in einem Kriegsfall verhalten hätten, kann naturgemäß nicht beantwortet werden, nachweisbar aber ist, dass ein Teil jener Offiziere die Deutschen im Zuge des "Anschlusses" 1938 bei der Offizierssäuberung sehr aktiv beriet. [2] Auf die nationalsozialistischen "U-Boote" im Bundesheer geht Jansa in seinen Lebenserinnerungen auffallend wenig ein. Wer sich Aufschluss über die Affäre des Obristen d. G. Lothar Rendulic erwartet, der 1936 - also zur Amtszeit von Jansa - aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft zwangspensioniert wurde, wird enttäuscht. (Eine zarte Anspielung findet sich auf Seite 677.) Das gewichtigste "Hindernis" für Jansas wehrhaften Plan, einen deutschen Angriff entlang der Flüsse Salzach, Enns und Traun wenn schon nicht zu zerschlagen, so doch zumindest zu retardieren, war wohl das abwartende Verhalten von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg. Wenngleich Jansa über weite Strecken ein ausgeglichenes Bild von Schuschnigg zu geben versucht, so bricht gegen Ende seiner Lebenserinnerungen (Kapitel XII) massives Unverständnis gegenüber dem Kanzler durch. Diplomatisch formuliert liest sich dies als "professorale Unentschlossenheit" oder klar und nüchtern, dass es blamabel sei, zu rüsten, aber nicht kämpfen zu wollen (677).
Zusammenfassend bleibt das rezensierte Buch wärmstens zur Lektüre zu empfehlen. Die Stärken sind vor allem die Schilderungen der Beziehungen des Spitzenmilitärs Jansas zu seinen Kollegen innerhalb der eigenen Armee(n) wie auch im internationalen Umfeld. Gerade diese tiefen Einblicke sind besonders wertvoll, da sie persönliche Zugänge und betriebliche Abläufe offenlegen, die sich in den amtlichen Akten kaum finden. Der historischen Zunft obliegt es, die Erinnerungen Jansas kritisch zu prüfen. Der Herausgeber trägt mit einem beeindruckenden Fußnotenapparat, welcher detailreiche Information zu jeder angesprochenen Person und zu jedem Ereignis bietet, zum Verständnis und angenehmen Lesefluss deutlich bei. Peter Broucek hat ein wichtiges Buch vorgelegt, das Eingang in die Erforschung des Zeitraumes der Spätmonarchie bis zum sogenannten 'Anschluss' 1938 finden wird.
Anmerkungen:
[1] Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, 35. Auflage, Frankfurt am Main 2005.
[2] Richard Germann: "Österreichische" Soldaten in Ost- und Südosteuropa 1941-1945. Deutsche Krieger - Nationalsozialistische Verbrecher - Österreichische Opfer?, unveränderte Dissertation an der Universität Wien 2006, 29-37, 50.
Richard Germann