Jakob Wührer / Martin Scheutz: Zu Diensten Ihrer Majestät. Hofordnungen und Instruktionsbücher am frühneuzeitlichen Wiener Hof (= Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 6), München: Oldenbourg 2011, 1255 S., mit einer quellenkundlichen und editionstechnischen Vorbemerkung, ISBN 978-3-486-59226-9, EUR 138,00
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Nach Jahrzehnten der Ruhe kommt die Forschung über die Höfe und Residenzen des Kaisers in und um Wien in Gang, und dies mit Wucht. Über das Akademie-Unternehmen "Höfe des Hauses Österreichs" kann man sich im Internet umfassend unterrichten (http://www.oeaw.ac.at/home/thema/thema_200809_5.html). Hier geht es um das Institut für Österreichische Geschichtsforschung. Im Jahre 2004 war die "Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch", herausgegeben von J. Pauser, M. Scheutz und Th. Winkelbauer im Umfang von 1134 Seiten erschienen, dem die eher mediävistisch ausgerichteten Repertorien "Bilder und Begriffe" und "Hof und Schrift" der Göttinger Residenzen-Kommission von 2005 und 2007 an die Seite zu stellen sind. Im vergangenen Jahr wurde vorgelegt das 540 Seiten starke Werk "Herrschaftsverdichtung, Staatsbildung, Bürokratisierung, Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Frühen Neuzeit", hg. v. M. Hochedlinger und Th. Winkelbauer. Nun folgt ein ebenso monumentaler Band von nicht weniger als 1255 Seiten Umfang, der den Wiener frühneuzeitlichen Hofordnungen und Instruktionsbüchern gewidmet ist, womit die Bemühungen der Residenzen-Kommission im Tagungsband "Höfe und Hofordnungen" von 1999 nicht nur chronologisch und konzeptionell fortgesetzt werden, sondern auch editorisch. Denn Hofordnungseditionen systematischer Art hat es seit A. Kerns das ganze Reich betreffender, zweibändiger Ausgabe von 1905-1907 nicht mehr gegeben, wenn man von den burgundischen (W. Paravicini u.a. seit 2005), klevischen (K. Flink/B. Thissen 1997) und alsbald jülich-klevisch-bergischen (B. Kasten/M. Bruckhaus, erscheinen 2012) und manchen Einzeltexten absieht. Die Originalität des vorliegenden Werks beruht nun darin, dass nicht schlicht die Texte abgedruckt werden, was allein schon willkommen wäre, sondern ihnen ein umfangreicher erster Teil ("Editionsvorbemerkung") vorangestellt ist, der sich auf den Seiten 15-313 zu einem Werk eigenen Rechts entwickelt und, verbessert, auf Scheutz/Wührer, "Dienst, Pflicht, Ordnung und 'gute Policey'. Instruktionsbücher am Wiener Hof im 17. und 18. Jahrhundert", in der oben genannten "Quellenkunde" Seite 15-228, zurückgeht. Er zerfällt in zwei Teile: "Der Kaiser ordnet seinen Hof" (J. Wührer, 25-206) und, nicht ohne Emphase bezeichnet, "Dienst an der Wissenschaft. Editionstechnische Überlegungen" (M. Scheutz, 207-307 bzw. 313). Entstehung und Gebrauch von vier Handschriften, die im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien liegen und aus den Jahren 1652-1808 stammen, sind hier eingehend erforscht und dargestellt. Die Arbeit des Editors ist selbstkritisch erläutert, vor dem Hintergrund einer mit zunehmenden Anspruch auftretenden "Editionswissenschaft" - in einem Umfang, der erkennen lässt, dass Kürze hier (wie durchweg im Band) kein gültiges Stilideal war.
Im zweiten, umfangreichsten Teil werden diese Bücher ediert (467-1129), im dritten werden sie indiziert. Alle genannten Personen erhielten eine kurze Notiz (1177-1192). Das ausführliche Sachregister (1193-1255) erfreut besonders. Schnell kann man zum Beispiel feststellen, dass ein Narr und eine Närrin, Zwerg und Zwergin lediglich im Kinderhofstaat von 1529, § 27, 28, 35, 37, 40, 43 (371-373) nachgewiesen sind, aber nirgendwo Mohren oder Riesen; auch Herolde tauchen nur 1527 § 81, 118 (356, und 361: drei unbenannte) und 1537 Nr. 24 § 18 (445: id.) und dann wieder 1693/1698 auf, § 12 (642): 2 reichsherolden, 1 hungarischer herold, 1 bohamischer herold, 1 osterreichischer herold. Weiter gibt es noch ein eindrucksvolles Verzeichnis der benutzen Quellen und der Literatur (1133-1162) und eine Konkordanz der "stillschweigend und in Klammern aufgelösten Kürzungen der Editionsgrundlage" (1166-1171, vgl. 290-297), was anzeigt, mit welch hohem methodischem Bewusstsein hier vorgegangen wurde.
Dieses ist nun im ersten Teil eindrücklich belegt. Hier gelingt der Rücktransport vom "archivischen Jenseits" ins "höfische Diesseits" (vgl. 9). Aus den Beobachtungen zu dem, was der "Hof" ist, sei hier nur ein Datum zitiert, dasjenige der endgültigen Trennung von Hofstaat und Regierung: 1765 (24). Die Frage der Organisation des Hofes aus theoretischer Sicht wird auf der Grundlage der Arbeiten von U. Chr. Ewert und S. E. Hilsenitz eingehend diskutiert (26-30) und dann zu Recht betont, dass das nunmehr ausgebreitete Material weitere Forschungen in dieser Richtung ermöglicht. In diesen Zusammenhang gehört der Übergang von der Hofordnung zur Dienstanweisung (62-68, 197). Schon die Hofordnung von 1538 ist mit instruction überschrieben, danach gibt es keinen Text mehr des alten Titels, der die Gesamtheit der Hofstaatsregelungen vereinigte: Zuviel war im Detail zu regeln und wurde es nun für jedes Amt und jeden Amtsträger gesondert; die Landesverwaltung war bereits ausgeschieden. Solche am burgundischen Hof schon seit 1469 bekannte Instruktionen, ein durchaus nicht an den Hof gebundenes Herrschaftsinstrument, sind hier erst ab 1527 nachweisbar und sie wurden quartalsweise in Erinnerung gerufen, was die Herausgeber zum heiteren Titel "Der vielbegehrte Lebensabschnittspartner" (83) verleitet hat, und an anderer Stelle zur rätselhaften Überschrift "Pontifex", womit die Funktion der Editionsgrundsätze als Brücke zwischen Editionsgrundlage und Edition bezeichnet werden soll (260). Die bisher bekannten Texte den Hof betreffend sind auf Seite 87-110 verzeichnet. Es sind viel mehr, als im "Speichermedium" Buch (118) abschriftlich überliefert ist und nun ediert wird, nach einer eingehenden Untersuchung von Schreiberhänden und Kopiervorgängen, zum Beispiel "nachlassender Sorgfalt", illustriert mit zahlreichen Abbildungen (118-196), die auch die Verwendung anschaulich machen.
Dem Editionsteil werden noch einmal, diesmal knapp gefasst, die Editionsgrundsätze vorgeschaltet. Übersichten schaffen Überblick über die Editionseinheiten, die Organisationseinheiten bzw. die Hofämter mit ihren Unterämtern. Pläne lokalisieren die einschlägigen Orte in Wien und in der Hofburg (315-341).
Ediert werden nicht nur die vier Bücher (also der Zustand in der 2. Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert), sondern auf Seite 343-448 auch vier Hofordnungen des 16. Jahrhunderts: 1527 (Ferdinand I.), 1529 (seine Kinder), 1537 (Ferdinand I.) und 1538 (Erzherzöge Maximilian und Ferdinand). Auf Seite 39-68 werden sie eingehend besprochen, auf älteres Material ist auf Seite 30-33, 45-49 hingewiesen, dabei aber zu Recht betont (45), dass die österreichischen Höfe bei der Schriftlichkeit keine Vorreiterrolle spielten. Diese und andere einschlägige Texte von 1519-1637 waren und sind - unzureichend - veröffentlicht in "Die Österreichische Zentralverwaltung" von Th. Fellner/H. Kretschmayr, Bd. 1/2 (1907) und werden, nur diese vier, in verbesserter Form vorgelegt. Der Band birgt also nicht das gesamte verfügbare Material. Es hätte auch jeden Rahmen gesprengt. Die Editoren sagen zu Recht (32, Anm. 128), dass man dafür eine Datenbank vorsehen solle - obgleich es auf Seite 13 ebenfalls richtig heißt, dass "die Überlebensdauer eines digitalen Speichermediums derzeit noch nicht mit der eines gedruckten Buchs gleichziehen" könne. Es bleibt trotz einigen Retroakten die zeitliche Lücke von 1539-1651, ein Zeitabschnitt von mehr als einhundert Jahren. Zwar ist der Leser dankbar für jeden Text, den er nun in besserer Form benutzen kann. Aber es bleibt doch die Frage, weshalb man sich nicht ganz auf die vier Bücher konzentriert hat. Das Werk hätte an Geschlossenheit gewonnen und ein wenig an Umfang verloren.
Schon die Hofordnung von 1537 enthält die Instruktionen für die Hofämter, die nun immer wieder begegnen, sich naturgemäß aber immer weiter ausdifferenzieren: Oberster Hofkanzler, Obersthofmeister, Obersthofmarschall, Hofprofos, Hofräte, Leibkammer, Tafel, Silberkammer, Kellerschenken und Ausschank, Küchenmeister und dessen Untergebene, Einkäufer- und Küchenschreiber, Oberststallmeister, Lichtkammer und Lichtausgabe, Wagenzahl, Kapelle, Kleiderausgabe, Hartschierenhauptmann und Hartschierenleibgarde ("Hartschierer" verballhornt aus frz. archer), dazu Besoldungsgrundsatz und Personal- und Besoldungsverzeichnis. Der letzte Text von 1808 ist eine Instruktion für die Hofwäschemeisterin für die Leintücher im Hofstaat Kaiser Franz' I., Elisabeth Haselbeck.
Insgesamt handelt es sich um eine sehr gewissenhafte, überaus nützliche Edition, was hier von einem, der selbst gelehrte Editionen betreibt, durchaus nicht herablassend gemeint ist. Darlegung und Texte stellen hohe, geradezu entmutigende Ansprüche an künftige Unternehmen ähnlicher Art. Von denen aber möge es noch viele geben. Denn Forschungen und Fortschritte bauen aufeinander auf. Den österreichischen Kollegen sei Dank, dass sie den Vorreiter gemacht haben.
Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass der Editionsteil (ohne Seitenzahlen, aber mit vermehrten Suchmöglichkeiten) auch online frei zugänglich ist : http://www.univie.ac.at/hoforganisation/index.php/onlineedition [13. Juli 2011], während die "Editionsvorbemerkung" dem Druck vorbehalten bleibt (zur Zitierweise s. 13).
Anmerkung: Der Beitrag ist am 22. Juli 2011 bereits in den Mitteilungen der Residenzen-Kommission 21-1 (2011) online erschienen.
Werner Paravicini